Der Hafenchronist
Obwohl für die Werbung aufgenommen, besitzen die Fotos von Gustav Werbeck in der Rückschau weit mehr als nur zeitgeschichtliche Qualitäten
Gustav Werbeck trat 1917 eine Lehre als Schriftsetzer an. Sieben Jahre später, 1924, machte er sich selbstständig und begann, professionell zu fotografieren. 1927 erhielt Werbeck, dessen Vater Sprachlehrer an der Deutschen Seemannsschule war, eine feste Anstellung als Fotograf und Grafiker bei der Staatlichen Kaiverwaltung, aus der später die Hamburger Hafen- und Lagerhaus-AG hervorging. Über 40 Jahre war er für den Hafen tätig.
In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg fotografierte Werbeck mit einer Plattenkamera (9 mal 12 cm), einer Reisekamera (10 mal 12 cm) und einer 13-mal-18 Kamera. Er benutzte Glasnegative, die er selbst herstellte, und ging mit nur vier Glasplatten und ohne Belichtungsmesser in den Hafen, wie er seinerzeit erzählte. Durch diese Beschränkung war Werbeck gezwungen, bei jedem Versuch ein optimales Foto zu schießen, bei dem Komposition und Belichtung stimmen mussten. Dabei konnte er auch nicht mal eben nach St. Annen 1 zurück, um neue Glasplatten aus seinem Büro zu holen; denn er war meistens mit einer kleinen Barkasse der HHLA unterwegs. Die Aufnahmen, die er machte, waren meist zweckgebunden und entstanden mit dienstlichem Auftrag. Daher waren sie nur einem kleinen Kreis bekannt. Er sollte schließlich keine Postkarten-Motive machen, sondern die Anlagen im Hafen und den Umschlag dokumentieren. Damals waren auch andere Fotografen in Hamburg unterwegs und bekannt, zum Beispiel Hans von Seggern oder Hans Andres. Die fotografierten allerdings nur die „Schokoladenseiten des Hafens“, etwa die Ozeandampfer und Luxusliner an den Landungsbrücken oder vor dem Kaiserspeicher (an dessen Stelle heute die Elbphilharmonie entsteht), die dann auch als Postkarten vermarktet wurden.
Zu Beginn des Jahres 1936 schuf Werbeck Bahnbrechendes mit Hafenaufnahmen, die mit ihrem Format von 3,30 Metern Breite und 2,30 Metern Höhe im Rahmen der Ausstellung „700 Jahre Berlin“ in der Hauptstadt Aufsehen erregten. Denn es war damals außergewöhnlich, solche Vergrößerungen anzufertigen.
Erst in den 1980er Jahren entdeckte man den Reiz und die Qualität seiner Aufnahmen, die über die reine Dokumentation des Hafens hinausgingen. Aus seinem Nachlass, einem Schatz von etwa 1.200 Bildern, entstanden zwei Bildbände über den Hafen in den 1930er Jahren. Herausgeber war die HHLA. Der erste Band erschien 1989 zu Werbecks Lebzeiten; der zweite Band erschien 1996. Es gibt keine besseren zeitgenössischen Aufnahmen, die Hamburgs Hafen in diesem Umfang zeigen.
Als Grafiker gestaltete Werbeck unter anderem auch Anzeigen und Werbeschriften sowie Messestände und Ausstellungen für den Hafen, denn bis 1972 war die HHLA zuständig für die Werbung des Hafens. Es war dies eine Zeit, in der Grafiker noch mit Reißbrett, Zieh- und Zeichenfeder, Tusche, Pinsel, Schere und Klebstoff arbeiteten. Änderungen oder Fehler waren nicht so leicht zu korrigieren wie heute, man musste etliche Skizzen und Entwürfe anfertigen, bevor man eine sogenannte Reinzeichnung anfertigte, eine Vorlage, die reprofähig war für die Herstellung von Lithografien oder Klischees (Druckvorlagen). Je nach Motiv konnte das manchmal Tage dauern. Aus einem Guss waren seine Anzeigen und Druckvorlagen, da er die Schriften selbst zeichnete und nicht in der Setzerei zur Montage in seine Reinzeichnung absetzen ließ. Sie unterschieden sich von den Arbeiten anderer europäischer Häfen, denn deren Anzeigen bestanden meist nur aus einem Foto mit Werbetext.
Gustav Werbeck verabschiedete sich 1967 aus der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der HHLA. Er starb 91-jährig im Jahr 1993.
Text: Manfred Stempels, Fotos und Grafiken: Hamburger Hafen und Lagerhaus AG