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Gegen den Strom

An der Mattentwiete liegt das Büro der derzeit wohl schillerndsten deutschen Reeder-Persönlichkeit, Peter Krämer. Der Mann gilt als Querdenker, der durch sein soziales und entwicklungspolitisches Engagement weltweit bekannt wurde

Krämer

Herr Krämer, wie geht es der Schifffahrtsbranche in Hamburg?
Schlecht! Seit dem 15. September 2008, dem Tag des Lehman-Brothers-Zusammenbruchs, sind die Märkte nicht eingebrochen, nicht zusammengebrochen, sie sind einfach verschwunden. Noch im August 2008 konnte man mit einem PanMax-Trockenfrachter 80.000 Dollar pro Tag einnehmen. Im November waren es dann nur noch 2.000 Dollar pro Tag. Bei Betriebskosten von 4.000 bis 6.000 Dollar pro Tag kann man sich ausrechnen, wann das Portemonnaie leer ist.

Es gab aber auch früher schon Schifffahrtskrisen.
Ich erinnere mich noch an die harte Krise von 1980 bis 1988. Damals hatte ich einige Dispute mit meinem Vater, der die Reederei leitete. Seine Generation hatte immer nur Schiffe gekauft, nie verkauft. Das wurde dann erstmals geändert. Aber die derzeitige Krise ist viel globaler, sie ist seit Kriegsende einmalig. Zum Glück ist inzwischen mein Sohn Christian für das operative Geschäft zuständig. Ich bedauere ihn manchmal fast. Ich habe mich dort völlig zurückgezogen und leiste mir nur noch den Luxus, für Humanität und Gerechtigkeit zu kämpfen.

Man nennt Sie auch den „roten Reeder“. Stört Sie das?
Nein. Diese Bezeichnung hat sich mal ein Journalist ausgedacht, aber in Anführungszeichen gesetzt. Ich hatte zuvor gewagt, öffentlich mehr Steuergerechtigkeit zu fordern.

Ihr soziales Engagement, insbesondere das Projekt „Schulen für Afrika“, hat Sie zu einem global begehrten Gesprächspartner gemacht. Wie hat das eigentlich angefangen?
Sie wissen vielleicht, dass meine Schiffe die Namen von Widerstandskämpfern tragen, so Sophie Scholl, Hans Scholl oder Simón Bolívar. Da hatte ich mal die fixe Idee, eines meiner Schiffe nach Nelson Mandela zu benennen, schrieb seine Stiftung entsprechend an, bekam aber nie eine Antwort. Dann lernte ich Rolf Seelmann-Eggebert kennen, mit dem ich inzwischen befreundet bin. Und der sagte mir: Es ist schön, dass Sie ein Schiff nach Mandela benennen möchten. Viel wichtiger aber wäre es, Schulen im südlichen Afrika zu bauen. Das habe ich mir dann zu Herzen genommen.

Das Projekt hat riesige Ausmaße angenommen …
Ja, seit dem Start vor zehn Jahren wurden von UNICEF, der Nelson Mandela Foundation und der Peter Krämer Stiftung mehr als 205 Millionen Dollar gesammelt, über 2.800 Schulen errichtet und etwa 400.000 Lehrer ausgebildet. Rund 28 Millionen Kinder in 13 afrikanischen Ländern profitieren davon. „Schulen für Afrika“ gilt heute als die größte Privatinitiative im Bildungsbereich weltweit. Und vor allem: Die Kinder dort wollen so gerne lernen, dass schon Sechsjährige kilometerweite Fußwege zur Schule in Kauf nehmen. Ich habe es selbst erlebt, und es macht Riesenspaß, dafür zu arbeiten.

Krämer

Peter Krämer ist tief beeindruckt und inspiriert von der Begegnung mit Nelson Mandela und dessen Lebenswerk (Foto oben: Peter Krämer privat)

Gehen Sie gern zu Spenden-Galas?
Bedingt. Ich erinnere mich an eine in München, da habe ich als Mittelständler 38.000 Euro gespendet, und ein dort ansässiger Weltkonzern hat sich zu 10.000 Euro durchgerungen. Das macht einen sehr nachdenklich. Und dann denke ich an die Spenden nach der Tsunami-Katastrophe. Deutschland spendete 600 Millionen Euro, und 95 Prozent der Spendenbeträge lagen unter 50 Euro. Da können Sie sich vorstellen, dass Rentner und sogar Hartz-IV-Empfänger unter den Spendern waren, die sich gesagt haben: Mir geht es vielleicht nicht so gut, aber andere haben noch viel weniger.

Sie plädieren für eine „Wir-Gesellschaft“. Was ist das?
Ganz einfach: das Gegenteil von der „Ich-ich-ich-Gesellschaft“. Ich glaube, das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und nach einem Engagement dafür nimmt in Deutschland zu. Wenn ich zum Beispiel die Grünen Damen im Marienkrankenhaus sehe, die sich ehrenamtlich engagieren, die von Patient zu Patient gehen, um zu helfen, dann macht mich das stolz. In Deutschland sind 23 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Eine Million Menschen opfern dafür mehr als die Hälfte ihrer Freizeit. Da soll sich noch mal jemand über unser Land beklagen …

Inzwischen sind die so fern geglaubten Konflikte bei uns angekommen, und zwar ziemlich direkt …
Ich erinnere mich an eine Öl- und Gaskonferenz in Katar mit 4.500 Delegierten im Oktober 2002. Da war alles vertreten – die ölproduzierenden Staaten, die Multis. Wo man sonst schnell zum Fachgespräch überging, gab es damals nur ein Thema: den drohenden Irak-Krieg. Etwa 95 Prozent der Anwesenden waren gegen den Krieg. Der würde Leid und Elend über die ganze Region bringen, hieß es. Ich habe dann zusammen mit der Journalistin Luc Jochimsen den Aufruf für eine Antikriegsdemo initiiert. Erinnern Sie sich noch an den 15. Februar 2003? Damals demonstrierten allein in Berlin über 500.000 Menschen gegen den drohenden Irak-Krieg, in ganz Deutschland waren es zwei Millionen Menschen. Der Krieg kam dennoch, und die Vorhersagen traten ein. Heute sind wir von der Befriedung des Nahen Ostens so weit wie nie entfernt. Und fast täglich kommen neue Brandherde dazu. Die Flüchtlingsströme sind auch ein Zeichen für das Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Vor einem Jahr hätte ich noch gesagt: Die nächsten 100 Jahre schaffen wir noch. Aber jetzt glaube ich, wir haben nur noch 20 bis 30 Jahre.

Glauben Sie an Gott?
Eigentlich bin ich ja bekennender Atheist. Aber je älter ich werde, desto mehr glaube ich an das höhere Wesen, das wir verehren – nach Bölls „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“. Es gibt aber keinen „lieben Gott“, sonst würden unschuldige Kinder nicht täglich verhungern. Aber es gibt ein höheres Wesen, das uns die Verantwortung übergeben hat, das Bestmögliche zu erreichen. Denken Sie an Camus und den „Mythos des Sisyphos“! Wir haben zwei Alternativen: Entweder wir sagen, es ist sowieso alles vergebens, in 20 bis 30 Jahren ist alles zu Ende. Oder wir sagen: und trotzdem! Dieses „und trotzdem“, solange man atmen kann, das ist doch was. Aufgeben? Ich denke nicht daran!

Text: Michael Hertel, Fotos: Jonas Wölk
Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik:    
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