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Liebesgrüße aus Moskau

In Hamburgs historischer Mitte, an der Trostbrücke am Nikolaifleet, befindet sich seit Ende Mai das vierte russische Zentrum in Deutschland. Träger des Kulturinstituts ist die Stiftung Russkij Mir, die „russische Welt“
Olga Slavina, Direktorin des neuen russischen Zentrums

Olga Slavina, Direktorin des neuen russischen Zentrums

Olga Slavina begeistert sich für Literatur und bildende Kunst. Seit 14 Jahren lebt die gebürtige St. Petersburgerin in Hamburg. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin mit der eleganten Erscheinung engagiert sich schon lange für den kulturellen Austausch zwischen Hamburg und St. Petersburg. Seit 1957 besteht eine Partnerschaft zwischen beiden Städten, und Slavina hat Ausstellungen zu Hamburger Künstlern an Museen in St. Petersburg organisiert. An der Universität der Hansestadt unterrichtet sie interkulturelle Kommunikation.Drei Jahre ist es her, dass die Stiftung Russkij Mir sie beauftragte, Räume für das geplante russische Zentrum in Hamburg zu finden. Im Sommer 2007 hatte Präsident Wladimir Putin die Stiftung Russkij Mir gegründet, die weltweit die russische Sprache und Kultur fördern und das Bild Russlands im Ausland verbessern soll. Nikolaus W. Schües und Nikolaus H. Schües, Vater und Sohn, Mäzene und Eigentümer der Hamburger Traditionsreederei F. Laeisz, stellten der Stiftung das Büro im Laeiszhof an der Trostbrücke kostenfrei zur Verfügung.

Seit Juni 2014 ist Slavina Direktorin des russischen Zentrums, das sich im Juli noch im Aufbau befand. Ab September werden Sprachkurse angeboten, in Zusammenarbeit mit Pro Linguis Der Sprachenclub e. V. Im Dezember eröffnet die Bibliothek, die auch Internetarbeitsplätze mit Zugang zu vielen russischsprachigen Medien bieten wird. Diese wird im neuen Kultur- und Gemeindezentrum der Russisch-Orthodoxen Kirche am Tschaikowsky-Platz entstehen, das im Juli noch nicht fertiggestellt war. Die Verwaltung des russischen Zentrums bleibt an der Trostbrücke.

Am 26. Mai fand im Kaisersaal des Rathauses die offizielle Eröffnung des Zentrums statt. Im Vorfeld hatte der eigens veranstaltete Senatsempfang für Irritationen gesorgt. Die Wochenzeitung DIE ZEIT hielt es für unangebracht, mitten in der Ukraine-Krise ein russisches Kulturinstitut zu gründen. Einige Politiker sagten ihre Teilnahme ab. Wichtigster Vertreter des Senats war Wolfgang Schmidt, Staatsrat der Senatskanzlei und ein Vertrauter von Bürgermeister Olaf Scholz. Die Kritik bezieht sich auf die Staatsnähe der Stiftung, die neben Spenden durch Mittel des russischen Staatshaushaltes finanziert wird und ein Gemeinschaftsprojekt des Außen- und des Bildungsministeriums ist. Und sie entzündet sich an der Person des Politologen, Duma Abgeordneten und Enkel des russischen Außenministers Molotows, Wjatscheslaw Nikonow, dem Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, der ein erklärter Anhänger von „Putins gelenkter Demokratie“ ist.

Das Abendland wird nicht untergehen, wenn Hamburger das Angebot wahrnehmen

„Ich mache keine Propaganda“, reagiert Olga Slavina entrüstet auf kritische Nachfragen, und man glaubt es ihr. Das russische Zentrum sei vergleichbar mit dem Goethe-Institut. Die Richtlinien der Stiftung bestimme nicht Nikonow, sondern Ljudmila Werbizkaja, die Vorsitzende des Kuratoriums, die auch Vorsitzende der Internationalen Russischlehrervereinigung ist sowie Präsidentin der Staatlichen Universität St. Petersburg.

An der Auswahl der Bücher für die Bibliothek war Slavina beteiligt. Die Wissenschaftlerin und Autorin gibt zu, dass der Schwerpunkt auf Klassikern wie Leo Tolstoi liege, aber diese Literatur sei eben ihre Passion. Die jüngere Zielgruppe hofft sie durch Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Russischen Kinoforum zu erreichen, das seit 2011 Filmwochen organisiert und vom kommunalen Kino Metropolis mitveranstaltet wird.

Die Gründung von Russkij Mir fiel in eine Zeit, in der Putin die sogenannte „Soft Power“ für sich entdeckte, die Fähigkeit, politische Ziele nicht durch wirtschaftliche oder militärische Macht zu erreichen, sondern durch „weiche“ Faktoren, beispielsweise kulturelle Attraktivität.

Dass auch kritische Gegenwartsautoren wie der in der Schweiz lebende Michail Schischkin mit ihren Werken in der Bibliothek vertreten sein werden, gibt Anlass zum Optimismus. So viel steht fest: Untergehen wird das Abendland nicht, wenn interessierte Hamburger das Angebot des russischen Zentrums wahrnehmen. Dass Russkij Mir irgendwann Pussy Riot zum Konzert einlädt, bleibt aber unwahrscheinlich.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Jonas Wölk
Quartier 27, September–November 2014 , Rubrik:    
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