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Der Weg ist nicht das Ziel

Die Mahatma-Gandhi-Brücke wird abgerissen und durch eine neue ersetzt. Für alle, die im Quartier wohnen oder arbeiten, hat das zum Teil gravierende Folgen
Klappbrücke

Die Klappbrücke über den Sandtorhafen ist eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen für die Straßenzüge Dalmannkai und Am Kaiserkai

Wer sich an der derzeitigen Diskussion um die Erneuerung der Mahatma-Gandhi-Brücke beteiligen möchte, braucht Fakten und korrekte Zeitabläufe: Dass im Zuge der Fertigstellung der Elbphilharmonie irgendwann auch die Klappbrücke über den Sandtorhafen auf die Liste der Baustellen kommen würde, war klar. Das Anbindungsniveau der derzeitigen Brücke liegt rund anderthalb Meter zu niedrig für den Platz vor der Elbphilharmonie und ist außerdem auf dieser Höhe nicht sturmflutsicher.

Etwas später als die Erkenntnis dieser grundsätzlichen Notwendigkeiten begann die Diskussion darüber, ob die aktuelle Brückenlösung für die Bewältigung der erwarteten Besucherströme tauglich sei oder nicht. In der Folge wurden verschiedene Varianten und Lösungen ins Spiel gebracht und wieder verworfen. Am Ende einer langen Reihe von Gesprächen kam man schließlich zu dem Ergebnis, dass eine neue, breitere Brücke gebaut werden müsse. Erst spät rückte ein anderer Aspekt in den Fokus: Für die Dauer der Bautätigkeit würden Dalmannkai und Kaiserkai mitsamt der Elbphilharmonie an ihrer Spitze zu einer Sackgasse werden. War in der Anfangszeit der Planung von einem halben Jahr Sperrung die Rede, geht man inzwischen von rund einem Jahr aus. Die Konsequenzen dieser Langzeitsperrung werden von den verschiedenen Beteiligten, von Anwohnern, Gewerbetreibenden, Traditionsschiffern und Angestellten rund um den Sandtorhafen sehr unterschiedlich eingeschätzt.

Doppelt so viel Verkehr

Im Mittelpunkt der Sorgen der Anwohner stehen der Liefer- und Baustellenverkehr zu den Unternehmen am Dalmannkai und den Baustellen der Elbphilharmonie und der Brücke selbst. Dabei liegt das angekündigte Aufkommen an schweren Lastwagen, die die Straße Am Kaiserkai passieren sollen, eigentlich in einem akzeptablen Rahmen. Umgerechnet ein- bis zweimal soll durchschnittlich pro Tag die Elbphilharmonie angefahren werden – das klingt nach einer erträglichen Last; nichts, an das man sich nicht schon in den langen Jahren der Baustelle HafenCity gewöhnt hätte. Der Verkehr könnte aber dennoch zum Problem werden – und das von ganz anderer Seite: Durchgangs- und Besucherverkehr kommt im Falle einer Sackgasse natürlich doppelt durch die Straße – bei der Einfahrt und wieder bei der Ausfahrt. Bisherige Nutzer der U3 am Baumwall haben nun auch einen weiteren Weg vor sich und müssen auf andere Linien umsteigen, mit zum Teil erheblichem Zeitverlust, jeden Tag.

Ähnliches gilt auch für Arbeitnehmer: Auch ihr Weg wird vom Baumwall ein Jahr lang zu einem ordentlich aufgestockten morgendlichen und abendlichen Zeitaufwand führen. Zu mehr allerdings auch nicht.

Hafenflucht

Auf den Traditionsschiffhafen kommt ein hartes Jahr zu. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass alle Schiffe zur Finanzierung ihres Unterhalts auf Charterfahrten angewiesen sind. Umgekehrt tragen die Einnahmen von Gastliegern auch wiederum zum Unterhalt des Hafens bei. Es ist zwar nicht so, dass der Hafen generell ein Jahr nicht anfahrbar ist – für planbare Charterfahrten reicht der Kompromiss zwischen der ausführenden Baufirma, dem LBSG und den Hafenmeistern aber nicht aus, sodass sich viele Schiffe nach Ausweichliegeplätzen außerhalb des Sandtorhafens umgesehen haben. Zurück bleiben die Schiffe, die sowieso zurzeit stillgelegt sind wie die FAIRPLAY VIII, und privat genutzte Schiffe, bei denen es nicht auf die Stunde ankommt, wann sie die Brücke passieren können.

70 Prozent Einbußen
Mahatma-Gandhi-Brücke

Täglich strömen Hunderte Menschen über die Brücke. Wenn sie gesperrt ist, müssen Anwohner, Touristen und Arbeitnehmer den gesamten Sandtorhafen umrunden, um zur Elbphilharmonie und zum Dalmannkai zu gelangen

Im Unterschied zu den Schiffen haben die Gewerbetreibenden nicht die Möglichkeit, sich einen Ausweichliegeplatz zu suchen, obwohl so mancher bei der Aussicht auf das kommende Jahr wahrscheinlich nichts lieber täte als das. Es wird hart – ganz hart. Je näher an der Elbphilharmonie gelegen, umso härter wird es. Als im April die Brücke schon einmal für eine Woche wegen eines Kranabbaus gesperrt war, konnten die am Dalmannkai gelegenen Gastronomen einen Vorgeschmack auf das bekommen, was ihnen bevorsteht. Rund um den Vasco-da-Gama-Platz lagen die Einbußen im Mittagsgeschäft bei rund 30, an der Spitze bei bis zu 70 Prozent. Manch ein Gewerbetreibender liebäugelt bei derartigen Zahlen damit, seinen Betrieb für ein Jahr zu schließen und seine Angestellten zu entlassen. Diejenigen, die noch Hoffnung haben, nicht ihren eigenen Zahlen glauben wollen oder – auch das gibt es – bisher noch gar nichts von ihrem Glück mitbekommen haben, werden über kurz oder lang ähnliche Gedanken hegen. Und es trifft nicht nur die Kleinen: Jost Deitmar, Direktor vom Louis C. Jacob und dem Carls an der Elbphilharmonie, war einer der ersten Gastronomen, der die Brisanz der Situation erkannte. Zum Mittagstisch kommen die meisten Gäste über die Mahatma-Gandhi-Brücke. Das Carls ist der größte gastronomische Betrieb auf dem Dalmannkai und muss die höchsten Einbußen erwarten. Alle Verhandlungen mit der Stadt verliefen aber im Sande. Eine Behelfsbrücke sei zu teuer und aufwendig, eine Barkassenlinie nicht machbar – und auch kein Ersatz für eine Brücke.

„Wird schon gut gehen!“

Das Wohl vieler geht vor dem Wohl einzelner: So kann man die Haltung der städtischen Stellen gegenüber den Betroffenen umschreiben. Man hört sich die Probleme wohlwollend an, seufzt mitfühlend und klopft den Gastronomen und Händlern auf die Schultern: „Wird schon gut gehen!“

Aus Sicht der Verwaltung sind eventuelle Insolvenzen infolge der Brückenerneuerung traurig, aber von städtischer Seite nicht zu verhindern. Da mag sie recht haben. Aus Sicht der Betroffenen ist das aber eine zynische Haltung, zumal viele von ihnen nicht die öffentliche Aufmerksamkeit des Carls’ haben – außerdem auch andere, kleinere Wünsche. Sichtbarkeit an den Promenaden und im Straßenraum lautet der Wunsch vieler Gewerbetreibender in der Straße Am Kaiserkai. Zahlreiche Führungen hatten schon versucht, Politik, Senat und Bezirk auf dieses Problem aufmerksam zu machen – ohne Ergebnis. Stattdessen wurden im April vom Ordnungsamt Verwarnungen ausgesprochen, die Gehwege fast endgültig von Fähnchen und Aufstellern bereinigt. Einzig Fahrradständer und Werbefahrräder durften bleiben. Jeder Versuch, irgendwie auf den Promenaden zu werben, wurde von der zuständigen HafenCity Hamburg GmbH unterbunden. Bei den Betroffenen hat sich deshalb Wut, Resignation und Fatalismus breit gemacht.

Daumen drücken!

12,5 Millionen Euro soll das Projekt kosten: neue Fundamente, Widerlager, Technik, Auffahrten und die Brücke selbst. Da mag man unwillkürlich die Daumen drücken, dass der Mahatma-Gandhi-Brücke nicht das gleiche Schicksal droht wie seiner prominenten Nachbarin, der Elbphilharmonie, oder das der Ericusbrücke. Hier lief ein ähnlicher Leistungsumfang komplett aus dem Ruder. Nimmt man die Ericusbrücke als Maßstab für einen Multiplikator für Brückenprojekte, wird die Brücke über den Sandtorhafen etwa drei Jahre Bauzeit haben und rund 25 Millionen Euro kosten. Allen Beteiligten ist zu wünschen, dass ihnen das erspart bleibt und die geplanten Bauarbeiten wirklich nach einem Jahr abgeschlossen sein werden.

Text: Michael Klessmann, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 26, Juni–August 2014 , Rubrik:    
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