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Die Verschlepper

Was für stolze Vollschiffe galt, hat auch für Containerriesen noch Gültigkeit: Ohne Schlepper läuft im Hafen nichts. Eine hanseatische Unternehmensgeschichte.
Die FAIRPLAY VI hat vor dem Burchardkai ein Containerschiff am Haken.

Die FAIRPLAY VI hat vor dem Burchardkai ein Containerschiff am Haken. (1)

Vor dem Eingang ein gülden glänzender Schiffspropeller, gegenüber die backsteinerne Fassadenreihe der Speicherstadt mit der immer noch wachsenden Elbphilharmonie dahinter. Und von Südwesten grüßen der große Strom und die roten Schornsteine der Cap San Diego herüber – viel mehr Hamburg als beim neuen Fairplay-Domizil am Zollkanal geht kaum. Erst seit drei Jahren residiert die Fairplay Schleppdampfschiffsreederei Richard Borchard GmbH, kurz: Fairplay-Towage, in der einstigen Firmenzentrale von Erck Rickmers. Fairplay war zuvor am Stubbenhuk angesiedelt und hatte jahrelang nach einem neuen, größeren Quartier gesucht. „Wir wollten aber unbedingt an der Küste bleiben“, berichtet Jörg Mainzer (56), einer von zwei gleichberechtigten Fairplay-Geschäftsführern, über die schwierige Suche nach einem repräsentativen Domizil. Mit „Küste“ ist übrigens die gesamte nördliche Wasserkante Hamburgs gemeint.

Es war wohl nicht zuletzt die große Tradition von nunmehr 105 Jahren, die dem hanseatischen Unternehmen mit dem englischen Namen den neuen Standort an der Straße Bei den Mühren 1 als besonders geeignet erscheinen ließ. Dass diese Tradition nunmehr in vierter Generation fortgeführt werden kann, ist nicht zuletzt dem Mut einer Frau zu verdanken. Lucy Borchard, Ehefrau des früh verstorbenen Firmengründers Richard Borchard, kämpfte zusammen mit ihrem Sohn Kurt in dunkler Vergangenheit zäh gegen die „Arisierung“ der Reederei. Mit der Überführung des Unternehmens in eine Stiftung verhinderte sie schließlich die Zerschlagung der Firma. Die Familie entkam den Nazis mit knapper Not im Jahre 1938 nach London. Der von den Nazis eingesetzte „Betriebsführer“ Wilhelm Algermissen, zuvor Inspektor der Reederei, verlor jedoch die Interessen der Familie Borchard nicht aus den Augen und bemühte sich darum, Staat und Partei möglichst aus dem Betrieb herauszuhalten. Elf Jahre später gehörte Fairplay zu den ersten Firmen in Deutschland, die ihren jüdischen Eignern zurückgegeben werden konnte.

Die FAIRPLAY VIII hat ihren Liegeplatz im Traditionsschiffhafen in der HafenCity. (2)

Die Fairplay VIII hat ihren Liegeplatz im Traditionsschiffhafen in der HafenCity. (2)

Der Name Fairplay ist übrigens älter als die Reederei selbst. Sein „Erfinder“ war der Hamburger Hafenunternehmer Carl Tiedemann, der im Jahr 1895 das erste Dampfschiff seiner Schlepperabteilung so nannte, um dessen Dienste für ausländische Kapitäne populär zu machen. Heute würde man diese Namensgebung vermutlich als gelungene PR-Maßnahme bezeichnen. Im Jahre 1897 trat Richard Borchard in die Firma ein, machte sich später selbstständig und übernahm Tiedemanns Schlepp-Abteilung im Jahre 1905 als eigenständiges Unternehmen.

Aus heutiger Sicht mutet das Geschäftsgebaren des Gewerbes in den Anfangsjahren recht hemdsärmelig an. Tauchten Handelsschiffe – viele waren damals noch Segelschiffe – vor dem Hamburger Hafen auf, so stürzte sich eine Meute konkurrierender Schlepper darauf. Der schnellste Schlepper machte das Rennen und kriegte den Tampen. Die Konditionen wurden üblicherweise von Reling zu Reling ausgehandelt. „Beute machen“ nannten das die Schlepp-Unternehmer. Bei drohenden Havarien gar, kann man sich lebhaft vorstellen, hatte der Schlepperkapitän meist die besten Argumente und das letzte Wort.

Der schnellste Schlepper machte das Rennen und kriegte den Tampen.

Heute geht es im Schlepp-Gewerbe nicht mehr ganz so raubeinig zu. Es gibt Verträge zwischen Schlepp- und Frachtreedern. Aber die Konkurrenz ist weiterhin hart. Immer nach den Sommerferien geht es auf Werbetour um die Verlängerung auslaufender Kontrakte.

Beute machen wollte offensichtlich auch eine niederländische Schleppreederei, die – mit öffentlichen Subventionen im Rücken – 1996 „überfallartig“ die Hamburger Konkurrenz im eigenen Revier schockte. Bei üblichen Kündigungsfristen von drei Monaten für die Schleppkontrakte traf es die Einheimischen fast unvorbereitet. Mainzer: „Am Ende war ein Drittel des Geschäfts weggebrochen. Die einheimischen Schleppreedereien mussten Schiffe stilllegen und mehr als hundert Leute entlassen.“ Seitdem teilen sich die fünf deutschen Anbieter in Hamburg die Kunden mit einem Niederländer.

Der holländische Schlepper-Krieg aber muss die Verantwortlichen bei Fairplay ordentlich gewurmt haben. Sie starteten das größte Neubauprogramm der Firmengeschichte. Sechs Hightech-Schiffe wurden in Auftrag gegeben. Und als die fertig waren, revanchierten sich die Hamburger und stationierten ihre Neubauten ab 1998 in Rotterdam. „Da waren die Holländer natürlich genauso erfreut, wie wir zuvor in Hamburg“, berichtet der Geschäftsführer schmunzelnd. „Anfangs wurden wir dort geschnitten. Aber inzwischen ist Fairplay in Rotterdam ordentlich etabliert.“ Das Preisgefälle im Hamburger Hafen ist inzwischen übrigens eingeebnet, nachdem die deutschen Schlepp-Reedereien in Brüssel erfolgreich gegen holländische Subventionen geklagt hatten.

Mit Überraschungseffekt arbeitete Fairplay auch bei der Eroberung des ostdeutschen Marktes kurz nach der Wiedervereinigung: Um die Konkurrenz nicht vorzuwarnen, starteten drei Schlepper nachts von Hamburg aus, um kurz darauf vor dem Zielhafen Rostock-Warnemünde aufzukreuzen. Heute gehört Fairplay inklusive diverser Firmenbeteiligungen mit rund 250 Mitarbeitern, rund 80 Schleppern und anderen maritimen Fahrzeugen, verteilt auf Stützpunkte in großen deutschen Häfen sowie Polen, Belgien, den Niederlanden und Bulgarien zu den Großen der Branche. Seit Ende der 1950er Jahre gehört auch die Wilhelmsburger Werft Theodor Buschmann zum Fairplay-Imperium. Anfangs wurden dort die Schlepper für das Mutterunternehmen gebaut. Heute sind die „Buschmänner“ viel gefragte Spezialisten im Offshore-, Stahl- und Wasserbau.

Bugsieren mit dem Joystick: Die Ein-Mann-Kommando-„Brücke“ des Hafenschleppers ist heutzutage ein Hightech-Arbeitsplatz. (3)

Bugsieren mit dem Joystick: Die Ein-Mann-Kommando-„Brücke“ des Hafenschleppers ist heutzutage ein Hightech-Arbeitsplatz. (3)

Als eine der wenigen deutschen Schlepp-Reedereien bietet Fairplay Schlepper im weltweiten Einsatz für so genannte Langstrecken-Verschleppungen auch zwischen Kontinenten an. Diese Dienstleistung sowie Verschleppungen entlang der europäischen Küsten gehören neben den Hafendiensten zu den wichtigsten Bereichen eines Komplettservices. „Vor Kurzem haben wir zum Beispiel eine Serie von Neubaurümpfen aus dem Schwarzen Meer abgeholt und nach Norwegen zur Endausrüstung gebracht“, nennt Mainzer ein branchenübliches Service-Beispiel. Gelegentlich treten auch Oldtimer ihre letzte Fahrt zu einem der berüchtigten indischen Abwrackstrände am Haken eines Fairplay-Schleppers an. Neben Werften und Reedern gehört auch die Ölindustrie zu den wichtigsten Kunden des Gewerbes. Häufig müssen dabei Ölplattformen „von einem Bohrloch zum nächsten“ gezogen werden. So freut sich Mainzer an seinem Schreibtisch immer, wenn der Benzinpreis wieder mal auf Rekordniveau liegt: „Ein hoher Ölpreis bedeutet für uns, dass in der Nordsee viel gearbeitet wird. Dann haben auch wir gut zu tun.“ Lange werden die Hamburger allerdings nicht mehr Freude an den Förder-Aktivitäten vor der Haustür haben. „Die Nordsee ist praktisch leer. Da werden jetzt nur noch die Ecken ausgefegt“, erklärt Mainzer. Neue Chancen liegen in Afrika, vor den Küsten von Angola und Nigeria beispielsweise. Fairplay jedenfalls ist vorbereitet, auch wenn die Hamburger in den vergangenen Monaten mit Sorge und Kopfschütteln in Richtung auf den Golf von Mexiko geblickt haben: „Was da passiert ist, ist wirklich haarsträubend. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie pingelig die Ölunternehmen mit uns Fremdfirmen umgehen. Es wäre gut, wenn die den gleichen Maßstab auch immer an ihre eigenen Aktivitäten anlegen würden.“

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Das weiß man bei Fairplay ganz genau. Das Schleppgewerbe ist „gefahrgeneigt“, wie es im Juristendeutsch heißt. „Routine ist der Tod in unserer Branche“, erklärt Mainzer. Und diese Erkenntnis darf man durchaus wörtlich nehmen. Wie schnell reißt eine Schleppleine und kann im ungünstigsten Fall einen Menschen töten. Wie oft ist schon ein Schlepper beim Übergeben der Leine mit einem großen Pott kollidiert oder gar unter Wasser gedrückt worden. Auch Fairplay wurde im Laufe seiner 105jährigen Geschichte von solch schweren Unfällen heimgesucht. So sank zum Beispiel in den 1950er Jahren allein ein Unglücksschlepper viermal. Aber diese Unglücke liegen Jahrzehnte zurück. Die Hamburger achten strengstens auf Qualität und Qualifizierung von Material und Personal. „Während des Schleppens darf kein Mann an Deck stehen. Bei Jobs ist immer die persönliche Schutzausrüstung zu tragen, und an Bord gilt zu jeder Zeit ein absolutes Alkoholverbot – auch während der Ruhepausen.“ Das Ergebnis ist eine Statistik, die seit Jahren keine schweren Unfälle mehr verzeichnet.

Fairplay bietet auch Langstrecken-Verschleppungen  zwischen Kontinenten an.

Diese positive Bilanz hat natürlich auch etwas mit dem enormen technischen Fortschritt zu tun, dem die Branche in den vergangenen Jahrzehnten unterworfen war. Allein die Schlepper veranschaulichen, dass es sich um eine Hightech-Industrie handelt. Der Technik-Boom hat auch zu Rationalisierungen geführt – ein Hafenschlepper wird heute von drei Mann (Kapitän, Maschinist und Deckshand) betrieben. Dafür aber haben die ungeheure Leistung und Wendigkeit der schwimmenden Zugtiere geholfen, die Zahl schwerer Unfälle drastisch zu reduzieren.

Aber nicht nur gefährlich ist der Job. Er ist auch teuer – trotz Rationalisierung. Schiffe müssen nicht nur für Routinearbeiten, sondern auch für den Ernstfall einer (drohenden) Havarie vorgehalten werden. Ein Hamburger Fairplay-Schlepper ist – ähnlich wie Polizei oder Feuerwehr – innerhalb von rund zehn Minuten einsatzbereit. „Maschine an, Leinen los und ab“, formuliert es Mainzer. Die Schlepper-Crew lebt während einer Arbeitsperiode – je nach Einsatzgebiet zwischen drei und 14 Tagen – ständig an Bord. Dabei sind pro Tag im Schnitt vielleicht drei oder vier so genannte Jobs zu bewältigen. Den Rest des Tages liegt das Schiff am Steg in ständiger Einsatzbereitschaft.

Für die Zukunft fühlen sich die Hamburger gut aufgestellt, trotz derzeitiger Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dazu Mainzer: „Das Ladungsaufkommen hat sich gegenüber dem Vorjahr schon erhöht, aber die Zahl der Schiffe noch nicht. Damit rechnen wir erst wieder 2011. Man liest jedoch in Fachzeitschriften, dass Container-Reedereien schon wieder starke Ladungs- und Umsatzsteigerungen verzeichnen.“ Klingt ganz gut.



FAIRPLAY IN DER GESCHÄFTSFÜHRUNG

Walter Collet (52, rechts) ist der Seemann in der Geschäftsführung. In Süddeutschland geboren, startete er 1976 eine Ausbildung zum Matrosen, schloss später an der Fachhochschule Bremen als Diplom-Nautiker mit dem Kapitänspatent auf großer Fahrt ab. Im Jahre 1988 heuerte er bei Eurokai in Hamburg an, arbeitete später unter anderem auch als Nautischer Sachverständiger und war nach dem Wechsel zur HPC Hamburg Port Consulting sieben Jahre lang in Buenos Aires/Argentinien stationiert. In die Geschäftsführung bei Fairplay Towage trat er im Jahre 2005 ein.

Der Bremerhavener Jörg Mainzer (56, links) startete seine berufliche Karriere 1976 als Lehrling bei dem holländischen Schiffsmakler und Reeder Van Ommeren in Hamburg. Dort arbeitete er in verschiedenen Funktionen im In- und Ausland. Von 1993 bis 1998 war er Geschäftsführer der Van Ommeren Organisation in China. Im Jahr 2000 avancierte Mainzer zum Geschäftsführer bei Fairplay Towage.


Text: Michael Hertel, Fotos: (1, 2, 4) Thomas Hampel, (3) Fairplay Towage
Quartier 11, September–November 2010 , Rubrik:    
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