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Unter die Haut

Ob sich Dr. Gunther von Hagens persönlich die Ehre geben wird, ist noch nicht bekannt. Fest steht nur, dass des Plastinators Werk, die weltweit ebenso gerühmte wie umstrittene Ausstellung „Körperwelten“, vom 16. Mai bis zum 15. Oktober zum zweiten Mal in Hamburg gastieren wird – diesmal in der HafenCity
Koerperwelten Hase

Transparenz des Todes: In „Körperwelten“ werden menschliche wie tierische Körper gezeigt

Umstritten ist der „Erfinder der Plastination“ allemal – hat er doch ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe tote Organe, dann aber auch ganze Menschen und schließlich sogar große Tierkörper bis hin zum Elefanten dauerhaft vor der Vergänglichkeit bewahrt werden können. Das ist nicht erst seit den alten Ägyptern ein uralter Menschheitstraum. Vorgeworfen wurde dem Anatomen jedoch immer wieder, mit der Entwicklung der Ausstellung „Körperwelten“ seit 1997 sein Wissen und Können in den Dienst von Exhibitionismus und Spektakel gestellt zu haben, überdies den Tod zur Schau zu stellen und die Würde der Toten zu verletzen.

Das Leben des Gunther von Hagens ist durch eine bunte Biografie ebenso geprägt wie durch eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung. Nach dem Abitur im damals zur DDR gehörenden thüringischen Greiz arbeitete von Hagens zunächst als Hilfspfleger am örtlichen Krankenhaus. Selbst das Ausleeren von Spucknäpfen, wie er später in einem Interview berichtete, konnte ihm das Interesse an der Medizin nicht verleiden. So wechselte er 1965 an die Jenaer Universität. Sein öffentlicher Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings bereitete der wissenschaftlichen Karriere dann aber 1968 ein jähes Ende: Von Hagens wurde verhaftet, später allerdings von der Bundesrepublik als politischer Flüchtling freigekauft und konnte so sein Studium in Lübeck erfolgreich abschließen. Auf Helgoland absolvierte er die Assistenzarztzeit, in Heidelberg schrieb er seine Dissertation. Dort begann der junge Mediziner, die Plastination zu entwickeln, ein nach eigenen Worten „recht simples“ Verfahren. Dabei wird der tote Körper zunächst mittels eiskaltem Aceton dehydriert. Anschließend erfolgt die sogenannte Vakuumimprägnierung, bei dem das Aceton durch Kunststoff ersetzt wird. Dazu verwendet von Hagens beispielsweise Silikonkautschuk, Polyester- oder Epoxidharze, um die flexiblen, durchsichtigen, vor allem dauerhaften Plastinate zu erzeugen. Ursprünglich, so der Erfinder, sollten die Exponate vor allem der medizinischen Ausbildung dienen. Um 1990 schuf von Hagens nach eigenen Angaben sein erstes Ganzkörperplastinat von einem „freundlichen Herren“, der sich für diese Verarbeitung nach seinem Ableben zur Verfügung gestellt hatte. Die erste „Körperwelten“-Ausstellung öffnete – begleitet von gewaltigem Medienrummel – am 30. Oktober 1997 in Mannheim. Seitdem haben rund 38 Millionen Menschen in aller Welt die enthäuteten und deshalb faszinierend transparenten, lebendig wirkenden Körper in unterschiedlichsten Haltungen und Posen gesehen. Allein in Deutschland gab es bislang 24 Ausstellungen. Besonders umstritten war und ist ein plastiniertes Paar beim Liebesakt, das anfangs per Gerichtsbeschluss an mehreren Ausstellungsorten nicht gezeigt werden durfte. Inzwischen scheint sich die Aufregung über das Arrangement eines postmortalen Coitus zumindest in Deutschland gelegt zu haben.

Gunther von Hagens

Nach seinem Tod will sich Gunther von Hagens selbst plastinieren lassen

Immer wieder musste sich von Hagens gegen Vorwürfe wehren, seien sie moralischer, religiöser oder juristischer Art. Es gehe ihm nicht um Wissenschaft, sondern um schnöden Mammon, lautete noch der harmloseste Vorwurf. Oder: Von Hagens Leichen seien zum Tode Verurteilte aus China – was ihm nicht nachgewiesen werden konnte. Jahrelang wurde und wird vor deutschen Gerichten darüber gestritten, mit welchem Recht und welchen Zusätzen von Hagens den Titel „Professor“ tragen dürfe. Das alles hat dem Erfolg seiner Plastinationsschau keinen Abbruch tun können. Im Gegenteil: „Körperwelten“ gilt heute als erfolgreichste Ausstellung der Welt und brachte es inklusive ihrem geistigen Vater zu mehrfachen Filmehren – bis hin zu einer Szene im James-Bond Abenteuer „Casino Royale“.

Atlas

Mythologisch: von Hagens’ Interpretation des griechischen Atlas

In Hamburg gastierte die Ausstellung bereits im Herbst 2003 auf St. Pauli. Nun wird die Schau „Körperwelten – eine Herzensangelegenheit“ von Plastinator Gunther von Hagens und seiner Frau, der Ärztin und Kuratorin Dr. Angelina Whalley, vom 16. Mai bis 15. Oktober in den Räumen der KulturCompagnie an der Shanghaiallee 7 gezeigt. „Das ist nicht dieselbe Schau wie vor zehn Jahren. Die Ausstellung wird ständig weiterentwickelt“, erklärt Daniel Niedrich vom Pressebüro Körperwelten. Und jede Schau bildet Schwerpunkte aus: „Hier sind es Herz und Kreislauf“, so der Pressesprecher. Aber natürlich ist auch das wohl bekannteste Exponat mit Aha-Effekt – die vom Teer durchsetzte Raucherlunge im eindrucksvollen Kontrast zu einem gesunden Organ – wieder dabei. Eintrittskarten gibt es schon jetzt im Vorverkauf.

Anmelden kann man sich übrigens auch als künftiges Exponat: Von Hagens betreibt ein eigenes „Körperspendeprogramm“ mit kostenlosem Abholservice. Da bekommt die Diskussion um die Altersvorsorge eine ganz neue, geradezu plastische Dimension.

Text: Michael Hertel, Fotos: Gunther von Hagens, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.de
Quartier 25, März–Mai 2014 , Rubrik:    
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