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Rettungsinsel

Die Einrichtung des städtischen Notprogramms für Flüchtlinge in Wilhelmsburg hat nicht nur die üblichen Befürchtungen und Ressentiments zutage gefördert, sondern auch zahlreiche Solidaritätsbekundungen. Und nicht nur das: Als Mitglieder des Vereins Die Insel hilft legen viele engagierte Hamburger selbst Hand an
Die Insel hilft

Bewohner Wilhelmsburgs krempelten die Ärmel hoch, trafen sich nach einem Aufruf über Facebook und machten sich Gedanken darüber, wie sie ihre neuen Nachbarn willkommen heißen könnten (1)

Krieg, Terror, Hunger, politische oder religiöse Verfolgung oder der Traum eines besseren Lebens – schon immer sahen sich Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die Gründe sind so vielfältig wie die zeitgeschichtlichen Landkarten. Verließen noch von 1850 bis 1939 über fünf Millionen europäischer Auswanderer über Hamburg die „Alte Welt“, ist Europa heute das Ziel von Hunderttausenden Flüchtlingen auf der Suche nach Schutz und Sicherheit. Während viele von ihnen dabei ihr Leben verlieren, erreichen wenige Deutschland und Hamburg.

„Es ist immer wieder dieselbe Geschichte“, stellt Hisam, ein syrischer Kurde, der seine Heimat zu Fuß verließ, nach dem Besuch des Auswanderermuseums in der BallinStadt fest. Dass er seit Januar in Hamburg ist, daran sind Krieg und Terror in Syrien schuld, dass Hisam heute mit anderen Bewohnern der Flüchtlings-erstaufnahme Dratelnstraße in der BallinStadt ist, verdankt er dem Engagement der Mitglieder des Vereins Die Insel hilft.

IT-Experte Ralf Büning organisiert regelmäßig für Menschen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in Wilhelmsburg Führungen durch das Auswanderermuseum, das dafür Freikarten zur Verfügung stellt. Erik Benz, der früher mit dem THW im Auslandseinsatz war, sorgt für die An- und Abfahrt.

Die Insel hilft

Ralf Büning (ganz oben links) organisiert für Flüchtlinge, die in Hamburg untergebracht werden konnten, Besuche im Auswanderermuseum BallinStadt (2)

Als immer mehr Flüchtlinge Ende letzten Jahres Hamburg erreichten und die Unterbringungssituation sich eklatant verschlechterte, richtete die Stadt unter anderem in Wilhelmsburg neue Erstaufnahmeeinrichtungen ein. Während einige Bewohner des Stadtteils ihre Befürchtungen formulierten, krempelten andere die Ärmel hoch, trafen sich nach einem Aufruf über Facebook und machten sich Gedanken darüber, wie sie ihre neuen Nachbarn willkommen heißen könnten.

Innerhalb kürzester Zeit wurde mithilfe vieler Wilhelmsburger eine prall gefüllte Kleiderkammer organisiert, Deutschunterricht angeboten, Lernmaterial beschafft und betreute Spielmöglichkeiten für die Kinder geschaffen. Und Ralf, der wegen einer Krankheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wurde zum Museumsführer.

Ohne die vielen Unterstützer wäre dieser Kraftakt nicht möglich gewesen, denn die Helfer wurden von einer Welle der Hilfsbereitschaft überschwemmt. Tonnen an Kleidung mussten gesichtet und sortiert werden, Wohnungsbaugesellschaften stellten Räume zur Verfügung, Unternehmen halfen mit Sachspenden wie Schreibmaterial aus und kulturelle Einrichtungen ermöglichten kostenlose Besuche.

Und auch die Flüchtlinge bringen sich ein. Darunter Kasam aus Syrien, der seine Familie in Aleppo zurücklassen musste und ebenfalls seit Januar in Deutschland ist. Er hilft in der Kleiderkammer und unterstützt die Helfer, indem er aus dem Arabischen ins Englische übersetzt.

Diana Ennet

Diana Ennet, die Vorsitzende des jungen Wilhelmsburger Vereins Die Insel hilft (3)

Aus der Vielzahl der Helfer entsteht zurzeit ein gemeinnütziger Verein. Eine organisatorische Notwendigkeit, die es unter anderem möglich macht, dass Die Insel hilft e. V. Zuwendungen erhält und Spendenbescheinigungen erstellen kann. Den Herausforderungen der Vereinsgründung, zu denen die umfangreichen Gespräche mit Vereinsregister und Finanzamt gehören, stellt sich Diana Ennet als Vereinsvorsitzende. Die selbstständige Unternehmerin, die in Abstimmung mit ihrer Familie ein Sabbatjahr einlegt, sieht ihre Aufgabe darin, den anderen Helfern den Rücken von Formalien freizuhalten. „Viele Menschen wollen helfen, wissen aber nicht wie. Wir suchen Freiwillige, die sich mit ihren Stärken einbringen wollen“, schildert Diana ihre Arbeit. Einmal im Monat treffen sich die Unterstützer in der Honigfabrik, ein Kulturzentrum auf der Insel, und laden offen alle Interessierten ein. Integration und Willkommenskultur sind kein Hexenwerk – der Verein Die Insel hilft und die vielen anderen Menschen, die sich in Hamburg für Flüchtlinge einsetzen, beweisen das.

Die Insel hilft e. V.
www.fluechtlingshilfe.org

Text: Conceição Feist; Fotos: Jonas Wölk (1, 2), Conceição Feist (3)
Quartier 30, Juni–August 2015 , Rubrik:    
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