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Kurze Zwischenfrage

Gedanken zum Zauberwort „Stadtmarketing“

Antoniadis

Nikolai Antoniadis

Es ist wie Weihnachten und Ostern zusammen. Und Hafengeburtstag und Kirschblütenfest und Musicalpremiere. Für alle, für die „Stadtmarketing“ das Zauberwort der Stadtentwicklung ist und die im Wettbewerb zwischen Städten den wahren Clash of Civilizations wittern – für die ist die Olympiabewerbung die Mutter aller Schlachten. Die Welt wird auf Hamburg blicken. Und jeder, der sich auskennt, weiß: Wer auf eine Stadt blickt, klickt nur zwei, drei Mal. Was er dann nicht findet, interessiert ihn nicht. Und was finden wir da? Das Olympiastadion, gleich neben der Elbphilharmonie, vielleicht noch den Dom. Aber mal Hand aufs Herz: Was ist denn aus dem guten alten Hamburger Understatement geworden? Dieser biederen, schnöseligen Zurückhaltung, dieser wohlwollenden Mittelmäßigkeit, in der wir uns so geborgen fühlen?

Seit ein paar Jahren will man uns bei Bauvorhaben jeder Größenordnung suggerieren, dass uns diese ur-hamburgische Attitüde zurückwerfe, dass wir diese Leuchttürme brauchen. Und dass wir dafür eben große Namen brauchen, denn große Namen locken große Investoren. Egal, ob Koolhaas oder de Portzamparc, Hauptsache Pritzker-Preis. Hauptsache Star-Architekt. Wer wird denn das Olympiastadion bauen? Gmp vielleicht? Wohl kaum! Wenn die ein Bird’s Nest an der Elbe bauen, sieht’s am Ende aus wie ’ne große Haspa-Filiale! Aber während das Stadtmarketing mit Investorenarchitektur und Möchtegern-Ikonen um Aufmerksamkeit buhlt, werden wir an anderer Stelle beschwichtigt, wenn ganze Wohnviertel in Einheitsarchitektur entstehen, mit „publikumsbezogenen Erdgeschosszonen“, die einfach nur vollverglast sind und überall gleich aussehen, ob Kaiserkai oder Hoheluft-Ost. Aber: Immerhin, es ist Backstein. Jeder geleckte Wohnwürfel heißt heute „Quartier“, jedes Bürohaus darf sich „Kontor“ nennen. Sagt mal, denkt ihr, ihr könnt uns auf den Arm nehmen? Wollen wir mehr sein als wir sind? Oder ist man nur noch hamburgisch, wenn man nicht über jedes Stöckchen springt, das das Stadtmarketing hinhält? Der Quiddje protzt, der Hanseat nörgelt.

Überall wird gebaut als gäbe es nichts anderes, wofür man Geld ausgeben könnte. 6.000 Wohnungen im Jahr! Gut, wir wollten das. Auch wenn man sagen muss, dass das die Mieten nicht gerade entspannt hat. Das war ja eigentlich der Anlass, um diese Baulawine zu rechtfertigen – neben dem Stadtmarketing natürlich, denn wo sollen die denn alle wohnen, die auf hamburg.de klicken und die Elbphilharmonie und das Olympiastadion sehen und dann nach Hamburg ziehen wollen? Und jetzt auch noch 4.600 Wohnungen für Flüchtlinge. Gut, auch das wollten wir. Zumindest die meisten von uns. Na, und jetzt eben noch Olympia. Wollen wir das? Sicher dürfen wir uns da auf eine ganze Reihe von Skandalen freuen. Oder meint ihr ernsthaft, Olympiastadion oder Schwimmhalle würden im Budget bleiben? Natürlich nicht! Sie werden Unsummen kosten, nicht aus-sehen wie geplant, nicht rechtzeitig fertig sein und Hamburg vor aller Welt bloßstellen. Vielleicht verlässt ein Architekt über Nacht das Land und kehrt nie zurück. Hinterlässt aber einen Leuchtturm und eine tolle Geschichte. Mal ganz ehrlich: Wollen wir das? Ich denke, wir wollen das.

Text: Nikolai Antoniadis, Foto: Astrid Hüller
Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik: ,    
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