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Der goldene Schnitt

Sophie Kill erzählt, was beim Drehen in Shanghai zu beachten ist, warum beim Filmemachen der Schnitt der spannendste Teil ist und wie im Schneideraum Magie entstehen kann
Filmschnitt

Garküche, Tai-Chi an der Uferpromenade, Fischerboote, Kohlenhafen – Impressionen aus Shanghai, wo Sophie Kill zwei Dokumentationen gedreht hat (1, 2, 3, 4)

Sophie Kill war gleich begeistert vom Edmund-Haus in der Katharinenstraße. Nur dieses Büro im dritten Stock hat sich die Cutterin und Filmemacherin angeschaut, da stand für sie fest, dass sie mit ihrem Schneideraum auf die Cremon-Insel ziehen würde. Sie liebt das Wasser, hat mit mare TV zusammengearbeitet, Reportagen über Häfen gemacht, daneben Porträts sowie Dokumentationen über Shanghai.

Eines ihrer Themen fällt dem Besucher sofort ins Auge: Fotos von Architektur-Modellen zieren die Wände. Kill interessiert sich für Städtebau. „Das ist genetisch bedingt. Mein Vater ist Architekt.“ Groß ist der Raum nicht, aber mit neuester Technik ausgestattet. Die Filmemacherin vermietet ihre Schnittstelle auch, vor allem aber ist sie Inhaberin der Filmproduktion und Post-Production Schein und Wirklichkeit. Um Letzteres geht es ihr besonders: „Am Anfang meiner Ausbildung wollte ich Fiktion machen, aber dann habe ich festgestellt, dass die Wirklichkeit spannender ist. Es passiert so viel, was man sich gar nicht ausdenken kann.“

„Ich habe einfach behauptet, ich könne das, mit zitternden Knien.“

Bei ihren Shanghai-Filmen war das Drehen selbst ein Abenteuer, für das sie Chinesisch gelernt hat: „Das Hauptpro­blem in China ist, das zu bekommen, was man gern möchte.“ Man müsse verstehen, was der „Stringer“, der Fädenzieher, der die Kontakte macht, vor Ort bespricht. Für „Shanghai privat“ haben sie und Co-Autor Raimund Kusserow mehr als zwei Jahre lang Chinesen und Europäer beobachtet, die ihr kleines Glück suchen. Solch ein Auftrag ist auch ein Glücksfall für Dokumentarfilmer: Der Sparkurs der Sender bewirke, dass „man von der schönen Kunst alleine nicht leben kann“. Ihr Geld verdient Kill zunehmend mit Web-TV und Imagefilmen für Firmen, die in Zeiten von Social Media authentische Filme gegenüber werblichen bevorzugen.

Dokumentationen brauchen Spannungsbögen. „Man muss für die Figuren eine Fallhöhe aufbauen. Hat jemand ein großes Ziel, muss er zwischendurch einmal beinahe scheitern.“ Hier spricht die Dramaturgin, die an der Universität Hamburg Germanistik mit Schwerpunkt Theater und Medien belegt hatte. Davor hatte sie Medientechnik an der Fachhochschule für Druck und Medien in Stuttgart studiert, ein breit angelegtes Studium, bei dem auch Betriebswirtschaft eine Rolle spielte. „Es hat sich bewährt, einen großen Überblick zu haben.“

Sophie Kill

Cutterin, Filmemacherin, Dramaturgin: Sophie Kill in ihrem Büro in der Katharinenstraße (5)

Ihr Ziel war immer die eigene kreative Produktion. Schon als Kind traktierte sie ihre Familie mit dem Kassettenrekorder für kleine eigene Hörspiele. Nach ihrem medientechnischen Studium wurde ihr Sohn geboren, sie musste sich eine Alternative überlegen. Der NDR suchte eine Cutterin. Sie hatte zwar keine Ausbildung als Schnittmeisterin, aber der Filmschnitt war auch in ihrem Studium vorgekommen. Nachts begleitete sie einen Freund, der beim NDR arbeitete, und machte sich mit dem Videoschnittplatz vertraut: „Ich habe einfach behauptet, ich könne das, mit zitternden Knien, mit 23 macht man ja so was noch.“ Sie entwickelte schnell Routine und schnitt beispielsweise Beiträge fürs Hamburg Journal. So wurde das Schneiden für sie zum zweiten Standbein.

Bei ihren eigenen Filmen sei der Schnitt der spannendste Teil der Arbeit. Als Regisseurin stelle man sich vorher alles Mögliche vor, was man im Film haben möchte. Doch wenn man das Thema ernst nimmt, dann muss man sich darauf einlassen, was einem vor Ort begegnet. Und dann muss man sich wieder davon lösen und am Material arbeiten. Ein anschaulicher Vergleich: Eine Dia-Show bei Freunden, die auf einer Safari waren, und das wichtigste Bild ist eines, auf dem ein Busch zu sehen ist und sonst nichts: „Das ist für alle fürchterlich langweilig – außer für die, die dabei waren! Hinter dem Busch saß nämlich ein Löwe“, erzählt Kill amüsiert. Es gebe immer Szenen, die beim Drehen spannend wirken, aber beim Sichten des Materials nicht und umgekehrt. Das Faszinierende sei, dass „der Film immer ganz anders wird als geplant, und doch so, wie gemeint“.

Ein Dokumentarfilm muss den Zuschauer berühren, und das funktioniert vor allem über den Tonschnitt. „Der Tonbereich ist der, der emotionalisiert. Visuell kriegt man das nicht hin.“ Das ist der Punkt, wo das Arbeiten am Film, das in erster Linie Handwerk ist, etwas Magisches bekommt. „Man sitzt, meist zu zweit, in diesem kleinen, dunklen Raum, arbeitet konzentriert, und wenn man es schafft, eine emotionale Spannung aufzubauen, dann entsteht eine ganz magische Stimmung.“

„Das Schneiden ist der Herzschlag des Filmes“, sagt Jean-Luc Godard. „Der Schnitt ist das Wesen des Kinos“, ergänzt Francis Ford Coppola. Da muss was dran sein.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Sophie Kill (1, 2, 3, 4), Manja Scheibner (5)
Quartier 25, März–Mai 2014 , Rubrik:    
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