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Fofftein

„… damit die Kerls mal was Warmes in’ Bauch kriegen“

Speisehalle Nr. 18

Die Speisehalle Nr. 18 am Reiherdamm, 1904 (1)

„Etwas Warmes braucht der Mensch!“ Das ist nicht erst seit der Fernsehwerbung für Tütensuppen bekannt. Allerdings war es für Hafenarbeiter nicht einfach, sich in den Pausen mit heißen Mahlzeiten zu versorgen. Als die Schiffe noch hauptsächlich an den Dalben vor der Innenstadt lagen, konnten die Frauen ihren Männern das Essen an Bord bringen. Doch als der Hafen ab den 1880er Jahren immer größer wurde und sich auch auf das jenseitige Ufer der Elbe ausdehnte, war diese Form der Versorgung kaum noch möglich. Der Hafenarbeiter musste daher den Eintopf im Henkelmann und den Kaffee im Kaffeeteng mit zur Arbeit nehmen und notgedrungen kalt verzehren. Weitere Bedürfnisse wurden durch die „fliegenden Krüger“ abgedeckt, die mit Booten durch den Hafen fuhren und neben Lebensmitteln auch jede Menge Alkohol verkauften.

Das änderte sich mit der Eröffnung des Freihafens 1888. Ambulanter wie stationärer Handel war hier wegen des zollrechtlichen Sonderstatus streng verboten, auch Gastwirtschaften durften nicht betrieben werden. Was tun, um Tausende hungriger und durstiger Arbeiter zu versorgen? Die Lösung bestand in den Speisehallen, überbetrieblichen Kantinen, die sukzessive im gesamten Freihafengebiet eingerichtet wurden. Und auch ein Träger wurde schnell gefunden, nämlich der 1887 gegründete „Verein für Volkskaffeehallen“. Das kam bei den Arbeitern allerdings zunächst gar nicht gut an, denn der Verein hatte sich den Kampf gegen den Alkoholmissbrauch auf die Fahnen geschrieben. Deshalb wurden die ersten Kaffeehallen auch in der Neustadt in der Nähe der übel beleumdeten „Gängeviertel“ errichtet, wo nicht nur besonders viele Hafenarbeiter lebten, sondern auch zahlreiche Kneipen lockten.

Speisehalle Nr. 18

Speisehalle Nr. 18, Innenansicht. Die Ausstattung war eher praktisch als gemütlich. Es gab auch Klagen über mangelnde Sauberkeit (links, 2), Speisehalle Nr. 18, die Großküche: Links ist die Durchreiche zum Speisesaal, Kaffeeklappe genannt, zu sehen (rechts, 3)

Die Speisehallen hatten bald ihren Spitznamen weg, nämlich „Kaffeeklappen“ – so genannt wegen der Durchreichen zu den Küchen. Was hier gereicht wurde, war anfänglich allerdings wohl nur bedingt genießbar: wässerige Suppe, noch dünnerer Kaffee, nur hinsichtlich des Leichtbiers machte man gewisse Konzessionen an die Bedürfnisse der Arbeiter. Unter den Wirtschafterinnen – hierfür musste man Tochter aus „gutem Hause“ sein – herrschte eiserne Sparsamkeit. Und zunächst wohl auch eine gewisse Herablassung gegenüber dem proletarischen Publikum. Gediegener ging es dagegen in den „Meisterzimmern“ der Kaffeeklappen zu, in die die Angestellten und wohl auch mal die Chefs, Kaufleute oder Vertreter von Reedereien einkehrten, wenn es die Situation erforderte. Dort konnte man auch Wein bestellen.

Insgesamt 16 Kaffeeklappen zählte man zeitweilig im Freihafen, dazu die Kantine von Blohm + Voss, die zunächst ebenfalls von dem „Verein für Volkskaffeehallen“ bewirtschaftet wurde. Nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde dieses engmaschige Versorgungsnetz wieder aufgebaut, doch nun gab es immer mehr Betriebskantinen und schließlich auch immer weniger Hafenarbeitsplätze. Als 1985 die letzte Kaffeeklappe an der Buchheisterstraße geschlossen wurde, war aus der einstmals ungeliebten Institution längst ein Stück Heimat geworden. Hier konnte man noch Bekannte aus anderen Hafenbetrieben treffen und mit der Wirtschafterin scherzen, die schon seit einer gefühlten Ewigkeit hinter dem Tresen stand. Aber die Zeiten haben sich erneut gewandelt. 2013 wurde das Freihafenstatut aufgehoben, und nun dürfen Waren im Hafen auch an Endverbraucher abgegeben werden. Gleich hinter dem Alten Elbtunnel am Reiherdamm hat Odo Mario Werth daraufhin seine eigene „Kaffeeklappe“ aufgemacht. Hier verkauft er jetzt alles, was nachgefragt wird – auch „geistige“ Getränke.

Kaffeeklappe

Die „Kaffeeklappe“ von Odo Mario Werth, die kaum einen Wunsch offen lässt: von Kaffee für die Frühschicht bis Bierchen für den Feierabend (links, 4), Odo Mario Werths „Kaffeeklappe“ am Alten Elbtunnel von außen: ein einsames Licht im dunklen Hafen (rechts, 5)

Text: Ralf Lange, Fotos: Speicherstadtmuseum (1–3), Jonas Wölk (4, 5)
Quartier 29, März–Mai 2015 , Rubrik:    
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