« Zurück zur Übersicht

Entwicklungshelfer

Die Architekten Ingrid Spengler und Manfred Wiescholek sprechen über das erste Haus in der HafenCity, Kunstpalmen auf dem Kiez und Klinker in China

Die Architekten Ingrid Spengler und Manfred Wiescholek (1)

Der erste Spatenstich für das SAP-Gebäude war im Jahr 2001.
Was war die HafenCity zu dieser Zeit?

Spengler: Eine Mondlandschaft. Es gab nichts, nicht einmal das Grundstück: Das war zum Teil noch Wasserfläche und musste erst gebildet werden. Es gab eine Idee, aber keine solide Grundlage.
Wiescholek: Der Masterplan lag vor, musste aber jetzt mit Themen besetzt und überprüft werden.
Spengler: Im Vordergrund stand damals, dass sich überhaupt ein Interessent für dieses erste Projekt gefunden hatte. Es war interessanterweise kein Hamburger, sondern ein süddeutscher Pionier, der den ersten Schritt wagte, das erste Haus in der HafenCity zu bauen.

Ein Haus im Niemandsland. Woran orientierte sich denn Ihr Entwurf?
Wiescholek: Niemandem war damals klar, in welche Richtung sich die HafenCity entwickeln sollte: Welche Materialien sollten den Ton angeben? Würde sie ein Ziegelviertel? Ein Potpourri aus Materialsammlungen? Oder etwas ganz anderes? Wir haben deshalb entschieden, das Gebäude in Anthrazit zu halten, einer Art Nicht-Farbe, die nicht strahlt und nicht präsent ist.
Spengler: Es gab damals die Diskussion, ob man die Speicherstadt quasi weiterbauen oder stattdessen eine ganz neue Richtung einschlagen sollte. Man kann sich das Haus auch als Ziegelgebäude vorstellen, wir haben das in der Entwurfsphase ausprobiert. Wir waren aber der Meinung, dass mit der HafenCity ein neuer zentraler Stadtteil entstehen würde, mit dem man deshalb auch anders umgehen kann.
Wiescholek: Gleichzeitig haben wir diesen dunklen Farbton gewählt, weil er die höchste Neutralität gegenüber späteren benachbarten Gebäuden bietet. Als das Haus dann fertig war, kam aber tatsächlich ein Hamburger in unser Büro gestürmt …
Spengler: … und hat uns beschimpft!
Wiescholek: „Wie kann man denn ein so dunkles Gebäude in die HafenCity stellen? Da gehört ein Ziegelsteingebäude hin!“
Spengler: Wir haben im Vorfeld überlegt, was dem Ort städtebaulich guttut. Dabei war ganz entscheidend, wie der Hafenkopf besetzt wird und dass die Lage am Ende des Hafens einen freien Blick auf die Elbe ermöglicht: von der Brücke, die die beiden Bürotrakte verbindet, und der Eingangshalle mit der großen Glasfläche und der Freitreppe. Das ganze Potenzial der HafenCity kommt dabei sehr, sehr gut zur Geltung: die Wasserflächen, der Blick auf die Elbe, das Maritime und Weltoffene. In dieser Hinsicht ist unser Konzept klar umgesetzt worden. Unser Entwurf hatte eigentlich eine Art Schubladen vorgesehen, die sich in das Gebäude hinein- und wieder herausschieben: Auf der einen Seite werden sie nach außen geschoben, auf der anderen tritt das Gebäude an derselben Stelle zurück und bildet eine Loggia. Ein ziemlich starkes Konzept. Leider hat der Bauherr sich nicht getraut, diesen expressiven Ansatz auch genauso auszuführen.
Wiescholek:Wir hatten wirklich schöne Schubladen …

Als das SAP-Gebäude am Großen Grasbrook 2003 fertiggestellt wurde, war von der HafenCity noch nichts zu sehen: Der Blick durch die Glasfassade der großen Eingangshalle reichte unverstellt bis zum Sandtorkai, zur Speicherstadt und zum Hanseatic Trade Center (2)

Aber die Ziegeldebatte ging dann am Sandtorkai weiter …
Spengler:Oberbaudirektor Jörn Walter hat beim Kolloquium zum Wettbewerb verkündet, die gemischten Baufelder für Wohnen und Büro am Sandtorkai sollten gleich groß sein, die Häuser alle rote Ziegelbauten werden, die zehn Meter übers Wasser auskragen. Am Anfang haben wir alle gejammert: „Oh Gott, alle sollen das Gleiche auf der gleichen Fläche bauen!“ Aber heute sieht man eine enorme Vielfalt in der Einheitlichkeit.

Das H2O am Sandtorkai (3)

Es haben aber auch nicht alle nur mit Klinker gebaut.
Spengler: Richtig, das Wohngebäude Dock 4 von Schweger ist kein Ziegelbau, sondern aus Glas. Jan Störmer hat die Wölbern Bank mit rotem Beton versehen, Ingenhoven wählte eine Keramikfassade und Hadi Teherani Metall.
Wiescholek: Wenn wirklich alles in Klinker gebaut worden wäre, hätte mitSicherheit jemand geschrieben: Wie langweilig sind doch die Hamburger Architekten, denen fällt nichts anderes ein, als alles in das gleiche Material einzupacken. Pure Monotonie!
Spengler: Die Stadtverwaltung hat sich bewusst einen Kontrast in der Art des Bauens gewünscht, aber keinen Kon-trast in der Materialität. Entscheidend ist dabei die Gleichmäßigkeit, die Ruhe der Kubaturen bei unterschiedlicher Architektur. Wichtig auch die Lücke dazwischen. Durch einen modernen Filter sieht man die alte Speicherstadt. Und nicht zuletzt die Auskragung. Damit wollte man zwar vor allem mehr Fläche schaffen, weil die Polder so schmal sind, aber sie hat auch einen wahnsinnig attraktiven Effekt: Das Quartier hat eine Einmaligkeit erhalten, die den Ort städtebaulich zu etwas Besonderem macht.
Wie ist Ihr H2O-Gebäude definiert?
Spengler:Für das H2O am Sandtorkai war unser Thema „Das Schwere ruht auf dem Leichten“. Auf der Büroseite ruht die Auskragung auf dem sichtbaren Tragwerk. Die andere Gebäudeseite, auf der Wohnungen dominieren, ist mehr eingehaust, mehr umhüllt. Das Gebäude erzählt so die Geschichte seiner Konstruktion. Das ist ein roter Faden durch viele unserer Arbeiten: Wir zeigen gerne die „Knochen“ und verzichten auf Dekoration.

Ingrid Spengler, geboren in Karlsruhe, gründete ihr Büro im Jahre 1980 (4)

Manfred Wiescholek arbeitet seit 1989 mit Ingrid Spengler zusammen und ist seit 1994 Büropartner (5)

Es haben aber auch nicht alle nur mit Klinker gebaut.
Spengler: Richtig, das Wohngebäude Dock 4 von Schweger ist kein Ziegelbau, sondern aus Glas. Jan Störmer hat die Wölbern Bank mit rotem Beton versehen, Ingenhoven wählte eine Keramikfassade und Hadi Teherani Metall.
Wiescholek: Wenn wirklich alles in Klinker gebaut worden wäre, hätte mitSicherheit jemand geschrieben: Wie langweilig sind doch die Hamburger Architekten, denen fällt nichts anderes ein, als alles in das gleiche Material einzupacken. Pure Monotonie!
Spengler: Die Stadtverwaltung hat sich bewusst einen Kontrast in der Art des Bauens gewünscht, aber keinen Kon-trast in der Materialität. Entscheidend ist dabei die Gleichmäßigkeit, die Ruhe der Kubaturen bei unterschiedlicher Architektur. Wichtig auch die Lücke dazwischen. Durch einen modernen Filter sieht man die alte Speicherstadt. Und nicht zuletzt die Auskragung. Damit wollte man zwar vor allem mehr Fläche schaffen, weil die Polder so schmal sind, aber sie hat auch einen wahnsinnig attraktiven Effekt: Das Quartier hat eine Einmaligkeit erhalten, die den Ort städtebaulich zu etwas Besonderem macht.
Wie ist Ihr H2O-Gebäude definiert?
Spengler: Für das H2O am Sandtorkai war unser Thema „Das Schwere ruht auf dem Leichten“. Auf der Büroseite ruht die Auskragung auf dem sichtbaren Tragwerk. Die andere Gebäudeseite, auf der Wohnungen dominieren, ist mehr eingehaust, mehr umhüllt. Das Gebäude erzählt so die Geschichte seiner Konstruktion. Das ist ein roter Faden durch viele unserer Arbeiten: Wir zeigen gerne die „Knochen“ und verzichten auf Dekoration.

Funktioniert die Katharinenschule? Hier war eigentlich keine Schule vorgesehen.
Spengler: Auf diesem Grundstück eine Schule zu bauen, hat uns enorm herausgefordert und dazu gezwungen, über ungewöhnliche Lösungen nachzudenken, zum Beispiel einen Teil der Freiräume aufs Dach zu verlegen. Wenn Sie heute mit Schülern, Eltern oder Lehrern sprechen, zeigen sich die Vorteile: Da oben ist Sonne, die Kinder sind geschützt, und sie können nicht weglaufen. Außerdem gibt es eine einmalige, fantasievolle Spiellandschaft.
Wiescholek: Wo steht denn geschrieben, dass eine Schule nur nach bestimmten Vorgaben funktionieren kann?

Hieß es damals nicht, dass der Pausenhof zu klein sei?
Spengler: Ist er aber nicht. Wir haben die Pausenfläche nachgewiesen, die Schulbehörde hat das Konzept mitgetragen.
Wiescholek: Es geht doch vor allem darum, wie man mit so einem Thema umgeht und sich dabei eine Sichtweise anzueignen, die sich nicht nur am Bekannten und Gewohnten orientiert.
Spengler: Wir sind damals mit der Schulplanung in den Wahlkampf geraten. Eine große Partei hat sich der Thematik angenommen und das Wort von „Hasenkäfigen auf dem Dach“ mit in den Wahlkampf getragen. Dabei wollte die Schule selbst den Entwurf, weil er die Anforderungen am besten verwirklichte und weil die Schule ein bisschen anders aussah als die Gebäude nebenan. Das Gebäude hat Humor und tanzt im wahrsten Sinne des Wortes aus der Reihe, weil wir ein paar Grad von der Vertikalen abgewichen sind. Die Kinder sagen deshalb: Unsere Schule ist das Haus mit den tanzenden Fenstern.
Wiescholek: Bei aller Kritik an der Grundstücksgröße, dem Platzangebot für die Kinder und der dichten Bebauung muss man eines festhalten: Hamburg gehört zu den Millionenstädten mit der geringsten Dichte.
Spengler: Es gibt allerdings die Tendenz, das zu ändern. Auch unser Bürgermeister spricht ganz offen über Verdichtung. Es gibt aktuelle Literatur, die ganz generell eine Verdichtung unserer Städte fordert, damit sie effektiver werden, mit vernünftigem Nahverkehr und geringerem Energieverbrauch.
Wiescholek: Mit der HafenCity entsteht ein Stadtteil, der eine angemessene Dichte hat und eine hohe Qualität in den Freiräumen. Andere Städte beneiden uns.
Prüfen Sie Ihre Projekte hinterher, ob sie tatsächlich funktionieren? Mir fällt der Spielbudenplatz ein.
Spengler:Der Entwurf wurde von der Öffentlichkeit initiiert, damit der damals abgewirtschaftete Spielbudenplatz anständig und würdig hergerichtet wird. Er wird aber heute teilweise nicht würdig genutzt, sondern durch private Bretterzäune und Kunstpalmen vermüllt, obwohl es ein öffentlicher Raum ist.

Die Katharinenschule am Sandtorpark (6)

Sie haben sich massiv beim Bezirk und der Stadtentwicklungsbehörde beschwert.
Spengler: Dass der Platz und die Bühnen grundsätzlich genutzt werden, finden wir toll. Beides wird aber unter den Potenzialen genutzt, und das ist schade.
Wiescholek: Das Problem ist, dass eine Privatisierung des öffentlichen Raumes stattfindet. Man muss sich fragen, wie viel Privatisierung ein öffentlicher Raum vertragen kann.

Sie haben nicht nur in Hamburg Akzente gesetzt. Wie sind Sie 2010 zur Expo nach Schanghai gekommen?
Spengler: Die Stadt Schanghai hat sich aufgrund des H2O-Gebäudes an uns gewandt: Sie wollte eine Kopie des H2O auf der Expo realisieren. Wir waren zunächst skeptisch, weil wir uns nicht selbst kopieren wollten, vor allem aber, weil ein Haus nicht einfach exportiert werden kann. In Schanghai ist das Klima anders, das Baurecht, das Grundstück, die Nutzung. Am Ende haben wir entschieden, das Haus an den neuen Ort anzupassen. Sehr spannend.

Haben Sie Elemente übernommen?
Spengler: Ja, es sollte auskragen, es gab eine Mischung aus Wohnungen und Büros, und es sollte ein Ziegelhaus werden.
Wiescholek: Ursprünglich sollte es mit norddeutschem Klinker verkleidet werden. Das gab aber Probleme: Es hieß, Klinker aus Norddeutschland eigens nach China zu transportieren, sei ökologisch nicht korrekt.
Spengler: Ziegel-Tourismus!
Wiescholek: Das ist ja auch diskussionswürdig. Ich fand das in diesem Fall aber überzogen; es ging immerhin um die Weltausstellung 2010. Wir mussten dann in China nach einem chinesischen Produkt suchen.
Spengler: Es gab aber keines, denn die Chinesen hatten kein adäquates Material. Sie verkleben stattdessen meist dünne Riemchen, weil es wirtschaftlicher ist. Und da sie oft keine Dämmung benutzen, kleben sie diese Riemchen direkt auf den Beton. Das sieht dann aus wie ein Ziegelhaus.
Wiescholek: Viel wichtiger ist aber, dass das Projekt so angelegt war, dass Architektur entsteht, die aus Gründen der Nachhaltigkeit auch nach der Expo stehenbleiben sollte. Es wurden Themen behandelt, die für China genauso wichtig sind wie für uns. Energieeffizientes Bauen, regenerative Energien und Luftverschmutzung kennen keine Grenzen. Insofern war ein Architektur-Export nach China eine vernünftige Idee.
Spengler: Die meisten haben nicht genau verstanden, welche wichtige Aufgabe Hamburg auf der Expo erfüllt hat. In China nur zu erzählen, wie ein Passivhaus funktioniert, reicht nicht. Dort will man eins zu eins sehen und anfassen können, verstehen, wie der Energieverbrauch ist, was es mehr kostet. Das gebaute Beispiel hat dazu beigetragen, dass viele angefangen haben, über energieeffizientes Bauen nachzudenken.
Spengler: Manche denken inzwischen sogar über den Erhalt von historischer Bausubstanz nach. Wir haben in China einmal eine städtebauliche Planung vorgenommen, in die auch historische Gebäude einbezogen wurden. Ausgangspunkt dieser Planungen waren unsere Erfahrungen aus dem Projekt im Falkenried, wo das alte Straßenbahndepot zu Wohnungen umgenutzt wurde.

Sie waren die einzigen Hamburger, die für die Expo in Schanghai gebaut haben.
Spengler: Ja, zusammen mit dem Büro Dittert & Reumschüssel. Wir haben als einzige ein Haus gebaut, das stehengeblieben ist. Wir haben erfahren, dass das Expo-Haus jetzt für das Liaison Office genutzt wird, das für die Städteverbindung zwischen Hamburg und Schanghai zuständig ist. Ferner zieht dort das Goethe-Institut ein. Es wird also Hamburg-affin genutzt.

Interview: Nikolai Antoniadis, Fotos: Jonas Wölk (1, 4, 5), Jochen Stüber (2), Dorfmüller / Kröger / Klier (3), Spengler Wiescholek (5)
Quartier 21, März–Mai 2013 , Rubrik:    
« Zurück zur Übersicht