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Freiräume für kreative Köpfe

Werbung, PR, Design: Die Speicherstadt entwickelt sich zu einem der bevorzugten Agenturstandorte in Hamburg.
Stefan Kolle (Foto) und Stephan Rebbe leiten mit Kolle Rebbe eine der erfolgreichsten Werbeagenturen Deutschlands.

Stefan Kolle (Foto) und Stephan Rebbe leiten mit Kolle Rebbe eine der erfolgreichsten Werbeagenturen Deutschlands.

Auf der Suche nach Büroräumen kam Stefan Kolle eines Tages in die Speicherstadt. Als er die Galerie eines Bekannten betrat, die sich über zwei Böden eines alten Speichers erstreckte, stand für ihn fest: Hier soll sein neues Büro entstehen. Das Areal, zu jener Zeit noch Zollausland, war gerade im Zuge der Titanic-Ausstellung und der ersten Aufführungen des „Hamburger Jedermann“ aus seiner langjährigen Abgeschiedenheit auf die Hamburger Landkarte zurück geholt worden. Die Ansiedlung einer Werbeagentur schien zwar zunächst noch etwas fernliegend, aber Kolle und sein Partner Stephan Rebbe wurden schließlich mit der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) einig und zogen 1996 mit ihrer Agentur Kolle Rebbe in die Dienerreihe. Die Speicherböden wurden aufwendig ausgebaut, zum überwiegenden Teil nach eigenen Plänen. Es entstanden helle und transparente Büroeinheiten, die bald zu einer Art Standard wurden. Zahlreiche Firmen meldeten sich an, um in Augenschein zu nehmen, wie Büros in den alten Speichergebäuden modern gestaltet werden können, ohne den Industriecharakter zu zerstören. Die Büros von Kolle Rebbe werden heute noch als Drehort und Kulisse genutzt, erst kürzlich für einen TV-Spot zur Wahlkampagne von Angela Merkel. Die Agentur hat sich nach ihrem Umzug stark vergrößert. Als sie die Büros in der Dienerreihe bezog, beschäftigte sie etwa 20 Mitarbeiter; heute sind es fast 200. Die Agentur musste deshalb auch räumlich mitwachsen. Decken wurden geöffnet, Wände umgelegt. Heute belegt Kolle Rebbe zehn Böden, verteilt über drei Speicher.

Für die meisten Kunden sind Holzstühle in einem alten Speicher eine willkommene Abwechslung zu Chrom und Stahl.


Inzwischen haben auch zahlreiche weitere Agenturen den Standort für sich entdeckt und ihren Sitz hierher verlegt. Die Zollgrenzen sind gefallen, und Mitarbeiter, Kunden und Kurierfahrer werden nicht mehr bei jeder Fahrt aus der Speicherstadt nach möglicher Schmuggelware durchsucht. Das Speicherstadt-Ensemble steht aber unter Denkmalschutz, und der Bezug eines alten Speichers ist an bestimmte Auflagen gebunden. So dürfen die Fassaden nicht verändert werden. Klingelschilder müssen einheitlich sein, und die goldenen Firmenschilder können sich bestenfalls in der Größe von anderen unterscheiden. Ansonsten gleichen sie einander wie ein Backstein dem anderen. Die Agenturen, deren Kernaufgabe in aller Regel darin besteht, die Produkte ihrer Kunden von denen der Konkurrenz zu unterscheiden, erlegen sich freiwillig auf, sich in einer äußerlich einheitlichen Backstein-Verpackung zu präsentieren.

Thomas Stormanns ist Geschäftsführer der PR-Agentur ad publica im Alten Wandrahm. Er muss nicht lange über den Grund nachdenken, aus dem er diesen Standort gewählt hat. „Die Büros, aus denen wir 2006 in die Speicherstadt gezogen sind, hätten überall sein können, in Berlin, in München oder irgendwo anders. Wenn sich die Gelegenheit bietet, in die Speicherstadt zu ziehen, dann tut man das. Uns war auch wichtig“, fügt er hinzu, „einen Ort zu finden, an dem die Mitarbeiter gerne arbeiten. Die CityNord würde vermutlich ein weniger kreatives Umfeld bieten.“ Diese Einschätzung teilt auch Christian Kohnen. Die Agentur WEISS&KOHNEN, die er zusammen mit seinem Partner Stefan Weiss seit über zehn Jahren leitet, ist auf Dialogmarketing, Design und Online-Marketing spezialisiert. Auch für sie war es im Sinne ihrer Mitarbeiter wichtig, in eine Umgebung zu ziehen, die kreativem Arbeiten mindestens ebenso förderlich ist wie die alte Villa, die sie für ihre neuen Büros am Brook verlassen haben.

Mit Hilfe gläserner Wände wird nicht nur Transparenz geschaffen, sondern auch die Belichtung der Speicher ermöglicht.

Mit Hilfe gläserner Wände wird nicht nur Transparenz geschaffen, sondern auch die Belichtung der Speicher ermöglicht.

„Für mich ist die Speicherstadt das heimliche Herz von Hamburg. Typisch hanseatisch, geziegeltes Understatement sozusagen“, sagt Christoph Drescher, Geschäftsführer der Werbeagentur NonFood, die gleichzeitig eines der größten Fotostudios Deutschlands ist. Auf zehn Speicherböden arbeitet NonFood vor allem in den Bereichen Handels- und Verkaufsmarketing und kann Kunden zugleich verbundene Leistungen wie Online, Logistik, Fotografie, RZ und Lithografie aus einer Hand bieten. Rüdiger Ziel fasst es ähnlich zusammen: „Der Ort hat Seele.“ Ziel ist gebürtiger Hamburger, sein Partner Nils Hahnebeck stammt aus Kapstadt. Als sie 2001 entschieden, mit Verinion eine neue Agentur zu gründen, war für sie klar, dass ihre Büros am Wasser liegen müssen. Die Speicherstadt war daher eine naheliegende Option. „Der Weg zur Arbeit ist traumhaft“, sagt Ziel. „Und der Speichercharakter passt gut zu uns. Als Designagentur sind wir eher pragmatisch und nicht so sehr auf oberflächlichen Glanz aus.“ In diesem Punkt sind sich alle einig: Der Standort Speicherstadt ist einzigartig. Der konsequente Erhalt der Speicher als Ensemble, die beharrliche Einhaltung der Denkmalvorschriften in Verbindung mit modernen Dienstleistungen gibt dem Ort einen unverwechselbaren Charme. „Diesen Charakter sehen auch unsere Kunden“, so Stefan Kolle. „Die meisten kommen aus Industriegebäuden: Chrom, frei schwingende, genormte Büromöbel, Glas, Stahl. Für sie sind Holzstühle in einem alten Speicher eine willkommene Abwechslung.“ Das entspricht auch sehr viel mehr der eher bodenständigen Grundhaltung von Kolle Rebbe. Da fällt es nicht schwer, sich die einzigartige, aber einheitliche Fassadenwelt der historischen Backsteinspeicher mit anderen Agenturen zu teilen. Letztlich hat Stefan Kolle für seine Arbeit ohnehin einen anderen Ansatz. Er will eine Verbesserung der Produkte anregen, anstatt sie ausschließlich über ihre Verpackung zu verkaufen. In einem übersättigten Markt, in dem Menschen täglich Dutzende von Werbebotschaften empfangen, müssen neue Wege beschritten werden, um Produkte von anderen zu differenzieren. Aus diesem Grund hat Kolle Rebbe die Abteilung „Kolle Rebbe Form und Entwicklung“ ins Leben gerufen, deren Kurzform KoReFe so ähnlich wie „Koryphäe“ gesprochen wird. Ihr Schwerpunkt: Sie erfindet neue Produkte. Derselbe Ansatz liegt auch einem neuen Kolle Rebbe-Projekt zugrunde, der Gründung von The Deli Garage Food Cooperative. Die Firma vermarktet Produkte von Familienbetrieben und kleinen Unternehmen, die qualitativ hervorragende Ware herstellen, sich aber aufwendige Werbung und überregionalen Vertrieb nicht leisten können. Honig aus Kärnten, Öl aus Katalonien, Wodka und demnächst auch Kaffee aus Kolumbien. The Deli Garage tritt als klassischer Händler auf, der natürlich auch eigene Lager unterhält. Wer hätte vor über zehn Jahren gedacht, dass sich der Kreis auf diese Weise wieder schließen würde? Eine Werbeagentur, die Lebensmittel vertreibt und lagert. In der Speicherstadt.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier Special 02 , Rubrik:    
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