Die Speicherstadt als Bühne
Leuchtendes Jubiläum: Im April vor 15 Jahren schaltete Michael Batz zum ersten Mal das Licht in der Speicherstadt an, um dem Lagerhausensemble auch nachts ein Gesicht zu geben
Vor 15 Jahren ging das Licht an: Der Dramaturg und Lichtkünstler Michael Batz hat die Illumination entwickelt, die die Speicherstadt sinnlich, malerisch und dabei nachhaltig in Szene setzt. Der Verein Licht-Kunst-Speicherstadt sorgt dafür, dass das Lichtkunstwerk gepflegt, erneuert und kontinuierlich erweitert wird.
Heute kann man es sich kaum vorstellen, wie es damals war, als die Speicherstadt noch hinter der Zollgrenze im Dunkeln lag. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre herrschte in dem Backstein-Ensemble eine Art Zwischenzeit. Dass es keine wirtschaftliche Zukunft mehr gab für ein reines Lagerviertel, war klar. „Hoch blockiert“ sei die Speicherstadt damals gewesen, erinnert sich Michael Batz. „Ein bisschen hatte man den Eindruck einer DDR der letzten Tage. Es hatte so einen wild wuchernden Charme hier, es war unglaublich still am Wochenende. Man musste immer um den Zaun herumgehen. Alles stand unter Bewachung. Und es bröckelte überall.“ Der gebürtige Hannoveraner hatte sich verliebt in dieses in die Jahre gekommene, doch immer noch bezaubernde, backsteingotische Industriedenkmal, dessen einzigartiges Potential als Kunstwerk er erkannt hatte.
Am 27. April 2001 um 21.15 Uhr ging – dann endlich – das Licht an. Mehr als 60 Hafenbarkassen veranstalteten den bis dahin größten Korso in der Geschichte des Hamburger Hafens. Schon seit Wochen waren sie ausverkauft. Begeisterte „Aaaahs“ und „Ooohs“ waren zu hören von den etwa 3.000 Zuschauern auf den Schiffen und zahlreichen weiteren an Land. Ein Schiffsirenen-Konzert setzte ein und feierte den Moment, als der größte historische Lagerhauskomplex der Welt das erste Mal in sanftem Licht erstrahlte.
Rückblende: Der Weg zu diesem „Triumph des schwachen Lichts“ (Batz) war nicht einfach. Zwar hatte es auch schon von Seiten der HHLA, der Besitzerin der Speicherstadt, erste Überlegungen gegeben, die im Dunkeln liegende Schönheit zu beleuchten. Immer zum Hafengeburtstag wurden „irgendwelche Riesenklopper von Scheinwerfern“ an den Zollzaun gehängt, die großflächig leuchteten und „visuellen Honigbrei in die Speicherstadt gossen“ (Batz). Mit der Illumination als einem städtebaulichen Entwurf hatte das wenig zu tun.
Die Idee für eine künstlerische Beleuchtung des Lagerhausensembles hatte Batz bereits 1994. Sie war quasi eine Nebenwirkung der ersten Aufführungen seines Hamburger „Jedermanns“ auf der Freilichtbühne vor dem Kesselhaus. Die Theaterbeleuchtung zauberte Licht und Schatten auf die Fassade des gegenüberliegenden Blocks E. Batz war klar: „Da entsteht etwas.“
Nun galt es, Verbündete zu finden. Die Fotografen Thomas Hampel und Heinz-Joachim Hettchen – auch Speicherstadt-Verliebte – fuhren mit der Barkasse die Fleete ab und fotografierten Gebäude für Gebäude schräg von unten. Dann entzerrten sie am Computer die Perspektiven, setzten die Fotos zusammen und erschufen so völlig neue Ansichten der Speicherstadt. Mithilfe dieser Bildstrecken konnte Batz seine szenografischen Entwürfe machen, „um die Speicher noch einmal anders zu definieren, eben nicht nur als Speicher für materielle Güter, sondern als Speicher für Bildinhalte.“
Die von Batz präsentierten Ideenskizzen fanden alle interessant, aber keiner wollte wirklich etwas machen. Das Konzept war augenscheinlich noch zu abstrakt, man musste das Licht auf den Speichern real vorführen. Diese Chance bot sich Batz, als er 1999 sein Projekt „Mozart.Amerika“ umsetzte, bei dem Barkassen zu Don-Giovanni-Klängen durch die abendliche Speicherstadt fuhren, die mit transparenten Schläuchen provisorisch beleuchtet war. Batz konnte den damaligen HHLA-Chef Peter Dietrich überzeugen, und das Projekt gewann daraufhin an Fahrt.
Nun begannen die Gelder zu fließen. 1,3 Millionen DM kamen schließlich durch Sponsorenveranstaltungen und eine Plakataktion zusammen. Im September 2000 gründete Batz in einer gemeinsamen Initiative mit dem Senat, der Stiftung Lebendige Stadt, der HHLA und einer Reihe von Persönlichkeiten sowie Unternehmen den gemeinnützigen Verein Licht-Kunst-Speicherstadt.
Seit Juli 2015 ist die Speicherstadt Weltkulturerbe. Die künstlerische Illumination wird vollständig privat finanziert. Der gemeinnützige Verein Licht-Kunst-Speicherstadt freut sich über jedes neue Mitglied. Daneben gibt es die Möglichkeit von Patenschaften, etwa für Brücken oder sogar für einzelne Lampen. Jeder Pate wird auf einem Kupferschild an Block P genannt. www.lichtkunst-speicherstadt.de
Immer häufiger zog der Künstler abends mit Oberbaudirektor Jörn Walter und den Lichtexperten von Philips Lighting durch die Speicherstadt und probierte die Beleuchtung aus. Nach und nach entwickelte er eine angemessene Lichtsprache für die backsteingotische Schönheit. „Man merkte, dass dieses Quartier anfing zu leben, dass man mit anderen Fragen daran ging als viele Jahrzehnte vorher. Dass es insgesamt ein wunderbares Neuland war.“
Ein wunderbares Neuland: Bisher gibt es kein vergleichbares Illuminationsprojekt in dieser Größenordnung. Die Speicherstadt ist heute ein internationales Referenzprojekt und Ausgangspunkt der Karriere von Batz als Lichtkünstler. Dieser hebt die Charakteristika der Architektur kongenial hervor, seien es die für die Hannoversche Schule typischen Asymmetrien der streng gegliederten Fronten oder der Variantenreichtum der Erker, Giebel und Türme. Betont werden nicht flächige, sondern gliedernde und plastische Elemente. So entsteht ein dynamisches Spiel von Hell und Dunkel. Die Hamburger jedenfalls waren sofort hin und weg von ihrem zu neuem Leben erweckten Kleinod.
Und nicht nur die: Auch die Touristen strömen seit 2003, als der Zollzaun gefallen ist, natürlich noch zahlreicher herbei. Batz hatte die Illumination ganz handfest als „renditeträchtige Einzahlung in die Marke Hamburg“ bezeichnet. Sehr häufig ist das Bild der Stadt Hamburg inzwischen verknüpft mit den abendlich schimmernden Lagerhäusern, dafür muss man nur Reiseführer oder Magazine durchblättern. „Vieles, was im Stadtmarketing in die Welt hinausgepostet wird, ist illuminierte Speicherstadt“, sagt Rainer Nelde, Geschäftsführer des Vereins Licht-Kunst-Speicherstadt.
Vor allem der Arbeit des Vereins ist es zu verdanken, dass das Projekt sukzessive ausgeweitet wird: Inzwischen sind etwa 65 Prozent der Speicherstadt illuminiert. Mit der Beleuchtung des Wasserschlösschens seit Herbst 2010 entstand eines der beliebtesten Fotomotive der Hansestadt. In den Abendstunden bietet sich ein märchenhafter Blick von der Poggenmühlenbrücke, wobei sich die Lampen malerisch im Wasser der Fleete spiegeln.
Beim „Wasserschloss“ wurde das erste Mal LED-Technik eingesetzt. Erst seit wenigen Jahren können LED-Lampen das weiche, beige Licht erzeugen, das sich für die Illumination eignet. Die neuartigen Lichtdioden sind deutlich langlebiger und noch energieeffizienter als konventionelle Strahler. Ein Grundsatz des Beleuchtungskonzepts lautet nämlich, die drei Faktoren Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Ästhetik miteinander in Einklang zu bringen. Das aktuell wichtigste Vorhaben des Vereins ist das sogenannte Philips-Projekt, bei dem alle Fluchttürme und wasserseitigen Ausleger auf LEDs umgestellt werden. Hauptsponsor ist Philips Lighting, der im Auftrag des Vereins bereits eine Musterleuchte für die Straßenseiten entwickelt. Dass die Unternehmenszentrale der HHLA noch im Dunkeln liegt, hat naheliegende Gründe, wie Rainer Nelde erklärt: „Es ist ein extrem aufwendiges Vorhaben, bei dem man viele kleine Teile illuminieren müsste. All die Fensterlaibungen, Erker, Vorsprünge würden sehr viele Lampen und Kabel erfordern.“
Die Entwicklung der Speicherstadt sieht Batz positiv. „Es wird sehr auf Qualität geachtet und darauf, dass keine Monokulturen entstehen.“ Die HHLA müsse sehen, wie sie mit den Besucherströmen umgeht, die sicherlich noch zunehmen werden. Denn seit dem 5. Juli 2015 zählt die Speicherstadt ganz offiziell zum UNESCO-Welterbe. Es ist zu vermuten, dass die Illumination einen gewissen Anteil daran hatte, dass Hamburgs „Schatzkästlein“ diese hochkarätige Anerkennung zuteilwurde. Was die Illumination angeht, so gab es Ende 2015 eine weitere Erfolgsmeldung: 25.000 Euro an Sponsorengeldern hatte der Verein gesammelt, und so konnten pünktlich zur dunklen Jahreszeit die Neuerwegs- und die Pickhubenbrücke in neuem Licht erstrahlen. Sturmtief Xaver hatte 2013 endgültig die Lichttechnik von 2001 zerstört. Dabei hatten die wasserdichten Lampen immerhin vier bis fünf Hochwasser überstanden, erklärt Nelde. Die neu eingebauten Lampen samt Stromleitungen und Vorschaltgeräten sind allesamt wasserdicht und State of the Art. Und damit noch besser gegen Sturmfluten geschützt. Es geht also voran.
Text: Bettina Mertl-Eversmeier; Fotos: Jonas Wölk und Astrid Hüller (Mit Unterstützung von: Matthias Basting (HHLA) und ChurchDesk) (1), Michael Batz (2), Thomas Hampel/Heinz-Joachim Hettchen (3), Thomas Hampel (4, 5, 6)