Ein Mann mit Bodenhaftung
Den Spruch von dem Letzten, der das Licht ausmacht, kennt Wessel Janssen ganz bestimmt. Der gebürtige Emdener ist nämlich der letzte aktive Quartiersmann in der historischen Speicherstadt. Das Licht ausknipsen muss er dennoch nicht – da ist er ganz froh.
„Ich finde es gut, dass man für die Speicherstadt eine neue Nutzung gefunden hat. Der ganze Komplex steht ja unter Denkmalschutz. Man hätte die Gebäude wohl kaum alle leer stehen lassen können“, meint Wessel Janssen. Er ist ein Mensch mit einem „Riecher“, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich flexibel anzupassen weiß. Das mag wohl an seiner grundsoliden Ausbildung zum Speditionskaufmann gelegen haben, die er bei einer Emdener Reederei genossen hat. Danach verlegte er seine Aktivitäten fast zehn Jahre lang in die USA, bevor er zu Beginn der 1980er Jahre nach Hamburg kam.
Um die 60 (Klein-)Unternehmen werden es zur Hochzeit der Quartiersleute vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein, die in der Speicherstadt ihrem Lagergewerbe nachgingen. Häufig, erinnert sich Janssen, bestanden solche Firmen aus gerade einmal vier Mann. „So viele waren nötig, um am Seilzug zu arbeiten – einer bediente die Winde, einer arbeitete unten am Stropp, und zwei waren mit dem Einlagern der Säcke auf den Böden beschäftigt.“ Das wurde dann mit zunehmendem technischen Fortschritt immer unwirtschaftlicher. Transportpaletten, Gabelstapler und der Container ließen die Speicherstadt im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen. Schließlich entstanden außerhalb der Speicherstadt große ebenerdige Lagerhäuser, in denen man mehrere Lagen übereinander stapeln konnte, was ja in der Speicherstadt wegen der Höhe der einzelnen Etagen (sprich: Böden) nur sehr begrenzt möglich war. „Das Ergebnis war“, so Janssen, „dass ein einzelner Gabelstaplerfahrer in einem modernen Lager pro Stunde ein Pensum schaffte, für das in der Speicherstadt vier Leute einen ganzen Vormittag brauchten.“ Diesen Nachteil konnten selbst die his-torisch niedrigen Mieten der Speicherstadt nicht mehr ausgleichen, zumal Quartiersleute nach dem gleichen Tarif bezahlt wurden wie Kranführer.
Transportpaletten, Gabelstapler und der Container ließen die Speicherstadt im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen.
Dennoch dauerte es bis in die 1990er Jahre, bis eine Hafenfirma nach der anderen die Speicherstadt verließ oder ganz aufgab. Viele Quartiersleute zogen beispielsweise auf Flächen des zugeschütteten Indiahafens. Auch Janssen wollte sich ursprünglich dort ein modernes Lager sichern, verzichtete aber schließlich darauf, nicht zuletzt wegen eines fehlenden Nachfolgers.
Zu dieser Zeit hatte der Ostfriese schon ein bewegtes Leben hinter sich, hatte jahrelang für die Spedition Las-sen in Fernost akquiriert, um später auf eigene Rechnung in den Container-Verkehr mit Afghanistan einzusteigen. In diese Zeit fiel auch der Erwerb der um 1920 gegründeten Hamburger Quartiersmann-Firma Weber & Möller. Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten gelang es Janssen, durch eigene Speditionstätigkeit und Spezialisierung, zum Beispiel Import, Lagerung und Kommissionierung von Spirituosen aus Schottland und Elektronikartikeln aus Fernost, sein hafennahes Gewerbe weiterhin von der Speicherstadt aus zu betreiben. Vor allem wollte er sich mit seinem Büro nicht aus der backsteinernen Historie verdrängen lassen. Das ist ihm schließlich gelungen, und wieder durch Flexibilität und eine gute Idee: Wo einst Kaffee, Tee, Gewürze, Kautschuk oder Wolle säckeweise per Schute ankamen, lagert die Weber & Möller GmbH inzwischen Archiv- und Geschäftsunterlagen, Insolvenzakten, Büromobiliar, Teppiche, Segeltuche und archivierte Filme. Von den einst bis zu 60 angemieteten Böden werden noch immer rund 6.000 qm bewirtschaftet, mit angebotenen Stellflächen von zwei bis etwa 500 Quadratmetern für die Kunden. Genutzt werden sie vor allem von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Unternehmen und Privatleuten. Das Lager des letzten Quartiersmannes: Es riecht zwar nicht mehr nach „großer, weiter Welt“, aber wenn am Haus Brook 5 auch heute noch die Winde mit dem einzigartigen Palettenaufzug anspringt, können einem alten Hamburger schon ein paar Tränen der Wehmut über die Wangen kullern.
Text: Michael Hertel, Foto: Thomas Hampel