HafenCity Nord
Vor fünf Jahren wurde die HafenCity Universität gegründet. Auf fünf verschiedene Standorte quer über die Stadt verteilt, wartet sie mit wachsender Ungeduld darauf, dass mit dem Bau ihres Gebäudes in der HafenCity begonnen wird.
Eigentlich sollte am neuen Campus der HafenCity Universität bereits gebaut werden. Aber der Startschuss für den lange angekündigten Neubau wurde erneut aufgeschoben. Nächster Termin: voraussichtlich im Oktober 2010. Was ist nur los? Die Bürgerschaft hat die Gründung der Universität beschlossen. Die baubezogenen Studiengänge, die bisher in drei Hochschulen an fünf Standorten zwischen Harburg, Uhlenhorst und der CityNord verstreut liegen, sollten erstmals unter einem Dach zusammengeführt werden. Inzwischen arbeitet die neue Hochschule seit fast fünf Jahren, ohne über einen Hörsaal, einen Seminarraum oder eine Werkstatt in der HafenCity zu verfügen. Warum? Die Antwort ist verblüffend: Man kann sich nicht darauf verständigen, ob die HafenCity Universität in der HafenCity stehen soll.
Dabei herrschte eigentlich Einigkeit darüber, dass die Fachbereiche Architektur, Stadtplanung, Vermessungs- und Bauingenieurswesen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) und der TU Harburg nicht nur in einer Organisation, sondern auch in einem Gebäude gebündelt werden müssten. Die Kommission zur Strukturreform der Hamburger Hochschulen unter dem Vorsitz des ehemaligen Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi hatte diesen Schritt bereits 2003 angeregt. Der Senat kündigte später an, er wolle eine Bauhochschule „an einem exponierten Standort in der HafenCity“ schaffen. Grund dafür war nicht nur die überfällige Neuordnung der Hochschullandschaft, sondern die Frage, ob man überhaupt Architekten, Stadtplaner und Geodäten ausbilden wollte. Man wollte. Hamburg sollte zu einer international wahrgenommenen Adresse für Bauausbildungen werden. Die Bedingungen dafür waren nicht leichter geworden, nachdem sich die europäischen Bildungsminister 1999 in Bologna für eine Vereinheitlichung des Hochschulwesens ausgesprochen hatten. Universitäten waren dadurch in einen Wettbewerb um Studenten und Professoren geraten. Deshalb wollte Hamburg nicht nur die klassischen Ausbildungen anbieten, sondern auch zum Standort der ersten und einzigen europäischen Hochschule werden, die sich allein mit der gebauten Umwelt beschäftigte.
Das könnte zu einem bedeutenden Standortvorteil werden. Über die Hälfte aller Menschen lebt in Städten. Städte fressen drei Viertel aller Ressourcen und produzieren einen ebenso großen Anteil an Müll. Wer heute Antworten auf Fragen zum Klimaschutz oder zur Energieeffizienz geben kann, macht sich zum unverzichtbaren Partner beim Handel mit Technologien. Das zeigt bereits die Konjunktur des Nachhaltigkeitsbegriffs. Nachhaltiges Bauen ist zwar in aller Munde, aber es ist zumindest fraglich, wie viele Büros tatsächlich über ausgereifte Erfahrungen und Kenntnisse auf dem Gebiet verfügen. Aber nicht nur die Wirtschaft sucht Antworten. Gerade in einer Stadt wie Hamburg, in der eine bemerkenswerte Bautätigkeit entwickelt worden ist, zeigt sich immer wieder, dass Baukultur keine besonders tiefen Spuren in der Allgemeinbildung hinterlassen hat. Wie die meisten Deutschen begegnen die Hamburger gerade zeitgenössischer Architektur eher skeptisch. Damit die Architektur und ihre Nutzer nicht weiter fremdeln, sucht die Stadt ein übergeordnetes Forum, eine Bühne für eine öffentliche Auseinandersetzung.
Low-Tech
Um alles das zu leisten, beschloss die Bürgerschaft im Dezember 2005 die Gründung der HafenCity Universität (HCU). Die Dohnanyi-Kommission hatte noch überlegt, sie in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in der City Nord unterzubringen. Dieser abgelegene Gebäudekomplex aus den siebziger Jahren konnte aber in den Augen des Senats nicht die Bedingungen erfüllen, die er an die neue Hochschule stellte: Die verstreuten Fachbereiche sollten in einem Gebäude unterkommen, in dessen Lage und Architektur sich bereits die Bedeutung der neuen Universität widerspiegelte. Außerdem würde nur ein zentral gelegener Ort die Menschen dazu anregen, sich an dem Dialog zu beteiligen oder überhaupt Notiz von dem Vorhaben zu nehmen. Die Hebebrandstraße schien nicht gerade dafür prädestiniert zu sein, sich breiten Kreisen als beliebte und belebte Anlaufstelle für eine spannende öffentliche Architekturdiskussion einzuprägen.
Der herausragende Standort an der Elbe und die inhaltliche Ausrichtung der neuen HCU diktierten auch die Vorgaben für den Neubau im Architektenwettbewerb. Der Primärenergiebedarf sollte unter 100 KWh pro Quadratmeter und Jahr liegen. Bewerber mussten belegen, an welchen Hochschulbauten und Versammlungsstätten sie Erfahrungen gesammelt hatten; sie sollten ihre Expertise in Energieeffizienz und ökologischen Konzepten nachweisen. Büros, in denen alle Teilhaber nach Dezember 1961 geboren wurden, war es erlaubt, ersatzweise Preise oder Publikationen zum Thema vorzulegen. Zugelassen waren 90 freie Bewerber, während zehn Büros eingeladen wurden, darunter die Hamburger blauraum und SEHW, Trojan + Trojan aus Darmstadt und die internationalen Büros Feichtinger (Paris), Burkhalter Sumi (Zürich), Kengo Kuma (Tokio) und MVRDV (Rotterdam). Als Sieger wählten die Preisrichter dann aber ein „junges“ Büro, Code Unique aus Dresden, das sich mit seinem Low-Tech-Ansatz das Ziel gesteckt hatte, so wenig Technologie wie möglich zu verbauen. Die geplanten Systeme wurden als besonders nachhaltig bewertet, darunter Nachtauskühlung über Fensterlüftung, Geo- und Solarthermie, Photovoltaik oder tageslichtabhängige Steuerung der Energiesparlampen. Aus diesem Grund wurde der Entwurf im Dezember 2008 auch mit dem Umweltzeichen der HafenCity Hamburg GmbH in Gold belohnt.
Zweiter Sieger
Nachhaltiger Bau. Zeitgenössische Architektur. Renommierte Professoren. Eigentlich verlief alles nach Plan. Tatsächlich hatten aber bereits während des Architektenwettbewerbs einige Beobachter die Stirn gerunzelt. Das Preisgericht, dem neben dem Wissenschaftssenator auch Oberbaudirektor Jörn Walter, HCU-Präsident Steven Spier sowie die Architekten Kees Christiaanse, Ulrich Hahnefeld und Karin Loosen angehörten, wollte keinen ersten Preis vergeben. Sie waren nämlich zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Bewerber alle Anforderungen erfüllte. Deshalb gewann Code Unique mit dem zweiten Preis. Anschließend meldete sich der Rechnungshof zu Wort und erklärte, die Jury hätte die verbindlichen Bedingungen der Ausschreibung nicht ausreichend gewürdigt. Fast zwei Drittel der „jungen“ Büros hätten keinerlei Belege für Erfahrungen mit nachhaltigen Bauweisen vorweisen können. Alle Entwürfe der zweiten Runde hätten die Kostenobergrenze überschritten, allen voran der Siegerentwurf, dessen Glasanteil an der Fassadenfläche überdies 80 Prozent betrage, wodurch enorme Kosten für Reinigung, Wartung und Maßnahmen zum Wärmeschutz notwendig seien. Trotzdem hätten die Preisrichter alle Arbeiten zugelassen, weil ihnen schon aufgrund ihrer Zusammensetzung eher an überdurchschnittlicher Architektur gelegen sei und eben nicht an Wirtschaftlichkeit.
Dieser Aspekt begann nun auch andere zu beschäftigen. Bevor das Gesetz zur HCU verabschiedet wurde, hatte der Senat die Zahl 50 Millionen Euro in den Raum geworfen. Im Januar 2008 erklärte er, man müsse von „60 Millionen Euro plus“ ausgehen. Grund für die Mehrkosten seien erhebliche Kostensteigerungen aufgrund der allgemeinen Baukonjunktur, außerdem die Erhöhung der Mehrwertsteuer 2007, eine Vergrößerung um 600 Quadratmeter sowie knapp 4 Millionen Euro für eine Tiefgarage, die in den ursprünglichen Planungen vergessen worden war. Inzwischen spricht man allgemein von 66 Millionen Euro, wobei das Grundstück nicht berücksichtigt ist. Denn, so hieß es seitens des Senats, das befinde sich schließlich im Eigentum der Stadt, genauer gesagt des Sondervermögens Stadt und Hafen, von dem es durch die Wissenschaftsbehörde erworben werden muss. Um den Grundstückspreis von knapp 20 Millionen Euro zu zahlen, will die Behörde Liegenschaften an der Hebebrandstraße verkaufen. Der Betrag muss also irgendwie an die Finanzbehörde fließen.
Der Rechnungshof ließ in seinem Jahresbericht 2009 verlauten, der HCU-Neubau werde mindestens 73 Millionen Euro für Grundstück und Gebäude kosten. Damit nicht genug. Der Bericht übte heftige Kritik an eigentlich allem, was zur HCU in den vergangenen Jahren entschieden worden war. Es gäbe, so hieß es, deutlich günstigere Alternativen: Wenn die vorhandenen Gebäude an der Hebebrandstraße hergerichtet würden, fielen insgesamt nur 15 Millionen Euro an. Der Rechnungshof forderte den Beleg dafür, was die HafenCity als Standort überhaupt rechtfertige, wo doch eine Verlagerung der Universität nach Wilhelmsburg bereits offen diskutiert werde. Auch dort könne man bauen, für nur 57 Millionen Euro. Eine Dokumentation der Stadtentwicklungsbehörde beweise überdies, dass durch den hohen Glasanteil des Siegerentwurfs ein Drittel der gesamten Betriebskosten auf Gebäudereinigung entfielen. Der Neubau sei keineswegs musterhaft für nachhaltiges Bauen: Fernwärme führe lediglich durch eine „rechnerische Gutschrift“ zu einer Verringerung des Primärenergiebedarfs um rund 22 Prozent, ohne dass tatsächlich weniger Heizenergie verbraucht würde. Eine weitere Senkung um 30 Prozent „werde durch eine zusätzliche Wärmedämmung der Fassade kostenintensiv erkauft“. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass viele Maßnahmen zur Nachhaltigkeit unwirtschaftlich seien. Ohne diese Systeme ließen sich fast 2 Millionen Euro einsparen, der Primärenergiebedarf stiege dann aber auf 105 kWh. Und schließlich sei die Stadt auch verantwortlich dafür, dass sich kein Investor für Bau und Betrieb habe finden lassen. Durch unübliche Bedingungen sei das Projekt für Privatunternehmen unattraktiv geworden.
Auf einmal wurde alles offen in Frage gestellt, was in den vergangenen vier Jahren als ausgemachte Sache galt, vor allem der Standort und der Neubau. Wer wäre auf die Idee gekommen, die HafenCity Universität an anderer Stelle unterzubringen als in der HafenCity? Nun wurden zwingende wirtschaftliche Gründe für eine Entscheidung gegen die Hebebrandstraße verlangt, die in der Beschlussfassung der Bürgerschaft keine Rolle gespielt hatte und an der auch nur durch Abriss und anschließenden Neubau eine zukunftsfähige Universität entstehen würde. Inzwischen ist weitere Kritik laut worden. Manche beklagen nun, es werde zu wenig Geld in die Hand genommen, um eine Universität zu schaffen. Außerdem machten 1.500 Studenten eher eine spezialisierte Fachhochschule und weniger eine Universität. Dem Abendblatt war auch zu entnehmen, es stehe inzwischen fest, dass der Neubau sogar für die kleine Zahl an Studenten zu klein sei. Nachdem die HCU ursprünglich geplant wurde, um die räumliche Zersplitterung zu beenden, ist dieser Umstand natürlich besonders heikel.
City Nord-Universität
Währenddessen schüttelte man in der HCU nur noch die Köpfe. HCU-Präsident Spier entschied sich für einen Appell an die Politik. In einer Presseerklärung äußerte die HCU ihre „Fassungslosigkeit“ darüber, „dass die Grundsatzentscheidung über den Standort der HafenCity Universität auf dem Gebiet der HafenCity in Frage gestellt wird“. Spier sagte, sämtliche Planungen seien zusammen mit dem Standort entwickelt worden. Gernot Grabher, Professor für Stadt- und Regionalökonomie, prophezeite sogar, „zahlreiche Professoren, die für dieses Konzept an dem versprochenen Standort nach Hamburg gezogen sind, werden ohne dieses asset die Stadt wieder verlassen.“ In der Mitteilung forderte die HCU die Bürgerschaft „zu einem deutlichen und kurzfristigen Bekenntnis zum Neubau in der HafenCity“ auf. Mit welchem Ergebnis? Eine Kleine Schriftliche Anfrage wurde an den Senat gerichtet: Es sei irritierend, hieß es, dass eine Universität, die maßgeblich aus Steuermitteln finanziert werde, einen fraktionsübergreifenden Beschluss des Haushaltsausschusses angreife. Der Steuerzahler zahle auf diese Weise eine öffentliche politische Einflussnahme auf die Abgeordneten der Bürgerschaft.
Hamburg hatte große Pläne. Eine Universität von internationalem Rang, modern ausgestattet, eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Inzwischen wird aber diskutiert, dass in der City Nord oder in Wilhelmsburg preisgünstiger gebaut werden könne. Das ist nichts Neues. Alles, was in der HafenCity entsteht, wird teurer sein als ein vergleichbares Gebäude in Wilhelmsburg. Wenn das der Maßstab für langfristige politische Entscheidungen sei, so warf ein Abgeordneter der Bürgerschaft ein, dürfe man in der HafenCity überhaupt nicht mehr bauen, „weil das in Wilhelmsburg oder an der Autobahnausfahrt Schnelsen viel billiger möglich ist.“ Das ist ein interessanter Gesichtspunkt.
Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1, 2) Thomas Hampel, Visualisierung: (3) Code Unique Architekten