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Ganz großer Bahnhof

Seit Dezember ist es so weit: Nach fünf Jahren Bauzeit führt die U4 von der alten in die neue Innenstadt. In wenigen Minuten bringt sie Tausende von Anwohnern, Arbeitnehmern, Studenten, Touristen und Tagesbesuchern vom Jungfernstieg ins Überseequartier. Mit der Entwicklung der Quartiere am Baakenhafen und an den Elbbrücken wird auch dort eine Anbindung an den Nahverkehr nötig. Ob das durch eine weitere U4-Station erfolgt, sorgt gegenwärtig für einigen Gesprächsstoff.

Anlässlich der Feierlichkeiten zu 100 Jahren Hochbahn wurde der Bahnsteig der Haltestelle HCU im Juni 2012 zum Festsaal.(1)

Als man Ende der 90er Jahre am Masterplan für die zukünftige HafenCity arbeitete, musste zunächst eine grundsätzliche Frage geklärt werden: Wie ließe sich dieses Gelände mit dem Rest der Stadt verbinden? Nach Prüfung verschiedener Varianten wurde entschieden, die Stadtbahn sei „verkehrlich und betrieblich und von den Investitionskosten am günstigsten“. Sie sei ein umweltgerechter, leistungsfähiger und nachhaltiger Weg, um den öffentlichen Nahverkehr abzuwickeln. Im selben Atemzug verwarfen die Verfasser des Masterplans den Bau einer U-Bahn, weil die Investitionen, aber auch ihr späterer Betrieb zu teuer würden.
Hamburgs Bausenator Mario Mettbach von der Partei Rechtsstaatlicher Offensive kam aber zu einem anderen Ergebnis. Seine Behörde hatte eine Studie erstellt, die einer U-Bahn den Vorzug gab. Eingebettet in einen umfassenden Ausbau des vorhandenen Netzes, bot sie viele Vorteile. Sie würde nicht allein die HafenCity mit der Innenstadt verbinden. Sie würde endlich auch Bramfeld und Steilshoop einen Bahnanschluss geben, im Süden sogar Wilhelmsburg und Harburg erschließen. Auch die Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Spiele 2012, in deren Mittelpunkt die HafenCity stand, würde dadurch punkten. Und nicht zuletzt könnte in diesem Zuge der überfällige Tausch der östlichen Äste der U2 und U3 vorgenommen werden, um eine vernünftige Ringlinie zu schaffen. Teile des Bahnhofs Berliner Tor müssten dafür umgebaut werden, aber das war ohnehin notwendig, denn die veralteten Bahnsteige waren teilweise kürzer als die modernen Züge. Mit diesen Plänen schnürte die CDU-Schill-Koalition den Norden Hamburgs bis Bramfeld und Steilshoop, den Osten bis Billstedt und Mümmelmannsberg, den Süden bis Wilhelmsburg zu einem Gesamtpaket zusammen. Und führte die Stadt auf diese Weise näher an die HafenCity heran.

Die Besatzung der Tunnelbohrmaschine VERA, kurz für „Von der Elbe Richtung Alster“(2)

Ein Jahrhundertfehler

Eigentlich hätte Senator Mettbach gerne noch modernere Lösungen gefunden. Die Studie seiner Behörde hatte zahlreiche Möglichkeiten abgeklopft, darunter eine Magnetbahn mit Transrapid-Technologie, eine H-Bahn (eine Hänge-Bahn) wie auf dem Campus der Uni Dortmund und auf dem Flughafen Düsseldorf, Brennstoffzellen-Busse, eine unterirdische S-Bahn und eine oberirdische U-Bahn. Besonders diese letzte Variante wurde kontrovers diskutiert. Ihre Befürworter priesen die herrliche Aussicht auf HafenCity und Elbphilharmonie, die sich den Fahrgästen böte. Ihre Gegner mahnten, ein Viadukt hätte massive Eingriffe zur Folge, etwa den Abriss und Neubau der Haltestelle Rödingsmarkt, um ein nötiges drittes Gleis zu bauen; oder den Bau eines Überwerfungswerks, das doppelt so groß wäre wie der Bahnhof Rödingsmarkt. Vor allem aber wäre ein Viadukt vor Kaispeicher A nicht vor einem möglichen Schiffsanprall sicher. Die Idee war trotzdem nicht kleinzukriegen. Pünktlich zu Beginn der Arbeiten für die U4 meldete sich Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Henning Voscherau 2007 im Hamburger Abendblatt zu Wort, nannte die U4 einen „Jahrhundertfehler“ und brachte erneut eine Hochbahn ins Spiel. Zu diesem Zeitpunkt war die U4 seit Jahren beschlossene Sache. Trotzdem malte er sich aus, wie sie an der Elbphilharmonie vorbeifuhr, ja, im Haus eine eigene Haltestelle hätte, auch wenn ein Gutachten zwei Jahre zuvor eine Haltestelle an dem Opernhaus verworfen hatte. Allein die offene Baugrube hätte die Eröffnung der Elbphilharmonie von 2011 auf 2013 verschoben (wobei 2013 heute sicher ein Grund zur Freude wäre).
Die Opposition war nicht überzeugt. Sie hielt eine Stadtbahn weiter für die bessere Lösung. Was Schill-Partei und CDU-Senat als weltfremde Nostalgie verlachten und für genauso abwegig hielten wie die Wiedereinführung von Pferdefuhrwerken – Mettbach versprach sogar, das Wort Stadtbahn nicht mehr in den Mund zu nehmen und sprach stattdessen nur noch von diesem „Spielzeug auf Schienen“ –, fand aber auch bei der Hochbahn Unterstützer. Dort wusste man, dass die Straßenbahn längst ein zeitgemäßes Hochleistungs-Verkehrsmittel geworden war. Allein, sie konnten sich aber nicht durchsetzen. Das Ausbaupaket für die U-Bahn zwischen Bramfeld, Berliner Tor und HafenCity wurde 2003 in der Bürgerschaft beschlossen.

Grobe Schätzungen

Der gesamte Ausbauplan einschließlich der neuen Gleisstrecken von Barmbek nach Steilshoop, von der Innenstadt in die HafenCity und der Umbau am Berliner Tor sollte 550 Millionen Euro kosten. Der SPD-Abgeordnete Michael Dose urteilte trocken, das sei „wie ein Mann, der ohne Geld in ein Luxusrestaurant geht, sich zwei Dutzend Austern bestellt und hofft, er werde vielleicht eine Perle finden, mit der er das dann alles bezahlen kann“. Allein 250 Millionen Euro entfielen auf das neu zu bauende Teilstück in die HafenCity. Während man beim Bau einer U-Bahn von 80 bis 100 Millionen Euro pro Kilometer ausgeht, kostet eine Stadtbahn viermal weniger. Bei diesen enormen Investitionskosten beschlich den einen oder anderen der Verdacht, dahinter verberge sich ein Täuschungsmanöver. Man mutmaßte, die U4 starte nur deshalb in Billstedt, damit die von dort jeden Tag in die Stadt und zurück strömenden Pendler in die Kosten-Nutzen-Analyse einbezogen würden, die eine Voraussetzung für Subventionen aus Berlin ist. Aus demselben Grund, so ließ sich vernehmen, würde behauptet, der Umbau am Berliner Tor hinge mit dem Bau der U4 zusammen. Auf die Frage, wieso diese Maßnahme in die Kosten-Nutzen-Analyse einginge, entgegnete der Senat: weil eine U-Bahn geplant wird, zu der diese Haltestelle gehört.

Ein Bauabschnitt der neuen Teilstrecke zwischen Jungfernstieg und den Stationen Überseequartier und HafenCity Universität. (3)

Nachdenklich stimmte dann vor allem die Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, mit der er um die Zustimmung zu seinem U-Bahn-Paket bat. Bei dem angegebenen Kostenrahmen handele es sich um „erste grobe Schätzungen ohne Vorliegen detaillierter Pläne“. Mit anderen Worten: Der Senat hatte keine Ahnung, wie viel das Projekt am Ende kosten würde oder wie er die Investition sicherstellen sollte. Er spekulierte auf Fördermittel für Infrastrukturmaßnahmen vom Bund. Dabei blieb es nicht. Drei Jahre später wurden die Kosten für den Abschnitt vom Jungfernstieg zum Überseequartier auf 288,75 Millionen Euro nach oben korrigiert. Und 2010 meldete die Hochbahn, die mit den Bauarbeiten beauftragt war, weitere 40 Millionen Euro Mehrkosten an: Die Stahlpreise waren gestiegen. Zudem war die gigantische Tunnelbohrmaschine unter dem Hanseatic Trade Center und unter der Schaartorschleuse auf Findlinge gestoßen und dabei stark beschädigt worden. Ganz zu schweigen von Betriebsunfällen am Jungfernstieg mit gravierenden Werkzeugschäden oder einer Havarie am Notausstieg Dalmannkai. Die ursprünglich geschätzten Kosten waren also um fast 80 Millionen Euro überschritten, noch bevor die Arbeiten an der zweiten Röhre begonnen hatten.

Investoren wollen sie

Dass Großprojekte teurer werden als geplant, überrascht niemanden mehr. Jeder weiß es. Weil sich trotzdem nichts ändert, wird das Phänomen seit einiger Zeit auch wissenschaftlich untersucht, etwa an der deutschen Akademie für Baurecht, die ein mehrjähriges Forschungsprojekt zu dieser Frage durchführt, oder am Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsförderung in Karlsruhe. Dort wurde festgestellt, dass weltweit jedes öffentliche Bauvorhaben 50 Prozent teurer wird als geplant. In der Hälfte der Fälle steigen die Kosten sogar um bis zu 200 Prozent, und das ist niedrig angesetzt, weil öffentliche Bauvorhaben nicht mit Krediten finanziert werden, sondern mit Steuergeldern. Wie kann das sein? Nachdem 2009 bekannt wurde, dass der Bau des ZOBs in Bergedorf mit über 40 Millionen Euro doppelt so teuer war wie kalkuliert, wurde eine Prüfung dieses Phänomens durch den Rechnungshof veranlasst. Das Ergebnis: Seit 1989 hatte sich die Stadt bei Baumaßnahmen um 300 Millionen Euro zu ihren Ungunsten verrechnet, wobei die Zusatzkosten aus dem Bau der Elbphilharmonie nicht berücksichtigt wurden. Eine der vorrangigen Ursachen identifizierte der Rechnungshof in übereilten Beschlüssen der Bürgerschaft, die häufig keine belastbaren Zahlen kenne, wenn sie über Projekte abstimme.
Kann eine solche Verschwendung von Steuergeldern tatsächlich damit erklärt werden, dass Generation nach Generation dieselben Fehler begeht? Oder sind Projekte dieser Größenordnung gar nicht auf den Weg zu bringen, würde man realistische Kostenschätzungen abgeben?

Zwei Seiten derselben Medaille

Der Senat rechtfertigte die gewaltigen Zusatzkosten für die U4 ungerührt damit, dass die U-Bahn ja trotzdem wirtschaftlich sinnvoll sei, weil sie nicht nur die HafenCity anbinde, sondern auch eine mögliche Weiterführung nach Wilhelmsburg berücksichtige. Dabei war dieser Punkt schon vom Tisch. Im vergangenen Februar wurde der Verkehrsausschuss darüber informiert, eine Weiterführung nach Süden sei sicherlich wünschenswert, aber bis 2020 auf keinen Fall finanzierbar. Die Wirtschaftlichkeit der U4 gilt aber trotzdem als gegeben. Warum? Weil ein U-Bahn-Anschluss für die anliegenden Grundstücke eine ganz erhebliche Wertsteigerung bedeutet. Schon 2002 hieß es seitens der Baubehörde und des Senats, eine Erschließung mit Bussen habe den Nachteil, „dass hierfür die sehr wichtige Investorenakzeptanz nicht gegeben“ sei. Die HafenCity Hamburg GmbH, damals noch GHS, hatte deutlich gemacht, dass für lokale, nationale und internationale Investoren eine effiziente Anbindung an den Personennahverkehr ein kritischer Erfolgsfaktor für die HafenCity sei. Sie verlangten massentaugliche, schnelle, komfortable und imagestarke Lösungen. Kurz: Die Investoren wollten eine U-Bahn; sie machten Investitionen im Überseequartier und dessen bedeutende Flächen für Einzelhandel, Gewerbe und Büros davon abhängig.

Die U-Bahnhaltestelle Überseequartier im Bau: Der Rohbau war über 20 Meter breit und 200 Meter lang. (4)

Gewissermaßen ist das die andere Seite der HafenCity-Medaille. Hohe Erlöse aus dem Verkauf städtischer Grundstücke waren zumindest in den Anfangsjahren der HafenCity von großer Bedeutung, denn sie sollten den Hafenausbau in Altenwerder finanzieren. Wenn Banken oder Immobilienunternehmen ihre Investitionen also von einer U-Bahn abhängig machten, dann war das ein gutes Argument für eine U-Bahn, besonders nachdem die Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Spiele 2003 gescheitert war. Erstaunlicherweise kritisierte dann ausgerechnet Henning Voscherau, der HafenCity und Altenwerder auf dieselbe Medaille geschrieben hatte, die U4 werde aus reiner „Liebedienerei“ gegenüber bestimmten Investoren gebaut. Die Grundstücksvergabe an einige ausgesuchte Großinvestoren, sagte er dem Abendblatt, orientiere sich zu stark an maximalen Gewinnen und zu wenig an langfristig angelegter Stadtentwicklung.
Es ist aber übertrieben anzunehmen, die Stadt habe sich allein den Investoren gebeugt. Denn der Bau einer U-Bahn entspricht jahrzehntelanger Praxis in der Verkehrspolitik. „Die Stadt der Geschwindigkeit ist die Stadt des Erfolges“, hat Le Corbusier gesagt und damit wie üblich alles auf den Punkt gebracht. Mobilität, vor allem schnelle, gilt als Grund-ingredienz wirtschaftlichen Erfolgs. Der Verkehr muss ungehindert fließen, und wo er stockt, wird er verlegt. Zum Beispiel unter die Erde. Man darf natürlich fragen: Wie schnell muss es gehen? Der Bus braucht knapp 13 Minuten vom Hauptbahnhof in die HafenCity, die U4 nur 5 Minuten. Können acht Minuten den Aufwand rechtfertigen?

Letzter Halt Elbbrücken?

Entscheidend für die U-Bahn war aber nicht die Zeit, sondern die Kapazität, wie sich erneut an den Diskussionen um eine Verlängerung der U4 zeigt. Sie kann 35.000 Personen ins Überseequartier und 16.000 Menschen zu den Elbbrücken bringen, in deren Umfeld 2.800 Wohnungen und 20.000 Arbeitsplätze entstehen. Wie könnte das anders als durch eine U-Bahn geleistet werden? Auch sonst scheint sich Geschichte zu wiederholen. Die Verlängerung der U4 habe „erheblichen wirtschaftlichen Nutzen“, hieß es, da die anliegenden Grundstücke eine „beträchtliche Wertsteigerung“ erführen. Gleichzeitig monierten CDU und GAL, dass es nur grobe Kostenschätzungen und keine Aussagen zur Finanzierbarkeit gebe.
Letztlich offenbart die U4 die Prioritäten der Stadtentwicklung. Nachdem sie 2003 beschlossen wurde, verschwand Steilshoop erst von der Tagesordnung und dann ganz aus den Planungen. Dabei war die Anbindung von Bramfeld und Steilshoop ein Hauptargument für die U4 gewesen: Senator Mettbach hatte noch vollmundig gesagt, CDU und Schill-Partei würden nun das umsetzen, was die SPD 35 Jahre lang immer nur versprochen habe. Heute könnte man meinen, die Rhetorik um Steilshoop, um Bramfeld, Wilhelmsburg und Harburg diente nur dem einen Zweck: eine U-Bahn zwischen Jungfernstieg und Überseequartier zu bauen. Aber wer hätte dafür 323 Millionen Euro ausgegeben?
Und wieder droht das grundsätzliche Dilemma aller Großprojekte: Während ein Beschluss der Bürgerschaft vollendete Tatsachen schafft, kann der Senat ohne diesen Beschluss die nötigen planrechtlichen Verfahren nicht anstoßen. Dabei drängt die Zeit. Sollen die ersten Wohnungen am Baakenhafen 2014 bezugsfertig sein, müssten Bauarbeiten so weit fortgeschritten sein, dass das Gelände hochwassersicher ist. Gleichzeitig werden Investoren gesucht. Da kam es nicht ungelegen, als die Anbindung nach Wilhelmsburg plötzlich wieder ins Gespräch kam. Ein gutes Argument für eine U-Bahn zu den Elbbrücken.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel (1, 3), Wolfgang Huppertz (2, 4)
Quartier 20, Dezember 2012–Februar 2013 , Rubrik:    
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