Tausend und ein Teppich
Wenn sie nicht gerade fliegen konnten, kamen kostbare Teppiche einst per Karawane in den Norden. Noch heute stehen Teppiche im Zentrum der Speicherstadt.
Kaum ein Wirtschaftszweig wird heute stärker mit der Speicherstadt verbunden als der Teppichhandel. Schon in den fünfziger Jahren ließen sich persische Kaufleute in der Speicherstadt nieder. In den Jahren des Wirtschaftswunders zog auch die Nachfrage nach Teppichen kräftig an. Wer auf alten Holzdielen und in schlecht beheizten Wohnungen aufgewachsen war, sah nun im Teppich, und ganz besonders im „echten Perser“, bürgerliche Wohnkultur auf höchstem Niveau. Als sich auch in der Speicherstadt der tiefgreifende Strukturwandel der Hafenwirtschaft bemerkbar machte und traditionelle Lagergüter wie Kaffee oder Kakao zunehmend lose in Containern befördert wurden, konnte sich das Areal im Freihafen in den achtziger Jahren schließlich zum weltgrößten Umschlagsplatz für Orientteppiche entwickeln. Es ist noch nicht lange her, dass gut die Hälfte der alten Backsteinspeicher von Teppichhändlern genutzt wurde. Nachdem inzwischen mehr und mehr Dienstleistungsagenturen jenen Ort entdecken, an dem traditionell Waren gelagert wurden, erinnert heute fast nur noch ihr Geschäft an die alte Bestimmung der Speicher.
Obwohl Hamburg noch immer das größte Orientteppichlager der Welt ist, mussten die Händler und Importeure der Speicherstadt in den vergangenen Jahren einige Rückschläge einstecken. Aber was immer die Zukunft bringt: Der Orientteppich und der Umschlagsplatz Speicherstadt haben sich an zwei Hamburger Orten auf außergewöhnliche Weise verewigt. In der Moschee der iranischen Gemeinde an der Alster liegt ein Geschenk der Knüpfergenossenschaft, der größte handgeknüpfte Rundteppich der Welt. Er hat einen Durchmesser von 16 Metern und wiegt eine Tonne. Insgesamt haben 22 Knüpferinnen daran drei Jahre gearbeitet. Ein anderer einmaliger Teppich liegt auf der Wilhelminenbrücke an der Schnittstelle zwischen Neustadt, HafenCity und Speicherstadt aus. Er ist 27 Meter lang und wiegt anderthalb Tonnen – würde man ihn anheben können. Der Künstler Frank Raendchen hat ihn 2005 aus Stein fest auf der Brücke installiert. Auch er ist zu 100 Prozent handgemacht.
Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel