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Der Proleten-Bagger

Quartier gratuliert dem türlosen Aufzug, der ununterbrochen fährt – solange ihn keiner stilllegt

 

Bettina Mertl-Eversmeier

Bettina Mertl-Eversmeier

Wenn man heute „Hochburg Hamburg“ googelt, erfährt man, dass Hamburg eine Hochburg der Singles ist und eine des Hockeys. Das hört sich ziemlich langweilig an. Früher hingegen, genauer gesagt in den 20er und 30er Jahren, war Hamburg die Hochburg der Proleten-Bagger, was um einiges aufregender klingt. So bezeichneten nämlich Hamburger Arbeiter sehr selbstbewusst den Paternoster. In der Sprache der Bürokraten war die Hansestadt damals die Hochburg der „offenen Personen-Umlaufaufzüge“. Die feiern gerade Geburtstag, so sie nicht aus Sicherheitserwägungen längst ausgebaut wurden oder die Häuser, in denen sie einst mit etwa 0,20 bis 0,45 Metern pro Sekunde ihre Runden drehten, längst abgerissen sind: Vor 130 Jahren, also 1884, entwickelte der Londoner J. E. Hall den ersten Paternoster. 1885/86 ging der erste deutsche Personen-Umlaufaufzug im Dovenhof in Betrieb, jenem ersten Kontorhaus, das 1967 der Hamburger Planier-Wut zum Opfer fiel.

Der lateinische Ausdruck „Paternoster“ bedeutet übersetzt „Vater unser“, und das bezieht sich nicht auf das Stoßgebet, das vielleicht einer zu Gott schickt, wenn er eine der Kabinen betritt. Soll doch das Unfallrisiko beim Paternoster immerhin 30 Prozent höher liegen als beim normalen Aufzug. Nein, der Name bezieht sich auf den katholischen Rosenkranz, auch Paternosterschnur genannt. Die permanent umlaufenden Kabinen des Paternosters drehen sich vom Keller bis zum Dach und wieder zurück, wie ein Rosenkranz, der beim Gebet durch die Hände wandert. Die Hochburg der Hochburg der Proleten-Bagger war das Kontorhausviertel. Auch im ehemaligen Freihafenamt in der Speicherstadt ist einer der letzten originalen Paternoster Hamburgs erhalten. Zum Glück: Planten doch einige spießige Bürokraten 1994 eine Änderung der Aufzugsverordnung, die eine Stilllegung der bestehenden Anlagen bis 2004 vorsah. Aufgrund massiver Proteste konnte verhindert werden, dass eines der letzten Großstadtabenteuer abgeschafft wurde. Ein sehr humorloser Mann vom TÜV behauptete gar, bis etwa 2002 habe es in Deutschland durchschnittlich einen tödlichen Unfall pro Jahr gegeben mit dem rumpeligen Gefährt.

Dem Paternoster stünde eine glänzende Zukunft bevor, ginge es nach Buzz Aldrin, jenem unglücklichen ehemaligen Astronauten, der nach Neil Armstrong erst als zweiter Mann den Mond betrat: Auf Vorträgen malt er gern ein System von Raumschiffen aus, die auf festen Bahnen zwischen Erde, Mond und Mars kreisen sollen, eine Art Weltraum-Paternoster. Ach ja. Auch für die weit weniger charmante Aufzugsvariante, bei der sich niemals jemand der Mutprobe stellen kann – wer traut sich, oben oder unten durchzufahren –, für den gemeinen Lift, hatten Hamburger Arbeiter eine eigene Bezeichnung. Geschlossene Fahrstühle wurden in einigen Kontorhäusern parallel zu den Paternostern betrieben und waren den Führungskräften vorbehalten. Ihr Name: Bonzen-Heber.

 

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Foto: Brigitte Dorrinck

Quartier 26, Juni–August 2014 , Rubrik: ,    
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