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Im Frühsommer 2016 wird der Lohsepark, auch Central Park der HafenCity genannt, für uns Hamburger komplett freigegeben. QUARTIER hat schon einmal „reingeschaut“ und mit dem Mann gesprochen, der ihn konzipiert und komponiert: Günther Vogt aus Zürich

Lohsepark

Günther Vogt: Die Arbeit seines Büros, sagt er, bewegt sich „zwischen Geometrie und Poesie“ (Foto links: Vogt Landschaftsarchitekten AG)

Ohne ihre Parks, Promenaden und Plätze wäre die HafenCity im buchstäblichen Sinne nur die Hälfte wert. Denn Grundstücke gewinnen dann besonders an Wert, wenn sie grün eingebettet sind. Auch in der Innenstadt. Die grüne HafenCity krönt sich nun durch den Lohsepark. Und der Königsmacher ist der renommierte Schweizer Landschaftsarchitekt Günther Vogt. „Schon wieder ein Schweizer“, höre ich aus dem Hintergrund die Nörgler und Kritiker murmeln: „Können wir es nicht selbst?“ Günther Vogt hat 2010 den Wettbewerb für den Lohsepark gewonnen und sein Konzept war überzeugend, denn viel mehr als ein neues „grünes“ Zimmer in der HafenCity wird dort heranwachsen, eine geheimnisvolle „Wunderkammer“, wie ein kleines Büchlein von Günther Vogt heißt (Landschaft als Wunderkammer, Zürich 2015).

 

Günther Vogt ist Schweizer und fanatisch verliebt in die Grandezza der helvetischen Alpenlandschaft. Aber er ist auch Bewunderer Hamburgs: „Man spürt einen Spirit“, sagt er,
und dieses ungeheure Konstrukt der künstlichen Hafenlandschaft inspiriert ihn

 
 

Hamburgs neuer „Central“ Park wird zur ersehnten grünen Lunge im Hafenland, der mit über 500 Bäumen und einer gefälligen Vegetationsschneise die City mit der Elbe verbindet. Mit 4,4 Hektar ist der Lohsepark, der nach dem Architekten und Ingenieur Hermann Lohse (1815–1893) benannt wurde, eigentlich klein. Der große Bruder im Big Apple ist bald 100-mal so groß, der Stadtpark besitzt die 30-fache Größe, der Volkspark in Altona (gerade 100 Jahre alt geworden) misst 205 Hektar. Die Anerkennung Central Park hat also weniger mit Größe zu tun als mit dem Charakter: Hohe Wandscheiben als Fassaden der luxuriösen Wohnungen, die hier zur Zeit entstehen, werden den Handtuchpark mit nur 80 Metern Breite bei 800 Metern Länge martialisch einrahmen, und das wirkt dann so wie in Manhattan. Hoch und flach, klein und doch ganz groß, und was da auf so engem Raum programmatisch und topografisch alles passiert, grenzt wirklich an ein Wunder: Terrassen und Rasenflächen – Verweile doch! Du bist so schön! Dazu Spielorte für Kinder und Jugendliche, wie eine steinerne Grotte und eine von Jugendlichen bereits heftig umlagerte Streetball-Anlage, die im Sommer 2015 eröffnet wurde. Eine dichte Packung und ein Wechsel der Gefühle, wenn wir einbeziehen, dass der Lohsepark auch Hamburgs erstes Mahnmal des Naziterrors in der Innenstadt aufnimmt, denn die HafenCity ist ja erklärtermaßen eine Erweiterung der Innenstadt.

Lohsepark

Der Lohsepark vereint auf einer verhältnismäßig kleinen Fläche eine ganze Reihe unterschiedlicher Nutzungen, darunter einen neuen Basketball Court und weitläufige Bereiche, die zum Ausruhen, Spielen oder Spazierengehen einladen sollen

Lohsepark

Günther Vogt tändelt gern zwischen den Welten. Zwischen „Geometrie und Poesie“ sagt er. Unter diesem Titel schrieb er 2007 zu einer Ausstellung über die Arbeit seines Büros: „Der Geograf erschließt sich seine Welt durch das Fernrohr, der Botaniker mit der Lupe, der Biologe im Mikroskop […]. Eine Landschaft nimmt man unter die Füße, eine Pflanze in die Hand!“ Und an anderer Stelle: „Ich liebe es, die Maßstäbe zu wechseln!“ In etwa ist das auch eine Beschreibung der Lohsepark-Logik. Vielfältig und widersprüchlich soll dieser funktionieren. Günther Vogt liebt Gegensätze und Mehrschichtigkeit. Im Lohsepark ergibt sich die aus der Geschichte und sorgt vor allem für drei unterschiedliche Level. Das sind die historische Ebene mit ihren 5,4 Metern Höhe (über NN), die prinzipiell Hochwasser gefährdet war, weil das Gebiet außerhalb Hamburgs Hauptdeichlinie lag. Der Park selbst liegt auf 6,5 Metern Höhe, steigt aber zur Ericusspitze hin zum Stadtniveau, also der Höhe, wo die umliegende Bebauung ihr Erdgeschoss besitzt (acht Meter), an. Auf dem historischen Niveau lag der ehemalige Hannoversche Bahnhof, dessen Architekt eben Hermann Lohse gewesen ist. Der Bahnhof bildete im Ursprung den Endpunkt aller Eisenbahnlinien nach Süden. Nach Bau des Hauptbahnhofs wurde er immer unwichtiger und, weil er im kontrollierten Bereich des Freihafens lag, schließlich von den Nazis als zentraler Deportationsort der Juden und anderer Verfolgter in den Osten missbraucht. Geschichte und Topografie des Lohsepark-Terrains sind stark komprimiert, eine dichte Packung eben, was ein Begriff aus der Chemie ist und auf eben eine höchst mögliche Verdichtung der Teilchen hinweist.

Lohsepark

Der Park führt von der Ericusbrücke bis zur HafenCity Universität und an die Elbe (Abbildung: Vogt Landschaftsarchitekten AG)

Günther Vogt ist Schweizer und fanatisch verliebt in die Grandezza der helvetischen Alpenlandschaft. Aber er ist auch Bewunderer Hamburgs: „Man spürt einen Spirit“, und dieses ungeheure Konstrukt der künstlichen Hafenlandschaft inspiriert ihn. Das heißt, er lässt diese grüne Landschaftszunge von der Ericusspitze bis zur Elbe von Wasser zu Wasser auf einen ungewöhnlichen point de vue laufen: Wo man früher in Versailles oder im Fürst-Pückler-Land ein Schloss in die Sichtachse setzte, gemahnen heute altes und neues Hafeneisen an die großartige maritime Vergangenheit. Diese Achse ist der eine Leitgedanke der generierten Landschaft als Wunderkammer, der andere sei eben „die präzise räumliche Staffelung in drei Höhenstufen – Stadt-, Park- und historische Ebene“. Mit einem Theater verglichen heißt das: Zuschauerraum, Bühne für die Darsteller (also wir Parkbenutzer) und ein Musikergraben oder geheimnisvoller Keller. Für Günther Vogt ist Garten-, Park- und Landschaftsplanung in Hamburg der deutsche Beitrag zum „Kulturgut Volkspark!“ und der Lohsepark ein Garten des 21. Jahrhunderts, der das 20. Jahrhundert reflektiert. Also ein freier, öffentlicher Treffpunkt für alle. Als sozialer Landaustausch für alle diejenigen, die keinen eingezäunten Garten besitzen oder benutzen dürfen. Die Plätze, Spots und Räume des Parks „changieren zwischen Ruhe (die Orte am Wasser) und urbanem Leben, zwischen spürbarer Geschichte, gelebter Geschichte und einer in die Zukunft gerichteten Gestaltung“, so die Ziele der Planer.

Dieses step-by-step Denken in Bauabschnitten prägt auch das ambitionierte Vorhaben einer zentralen Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof für die deportierten norddeutschen und Hamburger Bürger unter dem Naziterror. Schon seit September 2013 ist in einem kleinen Infopavillon die temporäre Dokumentation „In den Tod geschickt“ von Linde Apel zu sehen. In den 1940er Jahren war der Bahnhof Ausgangspunkt für die Deportation von mindestens 7.692 Juden, Sinti und Roma nach Auschwitz und anderswohin. Bombenangriffe haben im Krieg für die Zerstörung des ehemaligen Hauptgebäudes gesorgt. Das beschädigte Portal wurde wurden 1955 gesprengt. Es gibt also nur noch wenige Fragmente und Spuren. Allerdings konnten bauliche Reste des Bahnsteigs identifiziert werden, von dem aus zwischen 1940 und 1945 zwanzig Transporte von Opfern und Gegnern des Regimes abgefertigt wurden. Günther Vogt hat das zum Grundgerüst seines Konzeptes gemacht und will dort „Geschichte sprechen lassen“. Die alte Trasse wird zur Fuge zwischen gestern und heute, zwischen Bahntrasse und Park; ein geschickt modellierter Graben.

Insgesamt besteht die Gedenkstätte aus drei Elementen. Erstens einem Dokumentationszentrum am Rande des Parks an der Ecke Steinschanze/Am Lohsepark (in Planung). Dort wird im Erdgeschoss eine Dauerausstellung zum Schicksal der Deportierten ihren würdigen Ort erhalten. Zwischen dem Lohseplatz mit dem Museum führt schließlich die mehrere hundert Meter lange Fuge als Erinnerungsweg auf der alten Bahntrasse zum eigentlichen Gedenkort. Aufgezäumt und eingerahmt durch eine im Profil aufgefaltete Mauer. Günther Vogt will immer wieder durch unverständliche, überraschende geschichtliche Elemente Fragen aufwerfen. Und: „Der Besucher entscheidet, ob er diese Fragen offen lässt oder ihnen nachgeht.“

Lohsepark

Im Vorfeld zur Realisierung des Quartiersparks gab es ausführliche Diskussionen darüber, welche Nutzungen er aufnehmen soll und kann, ohne zu einem „Themenpark“ mit Eventcharakter zu verkommen: Zu den sehr unterschiedlichen Nutzungen zählen unter anderem die Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof (links oben) und gleichzeitig reine Erholungsbereiche wie vor der HafenCity Universität (rechts oben) oder am Baakenhafen (unten)

Lohsepark

Der Mann, der diesen Park zusammen mit seinem Team plante, ist ein globaler Grüner. Das Hauptbüro liegt in Zürich, aber auch Berlin ist Vogt-Land. An der Linienstraße in Mitte, wo es keine Landschaftsräume, sondern Kulturräume ganz anderer Art gab, besonders in der Wendezeit. Vogt liebt also die Gegensätze. Und er ist ein professioneller Planer, 24 Stunden lang und gleichzeitig einer dieser Energiemenschen, dem ein international tätiges Büro nicht reicht und der dann eben noch Lehre und Forschung betreibt (an der ETH Zürich, wo er sein Studio wie eine Küche ausstaffiert hat und beim gemeinsamen Kochen mit den Studenten seine Garten-Lehren weitergibt). Günther Vogt hat in der Welt Maßstäbe für ein neues Verständnis von Landschaftsplanung gesetzt. Er hat dabei mit Künstlern wie Ólafur Elíasson und Architekten wie Herzog de Meuron, Frank O. Gehry oder Christ und Gantenbein zusammengearbeitet: Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Indien, Hongkong und in London. Dort hat er die Freiräume für das Olympische Athletendorf 2012 in London (East Village) entworfen. Dieser Mann und sein Team tun auch Hamburg gut und die entsprechende Nachricht ist, dass diese auch in Hamburgs Olympiaplanungen involviert sind.

Text: Dirk Meyhöfer, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik:    
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