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Picasso ohne Picasso

Nach anderthalb Jahren Sanierung wird die nördliche Deichtorhalle mit einer groß angelegten Ausstellung wiedereröffnet: Picasso in der Kunst der Gegenwart

Dia Al-Azzawi

Picasso in der Kunst der Gegenwart. 1. April bis 12. Juli in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen. „Sabra and Shatila Massacre“ (1982–83) von Dia Al-Azzawi (1)

Guernica. Vor fast 60 Jahren war das weltberühmte Klage-Tableau zum Spanischen Bürgerkrieg schon einmal in Hamburg zu sehen – während einer Picasso-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle. Ab 1. April, und das ist kein Scherz, sind in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen gleich sechs Guernicas zu sehen. Keines allerdings ist von Picasso.

SandroMiller

„John Malkovich als Picasso“ (2014) von Sandro Miller (Original von Irving Penn, 1957) (2)

Die Schau „Picasso in der Kunst der Gegenwart“, mit der die nördliche Deichtorhalle nach 18-monatiger Sanierung wieder eröffnet, muss gänzlich ohne Picasso-Originale auskommen. Am Mythos vom Megakünstler wird sie trotzdem weiterspinnen: Sie demonstriert mit Arbeiten von 78 Künstlern, wie sich spätestens seit den 60er Jahren zahllose Künstler an dem Übervater der Malerei abgearbeitet haben: Andy Warhol und Roy Lichtenstein, Martin Kippenberger und Maria Lassnig, Maurizio Cattelan und Francesco Vezzoli. Ihre Repliken beziehen sich auf alle Schaffensperioden. Mal sind es ehrfurchtsvolle Hommagen, mal pietätslose Travestien. Dabei kommen sie aus den unterschiedlichsten Richtungen der Gegenwartskunst – nur die Minimalisten und die strengen, frühen Konzeptkünstler haben das Imaginationsfeuerwerk des Spaniers zu ignorieren versucht.

Besonders interessant dürfte das Gipfeltreffen der Guernica-Varianten ausfallen: Die Version des irakisch-britischen Malers Dia Al-Azzawi gemahnt an die Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Libanon. Und die Installation der Künstlerin Goshka Macuga erinnert daran, dass der Guernica-Wandteppich im New Yorker Gebäude der Vereinten Nationen auf Wunsch der US-Regierung verhüllt wurde, als dort Colin Powell seine fatale Rede über die angeblichen irakischen Massenvernichtungsmittel hielt. Vielleicht ist die potenzielle Wirkmächtigkeit von Picassos Anti-Kriegs-Statements nie mehr zum Ausdruck gekommen, als in dieser Flankenschutzgeste der US-Kriegspropaganda.

GoshkaMacuga_ZhouTiehai

Installation „The Nature of the Beast“ (2009) von Goshka Macuga (links, 3), „Les pains de Picasso“ (2006) von Zhou Tiehai (rechts, 4)

Die Deichtorhallen feiern mit der großangelegten Ausstellung ihre Eröffnung vor gut 25 Jahren. Einen grandiosen Rahmen bildet dafür die frisch sanierte Halle: Mauerwerk und Stahlstützen sind überarbeitet, das Raumklima wurde auf Museumsniveau gebracht und eine neue LED-Beleuchtung ist installiert. Alles ist noch lichter und transparenter geworden und am Ende der Ausstellungshalle liegt jetzt ein schwellenloser, querschiffsartiger Raum, der die kathedralenartige Anmutung des hohen, hellen Stahl-Glas-Baus unterstreicht.

Das Café wurde von dem Hamburger Maler Michael Bauch neu gestaltet. Geführt wird es jetzt von den Betreibern des beliebten Fillet of Soul in der Südhalle. Zusammen mit dem Museumsshop und den Workshop-Räumen öffnet es sich jetzt an der Westseite der Halle zur Stadt hin. Wer dort draußen seinen Latte Macchiato trinkt, hat einen der weltweit schönsten Ausstellungsräume in seinem Rücken – und vor sich einen Blick durch die HafenCity bis hin zur Elbphilharmonie.

 

Text: Karin Schulze, Abbildungen: Dia Al-Azzawi ⁄ Tate Modern (1), Sandro Miller ⁄ Catherine Edelman Gallery, Chicago (2), Goshka Macuga (3), Zhou Tiehai ⁄ Reprofoto: Frank Kleinbach ⁄ Schaufler Foundation Sindelfingen (4)

Quartier 29, März–Mai 2015 , Rubrik:    
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