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Illumination für Jedermann

Michael Batz ist nicht nur der Autor des Hamburger Jedermann. Er hat auch als Erster das gewaltige Potenzial der Speicherstadt als Gesamtkunstwerk erkannt.

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Die Speicherstadt trägt seine Handschrift, zumindest nach Sonnenuntergang: Seit April 2001 lässt Michael Batz die historischen Backsteinbauten in sanftem Licht erstrahlen. Und seine Beleuchtung ist so harmonisch, fast zärtlich, an die detailreiche Architektur angepasst, dass sich der abendliche Spaziergänger kaum vorstellen kann, welch düstere Atmosphäre hier vor dem Fall der Zollgrenze herrschte. Inzwischen beleuchten rund tausend Strahler Fleetbrücken und Mauer­werk, Giebel und Erker, Spitzdächer und Windenhauben, und modellieren ein sinnliches Stadtbild. Es ist, so Batz, ein „Triumph des schwachen Lichts“, denn der Künstler bringt die drei Faktoren Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Ästhetik perfekt in Einklang. Die Strahler haben eine durchschnittliche Leuchtstärke von etwa 24 Watt, also weniger als die Leistung einer Nachttischlampe. Und die gesamte Illumination der Speicherstadt kostet etwa die gleiche Energie wie die städtische Beleuchtung der Straße Brooktor!

Eine Aufführung des Hamburger Jedermann vor dem Kesselhaus am Kehrwiederfleet. Mit der Abenddämmerung beginnt die Illumination und macht die Speicherstadt zur Bühne. (2)

Eine Aufführung des Hamburger Jedermann vor dem Kesselhaus am Kehrwiederfleet. Mit der Abenddämmerung beginnt die Illumination und macht die Speicherstadt zur Bühne. (2)

L’art pour l’art ist die Illumination keinesfalls, sondern „eine renditeträchtige Einzahlung in die Marke Hamburg und ein wichtiger Schritt bei der touristischen Erschließung des Elb­ufers“, wie es Batz selbst ganz handfest formuliert. Und weil Lichtprojekte dieser Größenordnung nicht umsonst sind, hat der Künstler in einer gemeinsamen Initiative mit dem Senat und engagierten Persönlichkeiten und Unternehmen den gemeinnützigen Verein Licht-Kunst-Speicherstadt e. V. gegründet. Mit 500 Euro ist der Jahresbeitrag überschaubar, und neue Mitglieder sind stets willkommen. Der Verein zahlt die Stromrechnungen, pflegt den Bestand und setzt sich dafür ein, dass das Licht-Gesamtkunstwerk weiter wächst. Schließlich sammelt er Spenden, denn aufwendigere Projekte wie die 2008 umgesetzte Illumination des Kesselhauses lassen sich nur mit größeren Einzelspenden realisieren. Zu den Gründungsmitgliedern gehört die HHLA, deren Engagement für das Quartier es nicht zuletzt zu verdanken ist, dass das größte zusammenhängende Lichtprojekt Europas verwirklicht werden konnte. Für den Künstler Batz bedeutete die Illumination der Speicherstadt den internationalen Durchbruch, und inzwischen fungiert der 57-jährige als Lichtberater vieler Städte. Michael Batz ist ein Multitalent: Lichtkünstler, Autor, Theatermacher. „Geschichtenerzähler“, das ist die Berufsbezeichnung, die er gern selbst wählt. Eine seiner Geschichten können Einheimische und Zugereiste seit 1994 jeden Sommer in der Speicherstadt genießen, den Hamburger Jedermann. Michael Batz erzählt die alte Fabel um Tod, Teufel und teuflischen Geschäftssinn neu, überträgt sie auf hanseatische Verhältnisse und versieht den Text jede Saison mit aktuellen ironischen Seitenhieben. Schon lange vor dem Wiederaufleben der Kapitalismuskritik sah das Publikum auf der Freilichtbühne vor dem Brooksfleet einen rücksichtslosen Börsenspekulanten taumeln, der seine Seele dem Teufel verkauft hatte.

Aber Rückblende ins Jahr 1993, bevor alles begonnen hat. Die Speicherstadt liegt noch im Dunkeln, viele Lagerräume stehen leer, und die Zukunft des denkmalgeschützten Areals ist ungewiss. Batz ist zu Gast bei Peter Dietrich, dem damaligen Chef der HHLA, und schildert ihm seine Idee, in der Speicherstadt einen Gegenentwurf zum Salzburger „Jedermann“ aufzuführen. Ein Experiment, das auf der These des Künstlers beruht, an den Schnittstellen urbanen Wandels könne ein Biotop für die Kunst entstehen. Sehr überzeugend muss er gewesen sein, der Theatermacher, denn Dietrich, der legendäre Mr. Hafen, steht auf, geht zum Fenster, und sagt: „Suchen Sie sich einen Platz aus.“ Offensichtlich haben sich die Umlaufbahnen zweier Visionäre genau im richtigen Augenblick gekreuzt. Wie auf einer „Abenteuerreise auf den Mond“ habe er sich gefühlt, erinnert sich Teufel-Darsteller Erik Schäffler an die Anfangsjahre des Jedermann. Der entwickelt sich schnell zum Publikumsrenner mit einer Ausstrahlung weit über Hamburgs Grenzen hinaus. Das liegt auch daran, dass dieses Spektakel mit Gesangseinlagen eine Liebeserklärung an seine Spielstätte ist, dem Volkstheater näher als der kunstbeflissenen Klassiker-Sezierung moderner Inszenierungen.

In der Speicherstadt führt er die Licht-Regie: Michael Batz, Theatermacher, Visionär und Lichtgestalter. (3)

In der Speicherstadt führt er die Licht-Regie: Michael Batz, Theatermacher, Visionär und Lichtgestalter. (3)

Und was für eine Spielstätte. Wo sonst kann der Tod in seinem Nachen auf einem düsteren Fleet herbei gleiten? Effektvoll öffnen sich die Türen des gegenüber liegenden Speicherblocks, und beleuchtete Figuren treten heraus. Welch ein Fest für die Sinne! Den Zuschauer umweht ein leichter Duft von Gewürzen, und kaum jemand wird den durchdringenden Ruf des Todes vergessen: „Jedermann!“. Denn auch die Akustik dieses außergewöhnlichen Ortes ist phantastisch. Und schließlich sind es „die Schatten unseres Bühnenlichtes auf den Mauern“, die den Dramatiker Batz zu seinem anderen Groß-Projekt inspiriert haben, der Illumination der gesamten Speicherstadt.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Thomas Hampel (1), Michael Batz (2), Michael Zapf (3)
Quartier Special 02 , Rubrik:    
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