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Wunsch und Wirklichkeit

Sehen kann man es noch nicht, eigentlich sieht es immer noch so aus wie immer. Aber das südliche Überseequartier hat wieder Fahrt aufgenommen. Wohin die Reise geht, ist zwar seit einem Jahr bekannt, aber die Geschichte lehrt uns, dass nicht immer alles nach Plan läuft

Überseequartier

Überseequartier

Dass das Überseequartier im Süden irgendwann so aussieht wie in dieser Visualisierung, ist unwahrscheinlich: Das Ensemble an der Waterfront wird ganz neu überarbeitet

„Wir haben mit allen getanzt“, sagte Olaf Scholz vor fast genau einem Jahr, im Dezember 2014. „Mit allen, die weltweit investieren und die Kraft haben, ein so großes Projekt zu stemmen.“ Das „große Projekt“, damit meinte er das Überseequartier, genauer gesagt dessen südlichen Teil. Nun gab es also endlich Klarheit. Für die neugierigen HafenCity-Besucher, deren Spaziergang durchs Quartier ganz unvermittelt an der Überseeallee endete. Für die Gäste des 25hours Hotels, die aus der Vinyl Lounge seit Jahren auf vollgeregnete Baugruben blickten. Und für alle, die schon lange wissen wollten, wie es wohl weitergehe, aber sich nicht zu fragen trauten – war doch häufig zu hören, alles liefe mehr oder weniger nach Plan. Das Science Center? Natürlich wird das gebaut. Überseeboulevard? Eine Frage der Zeit. Büroleerstand? Die Nachfrage ist zyklisch, das ist normal. Aber irgendwann ließ es sich nicht mehr wegreden. Den Investoren war die Puste ausgegangen.

Das schien jenen Recht zu geben, die von Anfang an geunkt hatten, ein einzelner Investor könne das Projekt über einen so langen Zeitraum nicht stemmen. Die Wirtschaftskrise hatte seit 2008 die Finanzierung großer Bauvorhaben massiv erschwert. Außerdem waren die Kosten für gewerbliche Bauvorhaben gestiegen, während die Nachfrage nach solchen Flächen zurückging. Als erster wollte die ING Real Estate Development International aussteigen. Im Mai 2013 übernahmen die verbliebenen Partner Groß & Partner und Bouwfonds (inzwischen SNS) je 50 Prozent des Konsortiums. Da das Bankhaus SNS samt Töchtern aber in tiefroten Zahlen stand und allein durch Verstaatlichung vor dem Abgrund gerettet wurde, war auch dieser Partner (der fortan Propertize hieß) aus dem Rennen; keine sechs Monate nach der ING gab auch die SNS auf. Daraufhin entzog sich die Stadt Hamburg ihrer Verpflichtung, Flächen im Überseequartier zu mieten: Man konstastierte trocken, dass die taumelnden Investoren das südliche Überseequartier auch dann nicht mehr verwirklichen könnten, wenn die Stadt dort Mieterin würde. Die finale Diagnose: Das Konsortium war am Ende.

 

Das Science Center? Natürlich wird das gebaut. Überseeboulevard? Eine Frage der Zeit.
Büroleerstand? Die Nachfrage ist zyklisch, das ist normal

 

Seit 2013 begab man sich auf die Suche nach einem neuen Investor. Gesucht wurde aber nicht irgendein Partner – die übliche Kombination aus Banken und Immobilienunternehmen –, sondern einer „mit hoher Einzelhandelskompetenz“. Man fand ihn schließlich in dem Immobilien- und Investmentkonzern Unibail-Rodamco, nach eigenen Angaben „Europas führendes börsennotiertes Gewerbeimmobilienunternehmen“. Unibail war bereit, 860 Millionen Euro in die Hand zu nehmen – mehr als vom Überseekonsortium 2005 für das gesamte Quartier bereitgehalten worden war. Allerdings hat sich die Lage auch geändert. So kaufte der Konzern nicht nur das Überseequartier, sondern auch zwei Grundstücke, die bisher der Stadt gehörten, namentlich das Gelände, auf dem das Science Center geplant war, sowie ein weiteres Areal im Norden des geplanten Kreuzfahrtterminals, denn das solle nun, so ließ der Senat verlauten, als „integraler Bestandteil in das Gesamtkonzept der Entwicklung des südlichen Überseequartiers einbezogen werden“.

Das war nicht die einzige Aussage, wegen der einige im Dezember 2014 nachdenkliche Gesichter machten. So erklärte der Senat auch, die Hansestadt sei bereits seit 2008 nicht mehr bereit gewesen, einen finanziellen Beitrag zum Science Center zu leisten. Hört, hört! Rem Koolhaas hatte im Januar desselben Jahres gerade seinen Entwurf für das Science Center überarbeitet und einen neuen, noch sensationelleren im Kesselhaus präsentiert – und wenige Monate später stieg die Stadt aus dem Projekt aus? Überraschend auch die rückwirkende Feststellung, das Konsortium sei auch gescheitert, weil dessen Konzeption des Quartiers mangelhaft gewesen sei. Und schließlich wurde mal ganz trocken festgestellt, dass eine Integration von City und HafenCity nicht stattgefunden habe – nicht etwa, weil das südliche Überseequartier noch nicht fertig war, sondern weil mit der Domplatzbebauung ein Trittstein für diese Anbindung entfallen sei. War nicht gerade diese Bebauung – im Zusammenspiel mit der Europa-Passage und den Arbeiten an der Brandstwiete – als Baustein der neuen Nord-Süd-Verbindung gedacht gewesen? Außerdem, so der Senat, wirke die Trennung durch die Willy-Brandt-Straße und die Speicherstadt weiterhin zu stark, die City habe sich in den letzten zehn Jahren nicht in Richtung HafenCity entwickelt und werde es auch in den kommenden Jahren nicht tun. Mit einem Wort: Die HafenCity ist abgeschnitten.

Überseequartier

Überseequartier

Wo heute noch Baugruben das Bild beherrschen, werden in ein paar Jahren mondäne (und überdachte) Einkaufsstraßen ein breites Einzelhandelsangebot für Touristen bieten

Um diesen unguten Zustand zu beenden, wurde das bemängelte Konzept nun überarbeitet. Erster Punkt: Es wird im Süden mehr Wohnungen geben, um einer Forderung der Bürgerschaft von 2013 zu entsprechen, allerdings werden keine davon gefördert. Offizieller Grund: Das Areal gehöre eben Unibail und nicht der Stadt. Der neue Wohnraum wird möglich, weil die geplanten Büroflächen radikal gestrichen wurden. Waren zunächst für das gesamte Überseequartier 142.000 Quadratmeter für Büros vorgesehen, sind es nach aktueller Planung nur noch 90.000, und zwar inklusive der fast 22.000 Quadratmeter in dem Gebäude, das anstelle des Science Centers entstehen wird.

Die bedeutendste Reaktion auf „konzeptionelle Mängel“ ist aber der enorme Zuwachs an Einzelhandelsflächen. Schon vor 2005 hatte der Hauptkonkurrent des Überseekonsortiums, der Verbund aus dem Einkaufszentrums-Riesen ECE, der DIFA (heute Union Investment) und Tishman Speyer, eine geschlossene Shopping Mall für das Quartier vorgeschlagen. Und als die ING sich 2012 durch Verkauf ihrer Anteile an einen Einzelhandelspartner retten wollte, wurde immer wieder ein klimatisiertes, geschlossenes Einkaufszentrum ins Spiel gebracht – was die Behörde für Stadtentwicklung und die HafenCity Hamburg jedoch ablehnten. Als dann ein Jahr später nach neuen Investoren gesucht wurde, bestanden viele Interessenten ebenfalls auf einem geschlossenen Shopping Center. Allein Unibail war zu einer offenen, nicht klimatisierten Konzeption bereit – die allerdings überdacht sein wird. Im Südosten zur Überseeplaza wird es sogar eine Türanlage geben, im Südwesten eine verschiebbare Tür. Dieses Konzept, so der Senat, sei kein geschlossenes Shopping Center, sondern erinnere an ein „offenes Galeria-Konzept des 19. Jahrhunderts“. Seitens der Stadt wird jedenfalls streng darauf geachtet, Begriffe wie „geschlossen“ und „klimatisiert“ und „Shopping Center“ zu vermeiden, besonders nachdem sich die Bürgerschaft 2013 explizit gegen ein geschlossenes, klimatisiertes Shopping Center ausgesprochen hatte. Shopping Center, Mall oder Galeria: Der Einzelhandel hat für Investoren und Stadt augenscheinlich gewaltige Bedeutung. Man geht sogar so weit zu sagen, der Einzelhandel südlich der Überseeallee habe nicht nur für das Überseequartier eine „fundamentale Bedeutung“, sondern auch für die ganze HafenCity, ja die gesamte Innenstadt. Um nämlich HafenCity und City zu verbinden, brauche man einfach mehr Einzelhandel.

Nicht weiter geplant ist der südliche Abschluss des Quartiers an der Elbe. Das Ensemble der Architekten Massimiliano Fuksas, Erick van Egeraat und Rem Koolhaas wird es jedenfalls nicht mehr geben. Fest steht nur, dass das Kreuzfahrtterminal um ein Drittel größer wird und dass Unibail aus Frankreich den Architekten Christian de Portzamparc mitgebracht hat, der anstelle des Science Centers keinen neuen „Leuchtturm“, aber ein „signalsetzendes Gebäude“ entwerfen wird. Beginn der Bauarbeiten wird wohl 2017 sein, die ersten Gebäude sollen 2021 stehen – rechtzeitig, um von Portzamparcs Panorama-Deck zum Olympiastadion zu schauen.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel, Visualisierungen: Unibail-Rodamco⁄Moka-Studio
Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik:    
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