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Jenseits von Afrika

Mit der Anerkennung von Kontorhausviertel und Speicherstadt als Weltkulturerbe geht ein Vermittlungsauftrag einher, der Hamburg vor ein altes Problem stellt: die Aufarbeitung seiner Kolonialgeschichte

Woermann-Linie

Dampfer der Woermann-Linie flaggen im Baakenhafen zum Abschiedsgruß für ein auslaufendes Transportschiff der Linie mit Ziel Deutsch-Ostafrika, 1908 (1)

Gibt es Fernando Magellan zweimal? Diese Frage wurde schon vor Jahren gestellt, eigentlich ist sie längst abgehakt. Sie war uns damals schon ein bisschen lästig, weil sie irgendwie eine Tendenz zu linksintellektueller Nörgelei aufzuweisen schien. Aber nun wurde sie wieder gestellt: Gibt es zwei Magellans? Den Weltumsegler, den großen Entdecker, der – wie die HafenCity Hamburg GmbH erklärt –„symbolisch für die Erkundung weltweiter Handelswege“ steht wie seine Kollegen Marco Polo oder Vasco da Gama. Und den anderen Magellan, der im April 1521 getötet wurde, als er versuchte, die Philippinen-Insel Mactan – kaum dass er sie entdeckt hatte – mit Gewalt zu unterwerfen und zur Christianisierung zu zwingen; der im Auftrag seines Königs die Rohstoffe fremder Länder ausbeuten und das Handelsmonopol der Portugiesen brechen sollte. Die Diskussion um Geschichte und maritime Folklore ist mehrfach geführt worden: bei der Vergabe von Namen wie Magellan-Terrassen, wie Überseequartier und Arabica, Cinnamon, Palisander und anderer kolonialer Handelswaren. Beim Ausstellungskonzept des Internationalen Maritimen Museums. Zuletzt im Zuge der Bewerbung um den Status eines Weltkulturerbes für Kontorhausviertel und Speicherstadt.

In ihrer Begründung für den außergewöhnlichen universellen Wert des Ensembles hatte die Stadt Hamburg erklärt, „die hohe kulturgeschichtliche Bedeutung der Speicherstadt und des Kontorhausviertels (…) liegt darin begründet, dass sie den städtebaulichen, architektonischen, technischen und funktionalen Wandel dokumentieren, der aus der starken Expansion des Welthandels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts resultierte.“ Wie müssen wir uns den expandierenden Welthandel des 19. Jahrhunderts vorstellen? Konnte Hamburg zum Welthafen aufsteigen, ohne vom Kolonialismus zu profitieren? Wie können wir uns den Aufstieg Harburgs zum größten Zentrum für die Verarbeitung von Kautschuk und Palmöl vorstellen; die Kakao- und Tabakindustrie in Altona und Wandsbek ohne Handel mit „Übersee“; den Erfolg der Speicherstadt, die heute so zauberhaft vom Duft exotischer Gewürze durchweht wird?

Afrikahaus

Das Afrikahaus, das Adolph Woermann für den Firmensitz seiner Woermann-Linie und der Deutschen Ost-Afrika-Linie 1899 in der Großen Reichenstraße errichten ließ (2)

„Hamburg war als Hafen- und Handelsstandort Teil der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches“, konstatierte der Senat im Sommer 2014. „Trotz der sich hieraus ergebenden Verantwortung hat bisher keine umfassende Aufarbeitung der Thematik des kolonialen Erbes in der Freien und Hansestadt Hamburg stattgefunden.“ Und: „In der Stadt gibt es viele Orte, die ein unkritisches Gedenken an die koloniale Vergangenheit Deutschlands bewahren, so etwa bei einigen Straßennamen.“

Mancherorts hat das Folge gehabt, etwa beim Streit um die Wißmannstraße in Wandsbek, benannt nach dem berüchtigten deutschen Kolonialoffizier, oder auch im Fall der Schimmelmann-Skulptur. Die Büste des deutsch-dänischen Sklavenhändlers zierte für kurze Zeit eine neue Grünanlage vor dem Wandsbeker Rathaus, bevor sie nach massiven Protesten 2008 wieder entfernt wurde. Dessen ungeachtet tragen zahlreiche Orte in Hamburg weiter die Namen zweifelhafter Persönlichkeiten. Heinrich Christian Meyer verdiente sein Geld mit elfenbeinverzierten Billardkugeln, Buchdeckeln und Spazierstöcken, was ihm den Spitznamen „Stockmeyer“ einbrachte und den Grundstein für ein florierendes Unternehmen legte, das sein Sohn Heinrich Adolph, der „Elfenbein-Meyer“, auf Kautschukhandel in Sansibar ausdehnte. Als die einheimische Bevölkerung gegen die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft des Hamburgers Carl Peters aufbegehrte, verlangte Meyer nach deutschen Soldaten, um seine Investitionen zu schützen – was die „Schutztruppe“ unter Hermann von Wißmann dann gründlich erledigte.

Bei näherer Befassung wird es äußerst schwierig, ein traditionsreiches hanseatisches Handelshaus zu finden, das Handelsbeziehungen nach Übersee unterhielt, ohne von kolonialer Ausbeutung, Enteignung, Sklaverei und Zwangsarbeit zu profitieren. Von Cesar Godeffroy, der in den 1850ern Dutzende Plantagen für Kokospalmen, Kaffee, Zuckerrohr und Baumwolle in der ganzen Südsee gründete, bis zu Ferdinand Laeisz, dessen Flotte Salpeter aus Südamerika an die Elbe importierte und dessen Kompagnon Paul Ganssauge im Laeiszhof 1912 die Afrikanische Frucht-Compagnie (A.F.C.) gründete, die Bananenplantagen in Kamerun betrieb.

In Kamerun war auch das Handelshaus Jantzen & Thormählen aktiv, das dort gewaltige Plantagen für Kakao, Kaffee, Kautschuk, Ölpalmen und Bananen bewirtschaftete. Johannes Thormälen brachte 1902 den Geist der Zeit in einem Beitrag für die Deutsche Kolonialzeitung auf den Punkt: „Ich halte es für gänzlich ausgeschlossen, dass Kamerun jemals durch die Tätigkeit der Eingeborenen selbst erschlossen werden könnte. (…) Der heute noch in kindlicher Albernheit und blödem Stumpfsinn dahin dämmernde Neger wird durch nichts dem civilisierten Menschen näher gebracht werden können, als durch ernste Arbeit.“

Adolph Woermann

Der einflussreiche Hamburger Kaufmann und Politiker Adolph Woermann (3)

Jantzen & Thormälen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts einem Geschäftspartner nach Kamerun gefolgt: Adolph Woermann, der wohl wie kein anderer zum Inbegriff des kolonial gesinnten hanseatischen Unternehmers geworden ist. Woermanns Handelshaus unterhielt Faktoreien an der Küste Kameruns und handelte mit einer eigenen Afrikaflotte Palmöl, Kautschuk, Elfenbein, Kakao und Baumwolle. Nicht zuletzt seinem bedeutenden Einfluss als Kaufmann, Präses der Handelskammer, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und des Reichstags ist es zu verdanken, dass Kamerun zu einer deutschen Kolonie wurde und sich den einheimischen Potentaten als „Schutzmacht“ gegen Frankreich und Großbritannien anbot. Als sich 1904 die Herero und Nama in Namibia gegen die deutschen Kolonialherren erhoben, besaß er das Monopol auf alle Militärtransporte in die Kolonie und erwirtschaftete auf diese Weise bedeutende Gewinne. Nach der fast vollständigen Ausrottung der Herero beteiligte er sich an der Einrichtung von Konzentrationslagern für die Überlebenden, aus deren Reihen er dann Zwangsarbeiter für seine Unternehmungen bezog.

Herero

Überlebende Angehörige des Herero-Stammes, der durch deutsche Kolonialpolitik beinahe vollständig ausgerottet wurde (4)

An dieser Stelle merken einige an, dieser Teil der deutschen Geschichte sei in der Tat schrecklich und dunkel; aber das sei ja nun auch schon ein paar Tage her. Das heutige Deutschland, die Kulturnation, die humanistische Wertegesellschaft, die sich der weltweit grassierenden Barbarei, dem sinnlosen Terrorismus entgegenstemmt, ist ein anderes Land als jenes, dessen Handelshäuser Gewinne aus Ausbeutung und Unterdrückung zogen. Vielleicht sei es an der Zeit, hier mal einen Schlussstrich zu ziehen. Damit sind nicht alle einverstanden. Zum Beispiel der Fleischgroßhändler Vekuii Reinhard Rukoro. Als Häuptling der Herero in Namibia kämpft er seit Jahren um die Anerkennung der Ereignisse von 1904 bis 1907 als Völkermord durch die UN und durch die Bundesrepublik, die sich dazu lange entweder gar nicht oder abschlägig äußerte. Erst im Juli 2015 – 110 Jahre nach den Ereignissen – gab es einen ersten Lichtschein am Horizont, als zuerst Norbert Lammert, Präsident des Bundestages, öffentlich von Völkermord an den Herero sprach und dann das Auswärtige Amt verkündete, die offizielle Sprachregelung spreche ab sofort von „Kriegsverbrechen“ und „Völkermord“. Damit ist Rukoro einen großen Schritt vorangekommen, denn, so sein Hauptargument, Völkermord verjährt nicht.

Das hat auch Folgen für Hamburg, denn das Weltkulturerbe Speicherstadt und Kontorhausviertel ist verbunden mit einem Erziehungs- und Vermittlungsauftrag. Daran arbeitet unter anderem eine Forschungsgruppe der Universität, die für das Jahr 2016 zahlreiche Vorträge zum Thema vorbereitet. Außerdem wollte der Senat Pläne für ein städtisches Gesamtkonzept vorlegen, eigentlich schon 2013. Aber eine umfassende Dekolonisierung des Stadtraums braucht eben Zeit.

Text: Nikolai Antoniadis; Fotos/Abbildungen: ELBE&FLUT Edition Archiv (Aus „Hafen Hamburg im Bild“/1908) (1), Heinz-Joachim Hettchen (2), Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main (3), Galerie Bassenge (4)
Aktuelle Ausgabe, Quartier 33, März–Mai 2016 , Rubrik:    
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