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Lebensraum

Nicht nur Menschen bevölkern Hamburgs neuen Stadtteil, auch andere Lebewesen haben hier inzwischen ihre Heimat gefunden


Bettina Mertl-Eversmeier

Die Tierwelt der HafenCity wird in den Hamburger Medien lebhaft diskutiert. Zunächst vermehrten sich die Brückenspinnen wie doll und hinterließen ihren Stuhlgang auf den glänzenden Fassaden. Bereits 2007 berichtete der „SPIEGEL“ von dieser Kehrseite des wassernahen Wohnens, derer man bis heute nicht wirklich Herr geworden ist. Michael Baden, Chefredakteur der „HafenCity Zeitung“ und Bewohner der ersten Stunde, riet im Frühjahr 2014 pragmatisch zum „maßgeschneiderten Insektenschutz für Fenster und Balkone“, der nicht nur kleine, grüne Zuckmücken fernhielte, sondern auch die Spinnen, die gerne kleine, grüne Zuckmücken fressen. Ebenfalls 2014 brachte es eine Ratte zu einer gewissen Berühmtheit, deren Schicksal in einem Blog auf „ZEIT ONLINE Hamburg“ für einen Vierteiler reichte. Die Nagerin wurde auf der Flucht vor einem ihr nicht wohlgesonnenen Menschen von einer Windböe erfasst und zerschellte an einer gläsernen Fassade. Michael Baden widersprach hier vehement, der Blogger bediene Vorurteile, nur in ihrer Anfangszeit habe es in der HafenCity Ratten gegeben. Aber Kaninchen und Spatzen, Mäuse und Fledermäuse, Möwen und andere Seevögel habe er in Hamburgs neuestem Stadtteil entdecken können. Die unglückliche Ratte war also offenbar eine Einzelkämpferin. Auch das noch.

Aber nun zu einer Spezies, über die das „Hamburger Abendblatt“ im Januar 2014 berichtete und über deren Vorkommen sich eigentlich alle freuen. Auf der Baustelle im südlichen Überseequartier hat der vom Aussterben bedrohte Sandregenpfeifer einen Brutplatz gefunden. Sein Zuhause ist normalerweise das Wattenmeer an der schleswig-holsteinischen Küste. Bekanntlich ruhen die Bauarbeiten im südlichen Überseequartier seit 2011. Eine zehn Meter tiefe Grube war bereits ausgehoben, in der sich Wasser sammelte. Die Brachfläche entwickelte sich zum idealen Biotop für den putzigen, kleinen Vogel. Vier Paare wollen Vogelkundler in der HafenCity bisher gesichtet haben. Und der Sandregenpfeifer steht in dem Ruf, seinem einmal gewählten Brutplatz treu zu bleiben.

Doch was passiert, wenn 2017 die Bauarbeiten wieder aufgenommen werden, wie es der neue Investor Unibail-Rodamco angekündigt hat? Es könnte sich ein Konflikt von mythischen Dimensionen abspielen: auf der einen Seite das größte börsennotierte Immobilien-Unternehmen Europas, auf der anderen vier Vogelpaare. Vermutlich ist der Sandregenpfeifer bei der HafenCity Hamburg GmbH in guten Händen. Geschäftsführer Jürgen Bruns-Berentelg hat Biologie studiert und den Vogel als einer der ersten wahrgenommen. „QUARTIER“ rät: Umsiedeln, und zwar innerhalb der HafenCity. Gelänge es, seine Population zu vergrößern, könnte sie bei der Lösung des eingangs erwähnten tierischen Problems helfen. Eine Leibspeise des Sandregenpfeifers sind nämlich Spinnen.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier
Quartier 30, Juni–August 2015 , Rubrik: ,    
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