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Bauen im Zusammenhang

Seit über 20 Jahren arbeitet das Hamburger Büro Loosen Rüschoff + Winkler mit Verstand und Weitblick daran, die Stadt weiterzubauen. Dabei suchen sie nicht die große Geste, sondern Lösungen für immer komplexere Fragen


Strandkai

Für die Genossenschaftswohnungen (Baufeld 57 Nord) hat sich der Entwurf des Architekturbüros LRW Architekten durchgesetzt (1)

Abgelegen von der üblichen Ottensener Geschäftigkeit steht gegenüber der Christianskirche ein unscheinbares Häuschen, das aussieht, als hätte es sich vor langer Zeit auf dem Weg zum nächsten Gewerbehof verlaufen. Es lässt sich so gar nicht mit den polierten, mondänen Fotomontagen der Strandkai-Bebauung in Verbindung bringen, die im Februar vorgestellt worden sind. Tatsächlich wurde aber hinter der etwas aus der Zeit gefallenen Fassade am Klopstockplatz nicht nur einer dieser gewaltigen Wohnblöcke entworfen, sondern im Laufe von über 20 Jahren zahlreiche Gebäude, Stadträume und Gutachten, die Hamburg heute an vielen Orten prägen.

Karin Loosen, geboren in Koblenz, lebt seit 1991 in Hamburg. Seit letztem Jahr ist sie Präsidentin der hiesigen Architektenkammer (2)

Karin Loosen, Rudolf Rüschoff und Thomas Winkler, kurz: LRW, kennen sich noch aus der Zeit, als sie als freie Mitarbeiter für das Hamburger Büro Ohrt-von Seggern gearbeitet haben. Bis sie 1996 ihr eigenes Büro aufgemacht und mit der Siedlung Flensburg-Weiche auch gleich ein größeres Wohnungsbau-Projekt an Land gezogen haben. Rückblickend möchte man meinen, das Motto dieser Ausschreibung, „Rationelles Bauen – Zukunftsweisendes Wohnen“, sei programmatisch für die Zukunft von LRW geworden: In ihrem beachtlichen Portfolio sucht man vergeblich nach spektakulären Entwürfen, nach kalkulierter Investorenarchitektur oder Signaturbauten, die laut „Ich, Ich, Ich“ schreien. Die Arbeit von LRW bleibt architektonisch auf dem Teppich, ist unaufgeregt und sachlich, frei von Allüren, aber nicht von Visionen. Und sogar wenn Karin Loosen von Visionen spricht – etwa, um sie von der Architektenschaft einzufordern –, hat das Wort einen sehr pragmatischen, sehr handfesten Klang. Zum Beispiel, wenn es in Verbindung mit dem Wort „Busbeschleunigung“ fällt. Die Debatten darüber wurden nach ihrem Dafürhalten viel zu sehr unter eindimensionalen, verkehrsgerechten Gesichtspunkten geführt – anstatt darüber nachzudenken, dass eine Straße auch ein Stadtraum ist, eine Haltestelle auch ein Kommunikationsort, vielleicht sogar einer, der ein Quartier prägen kann.

Verkehrsflächen gehören in der modernen, funktionsgemischten Stadt ohnehin zu jenen Bereichen, in denen – ginge es nach Loosen – viel mehr Visionen gefragt sind. Dass man zum Beispiel an der Willy-Brandt-Straße seit Jahren immer nur punktuell herumdoktert, anstatt einmal richtig Geld in die Hand zu nehmen und das ganze Ungetüm unter die Erde zu legen, ist ihr unbegreiflich. Zumal wir ja gerade Zeuge dieser großen historischen Zäsur sind und erleben, wie sich die Stadt, die sich jahrhundertelang parallel zur Elbe entwickelt hat, nun in ihrer ganzen Dynamik in Nord-Süd-Richtung ausrichtet und dabei ständig an Verkehrsbarrieren stößt.

Die Hürden, die zwischen City und HafenCity genommen werden müssen, hatte LRW deutlich vor Augen, als das Büro 2010 im Auftrag der Behörde für Stadtentwicklung die Achse Jungfernstieg–Überseequartier ausgestaltete. Von St. Petri bis St. Annen sollte ein großzügiger, von Bäumen gesäumter Boulevard Passanten und Flaneuren den Fußweg in die HafenCity schmackhaft machen. Aber schon das Pflanzen neuer Bäume wurde zur Herausforderung. Denn je dichter die Stadt über der Erde ist, desto dichter ist sie auch darunter, und deshalb musste für jeden Baum geprüft werden, ob unterirdische Leitungen für Strom oder Wasser oder Abwasser verlegt werden müssen. Es gibt Leute, die sagen, hier stünden die teuersten Bäume Hamburgs. Neben zahlreichen anderen, vor allem verkehrspolitischen Fragen bestand das größte Problem aber darin, dass sich die Erdgeschosszonen, die Läden, die Vorplätze, die die Straße säumen, nicht planen ließen. Wenn auch nicht völlig verödet, so waren sie doch im Wesentlichen schlafmützig, auf jeden Fall ungeeignet, um den Weg in die HafenCity irgendwie zu versüßen. Es gab kurzfristig die Hoffnung, ein Hotel auf der SPIEGEL-Insel würde eine gewisse Lebendigkeit induzieren. Heute baut man darauf, dass ein attraktives, fertig gebautes Überseequartier ein ausreichend starker Magnet werde, um die Publikumsströme automatisch von A (Jungfernstieg) nach B (HafenCity) fließen zu lassen.

Dort, in der HafenCity, hat man die Bedeutung der Erdgeschosse für den öffentlichen Raum von Beginn an in die Planungen einbezogen, um Situationen wie an der Brandstwiete – oder noch schlimmer: an der Willy-Brandt-Straße – zu vermeiden. Erhöhte Erdgeschosse, die sich für öffentliche Nutzungen, für Büros, Gewerbe und Einzelhandel flexibel nutzen oder umnutzen lassen, sind fast überall in der HafenCity Pflicht. Dieses Prinzip wird so radikal durchgezogen, dass es sogar für Wohnhäuser gilt, wie am Kaiserkai.

Kaiserkai

Am Kaiserkai baute LRW erstmals in der HafenCity: Das Gebäude ist Teil eines größeren Blocks, der mit zwei weiteren Büros für fünf Genossenschaften und einen privaten Investor 2007 errichtet worden ist (3)

Dort war LRW zum ersten Mal mit der HafenCity in Berührung gekommen. Der Zuschlag für das Baufeld neben dem Vasco-da-Gama-Platz ging 2003 an drei Architektenbüros, darunter LRW. Dahinter stand der Versuch des Oberbaudirektors, die HafenCity kleinkörniger zu machen, nicht ganze Baublöcke an einen einzigen, sondern an mehrere Investoren und mehrere Architekten zu vergeben, um so mehr Vielfalt und Abwechslung zu schaffen. Gleichzeitig verabschiedete man sich vom Höchstpreisverfahren, mit dem man am Sandtorkai noch die Grundstücke an den Mann gebracht hatte. Stattdessen sollte nun alles stärker gemischt werden. Private Investoren, Baugemeinschaften und Genossenschaften sollten mit ins Boot, wobei sich gerade letztere natürlich erst einmal zierten, spielte die HafenCity doch hinsichtlich Kosten und Gestaltung in einer anderen Liga. Es kostete sie einigen Mut, sich wie der Altonaer Spar- und Bauverein auf ein hochwertiges Projekt wie am Kaiserkai einzulassen und dabei mit Architekten wie LRW zusammenzuarbeiten, die sie bis dahin nicht kannten. Aber sie sahen auch die Chance, sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte in der Innenstadt zu zeigen.

Am Kaiserkai galten strenge Regeln. Die Fassadenfluchten sollten durchgehend ohne Balkone sein, die Gebäudeecken akzentuiert, Verblender, Brüstungen und Geländer farblich abgestimmt werden – und erhöhte Erdgeschosse waren Pflicht. Die Genossenschaft, für die LRW am Kaiserkai baute, hatte zwar wie andere Wohnungsbauer kein Interesse daran, musste sich aber in das Korsett fügen. Heute sind dort Maisonette-Wohnungen, die sich aber – sollte sich das Viertel verändern – bequem in ein Geschäft verwandeln lassen.

Baakenhafen

Der LRW-Beitrag zum Wettbewerb am Baakenhafen wurde vom Auslober gekauft und wird Eingang in dessen Gestaltung finden (4)

Auch wenn der günstige Wohnungsbau am Anfang der Bürogeschichte von LRW steht, so hat sich ihr Spektrum inzwischen doch deutlich erweitert. Sie sind gefragte Stadtplaner geworden, die nicht nur hochpreisige, frei finanzierte Wohnungsprojekte entwickeln, sondern zum Beispiel Entwürfe für die Stadtgärten Lokstedt (2008), das neue Hörsaalzentrum am UKE (2009) oder den Baakenhafen (2011) geliefert haben. Dabei tragen ihre Arbeiten immer wieder die Handschrift „rationell und zukunftsweisend“, häufig auch „Wohnen“. Nicht umsonst arbeiten sie häufiger mit Genossenschaften zusammen. Die sind inzwischen – wenn auch nicht alle, so doch einige – mutiger geworden. Die Hansa, Bergedorf-Bille und der Bauverein der Elbgemeinden sind am Strandkai aktiv, obgleich die dortige Bebauung sehr anspruchsvoll wird. Zum Beispiel machte die hohe Dichte, in der dort gebaut wird, eine dreigeschossige Tiefgarage notwendig, was zu enorm hohen Entwicklungskosten führt. Gleichzeitig muss LRW mit dem Genossenschafts-Budget mit den Luxuswohnungen der Nachbarschaft, wie dem Turm von Hadi Teherani, mithalten.

Strandkai

Nachdem der Strandkai lange brach lag, wurden im Februar die neuen und ausgesprochen massiven Neubaupläne vorgestellt (5, 6)

Die Baudichte selbst ist ein Thema, nicht so sehr für die Architektin Loosen, umso mehr aber für die Stadtplanerin. Grundsätzlich sind kurze Wege und effiziente Infrastruktur natürlich gut. Sie geht aber auch zulasten der Freiräume, die in der Auffassung von LRW zu einem Haus quasi untrennbar dazugehören – ganz abgesehen davon, dass die Pläne für den Strandkai natürlich die so gerne gepriesene Innenstadtsilhouette, die Stadtkrone mit ihren Kirchtürmen, zustellen. „Es ist“, sagte Loosen kürzlich in einem TV-Talk, „noch einiges zu tun. Es geht nicht um einfache Themen wie in der funktionsgeteilten Stadt: Da ist nur Verkehr, da ist nur Grün, da ist nur Hochbau. Es geht um alles, um Hybride, um Nutzungsmischung, um die Vermittlung der verschiedenen Themen. Es geht auch darum, den Bürgern die Komplexität der Probleme zu erklären.“ Dafür ist LRW gut gerüstet, denn das Büro zeigt seit über 20 Jahren, wie sich für komplexe Fragestellungen nachvollziehbare, ja: rationelle und zukunftsweisende Lösungen finden lassen.

Text: Nikolai Antoniadis; Fotos: Thomas Hampel (2, 5), Felix Borkenau/artur (3); Visualisierungen: moka-studio (1, 6), bloomimages/André Feldewert (4)
Quartier 30, Juni–August 2015 , Rubrik:    
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