« Zurück zur Übersicht

Barfuß oder Lackschuh

Perfekt oder gar nicht, so lautet Flo Peters’ Devise für die Fotoausstellungen, die sie in ihrer Galerie im Chilehaus zeigt

Flo Peters

Links: Straßenszene vor der Radio City Music Hall in New York, 1978 fesgehalten von Götz Müller, dem Flo Peters im vergangenen Jahr die Ausstellung „LOST & FOUND“ widmete. (1) Rechts: Flo Peters: Seit 2005 führt sie ihre Galerie im Chilehaus – gemeinsam mit ihrem Gorki

Als Flo Peters zum ersten Mal von Fotografie gepackt wurde, war sie noch ein Kind. Ihr waren alte, schon ein wenig vergilbte Aufnahmen ihres Großonkels in die Hände gefallen, der Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Schiff gen Australien gereist war. Ein Mann im weißen Anzug: in exotischen Ländern, unter Palmen, im Urwald, in einem fernen, fremden Haus. Dass so ein Stück Papier von etwas erzählen konnte, das so weit weg war: räumlich und auch zeitlich, das beeindruckte sie sehr.

Heute hat Flo Peters die Hamburger Fotogalerie. Und das in einem der schönsten Gebäude der Stadt: im Chilehaus. In dem großzügigen, zweigeschossigen Ausstellungsraum zeigt sie vor allem die Klassiker der Fotografie des 20. Jahrhunderts. So spektakuläre Schauen wie 2008 „Magnum’s First“: die nach über 50 Jahren in einem Keller in Innsbruck wiederentdeckten Bilder der ersten Magnum-Gruppenausstellung von 1955 – unter ihnen Arbeiten von Henri Cartier-Bresson oder Robert Capa.

Arnold Newman, Picasso

Pablo Picasso, im Jahr 1954 porträtiert von Arnold Newman im französischen Vallauris, wo er seit 1948 die Villa La Galloise bewohnte (3)

Was für sie als Kind den Reiz der Bilder ihres Großonkels ausmachte, das charakterisiert auch heute noch die Fotografie, die sie liebt: möglichst unverfälschte, nicht aufwendig inszenierte oder bearbeitete Einblicke in Welten, die wir normalerweise nicht zu sehen bekommen – Bilder, auf denen die Welt abenteuerlich und voll wundersamer Vielfalt daherkommt.

Schon bevor Flo Peters ihre Fotoleidenschaft zum Beruf gemacht hat, hatte sie sich für das Fremde interessiert: Aufgewachsen in Wilhelmshaven, hat sie in der Schweiz Sprachen studiert und sechs Jahre als Reiseleiterin und Dolmetscherin gearbeitet. In Mexico City hat sie ihren Mann, einen Onkologen, kennengelernt. Mit ihm zog sie nach Boston, wo sie an der New England School of Photography studierte.

Ende der 1980er Jahre hat sie erstmals ein Foto erstanden: jene schwindelerregende Aufnahme, die der grandiose Bildreporter Alfred Eisenstaedt oben auf der Graf Zeppelin gemacht hatte, als bei einer Atlantiküberquerung hoch über dem Ozean die sturmbeschädigte Außenhaut des Luftschiffs repariert werden musste. „Eisenstaedt ist heute noch ‚my favorite‘“, erzählt Peters. „Er war einfach cool. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen. Ich habe es geschafft, ein Treffen mit ihm zu vereinbaren. Aber leider ist er kurz vor dem Termin gestorben.“

2005 eröffnete sie, inzwischen mit Mann und Kindern in Hamburg lebend, ihre Galerie. Heute kann man bei ihr die großen, farbintensiven Aufnahmen von Steve McCurry kaufen, für 30.000 oder 40.000 Euro. Aber auch für knapp 500 Euro gibt es schon was: Wintersportbilder der 1960er Jahre vom Jetset-Fotografen Slim Aarons: schöne Menschen in Steghosen graziös auf die Skistöcke gestützt oder mondän an der Schneebar mit wollenen Stirnbändern im Haar.

Andreas Rehmann Die Akte

„Die Akte“: So nannte Andreas Rehmann im Jahr 2011 seine fotografische Dokumentation der gewaltigen Unterlagensammlung der Gauck-Behörde (4)

Manchmal begeistern sie auch Projekte von Newcomern. Das von Andreas Rehmann etwa, der Aufnahmen von den Aktenmassen der Stasi-Unterlagen-Behörde zu großen Tableaus montierte. Und bis heute haben es ihr die Chronisten der großen Abenteuer der Menschheit angetan. 2010 hat sie die Bilder von Herbert Ponting gezeigt, der zwischen 1910 und 1912 die Antarktisexpedition Robert Falcon Scotts dokumentiert hatte.

Frank Hurley Flo Peters

Vom 2. März bis 22. April in der Flo Peters Gallery: „Shackleton’s Endurance“ mit Platinabzügen der historischen Glasplatten- Negative von Frank Hurley (5)

Und aktuell stellt sie die Fotos aus, die Frank Hurley 1914/15 auf der Antarktisexpedition des britischen Polarforschers Ernest Shackleton gemacht hat. Auf ihnen ist zu sehen, wie das Schiff ENDURANCE zehn Monate lang, gefangen im Packeis, im Eismeer herumgetrieben war, bevor es zermalmt wurde und sank. Und wie Shackleton während der Drift die Besatzung bei Laune hielt: mit Fußball, Hunderennen und Theater, bis er am Ende durch eine abenteuerliche Aktion alle retten konnte, die an Bord des Schiffs waren.

Auf den meisten der bei Flo Peters gezeigten Aufnahmen steht nicht die Sichtweise des Fotografen im Vordergrund. Eher das, was sich auf ihnen ereignet. „Ja, die Geschichten hinter den Bildern! Dazu wollte ich immer schon mal ein Buch machen. Und dann hat Steve McCurry mit ‚Untold‘ 2013 so ein Buch gemacht“, begeistert sich die Galeristin. „Wunderbar. Das muss eigentlich jeder lesen, der sich für Fotografie interessiert!“

Auch in ihrer Freizeit interessiert sich Peters für Geschichten und für Sprache. Sie schreibt gern kleine Storys, die festhalten, wie sie die Welt sieht – nicht zur Veröffentlichung, aber für ihre inzwischen erwachsenen Kinder. Und gerade hat sie für die Berliner Porzellanmanufaktur Hering einen Service entworfen: Ess-, Suppen-, Brot- und Dessertteller, platinfarben beschrieben mit Worten, sodass Tischdecken fast zum Schreiben wird.

Gorki

…und der Gorki (6)

Ob privat oder in der Galerie, Flo Peters ist ein Energiebündel. Dann aber sagt sie plötzlich: „Ich mache das jetzt seit zwölf Jahren. Es muss etwas passieren, ich bin so ein rastloser Mensch! Bilder an die Wand hängen ist toll. Irgendwann ist aber auch mal gut.“ In welche Richtung ihre Projekte gehen werden, das verrät sie aber nicht. Nur so viel sagt sie: „Die Ausstellung nach Hurleys Expeditionsbildern wird auf jeden Fall eine Überraschung sein.“

Sicher aber wird sie auch diese Schau wieder so sorgfältig inszenieren, wie sie es immer tut: mit hochwertig gedruck-ten Einladungskarten, aufwendigem Rahmen, perfekter Hängung. Denn, so lautet ihre Devise: „Barfuß oder Lackschuh. Sonst lass ich es.“

Text: Karin Schulze; Fotos: Götz Müller (1), Jonas Wölk (2, 6), Arnold Newman (3), Andreas Rehmann (4), Royal Geographical Society (with IBG) / Frank Hurley (5)
Aktuelle Ausgabe, Quartier 33, März–Mai 2016 , Rubrik:    
« Zurück zur Übersicht