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Die Grenzgänger

„Leben und leben lassen“ – kann das heute noch die Philosophie eines international erfolgreichen Handelshauses sein? Offensichtlich doch – bei Gebr. Heinemann in der HafenCity


Gunnar (links) und Claus Heinemann sind Cousins zweiten Grades. Claus’ Vater Helmut Heinemann (auf dem Gemälde) war selbst 47 Jahre lang in der Geschäftsleitung des Unternehmens tätig. (1)

Gunnar (links) und Claus Heinemann sind Cousins zweiten Grades. Claus’ Vater Helmut Heinemann (auf dem Gemälde) war selbst 47 Jahre lang in der Geschäftsleitung des Unternehmens tätig. (1)

Zur Zeit arbeiten sie mitten auf der Baustelle. Auf einer der größten Baustellen Europas, genauer gesagt. „Dort drüben entsteht das Überseequartier“, weist Claus Heinemann (57) mit glänzenden Augen auf eine riesige Baugrube, die sich vom Norderelbufer fast bis vor sein Bürofenster im 7. Stock an der Koreastraße 3 (früher: Magdeburger Straße) zieht. „Und wenn die Queen Mary II wieder mal hier anlegt, haben wir sie etwa auf Augenhöhe.“ Die gelegentliche Aussicht auf die größten Luxusliner dieser Welt gehört zu den Privilegien, die Claus Heinemann gern im Stillen genießt. Sein Büro jedenfalls wirkt keinesfalls so, wie man sich landläufig den Arbeitsplatz eines Mannes vorstellt, der – zusammen mit Cousin Gunnar Heinemann (57) – über ein Unternehmensimperium mit 1,4 Milliarden Euro Jahresumsatz gebietet. Gebrüder Heinemann – das ist eine geballte Ladung hanseatischer Tradition, gepaart mit einem ausgeprägten Sinn für erfolgsorientierte Zukunftsfähigkeit.

Auf immerhin fast 129 Jahre Bestehen kann dieses Ur-Hamburger Unternehmen inzwischen zurückblicken. Deren Gründer freilich, die Brüder Carl und Heinrich Heinemann, waren einst aus Kiel zugereist und hatten im neuen Freihafen Erfolgschancen im Schiffslieferhandel mit unverzollten und unversteuerten Waren gesehen. Während Carl nach wenigen Jahren seine kaufmännischen Aktivitäten nach London verlagerte, legte Heinrich in der jungen Speicherstadt die Grundlagen für andauernden unternehmerischen Erfolg. Vom traditionellen Schiffsausrüster, über den Handel im Umfeld des beginnenden Flugtourismus nach dem Zweiten Weltkrieg, bis zu einem international agierenden Groß- und Einzelhandelsunternehmen mit rund 3500 Mitarbeitern (davon etwa 900 in Hamburg) war allerdings ein weiter Weg.

Vom Schiffsausrüster zum Duty-Free-Handel – der Boom
kam mit dem einsetzenden Flugtourismus

Die 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts brachten mit dem aufkommenden Tourismus dem vorausschauenden Handelsunternehmen neue Märkte, Geschäftsfelder und Kunden im In- und Ausland. So setzte sich der zollfreie Einkauf nicht nur auf Flughäfen mit internationalen Verbindungen mehr und mehr durch. Auch auf Fähr- und Passagierschiffen boten sich den „Heinemännern“ neue Verkaufsmöglichkeiten. Natürlich waren – und sind – die Hamburger auch auf dem Zollparadies Helgoland aktiv: Rund 50 Prozent der auf Helgoland verkauften Zigaretten liefert das Heinemann-Zentral-lager in Hamburg-Allermöhe. Bei Spirituosen und Parfum liegt der Anteil sogar bei rund 80 Prozent. Läden an Grenzübergängen („Bordershops“) sowie die inzwischen Geschichte gewordenen Butterfahrten auf der Ostsee wurden weitere erfolgreiche Vertriebskanäle der Hamburger.

Alt und Neu: der Heinemann-Speicher von 1978, die modernisierte Unternehmenszentrale, neben dem Kaispeicher B von 1879 (2)

Alt und Neu: der Heinemann-Speicher von 1978, die modernisierte Unternehmenszentrale, neben dem Kaispeicher B von 1879 (2)

Die enormen Zuwachsraten vor allem im Flugtourismus ließen die Gebrüder Heinemann schon bald vom reinen Großhändler und Lieferanten in den Bereich des Einzelhandels vordringen. Die ersten eigenen Duty-Free-Shops wurden 1969 eröffnet. 1970 kam die Konzession für Köln-Bonn, 1972 die Übernahme des Zollfrei-Verkaufs auf dem Frankfurter Flughafen hinzu. Die Frankfurt-Konzession erwies sich als Schlüssel zum Erfolg für die weitere Expansion. Heute betreiben die Hanseaten 170 Läden an 46 internationalen Flughäfen in 17 Ländern selbst.

Dazu gehören seit 1999 auch die Shops der Marke „Travel Value“, in denen Kunden auf Flügen innerhalb der EU auch nach dem Fall der Steuerfreiheit weiterhin Markenartikel preiswert einkaufen können. „Natürlich haben auch wir vor dem Ende der Steuerfreiheit in Europa gezittert. Aber wir hatten als Erste ein Konzept für die Zeit danach“, begründet Gunnar Heinemann den geschäftlichen Erfolg trotz weggebrochener Steuerprivilegien. Cleverer Schachzug: Die günstigen Preise bei „Travel Value“ lassen sich die Heinemänner sogar vom TÜV attestieren: „Der TÜV prüft in unserem Auftrag alle Vierteljahr per Stichprobe 200 Produkte aus unserem Sortiment auf Warenverfügbarkeit und Preiswürdigkeit. Bisher hat das Ergebnis in über 90 Prozent gestimmt. Und dort, wo es nicht stimmt, wird mit den Herstellern nachverhandelt, oder das Produkt fliegt aus dem Sortiment“, erklärt Gunnar Heinemann.

Selbst SARS, der 11. September oder der Irakkrieg konnten dem Geschäftserfolg der Hamburger wenig anhaben. Die knapp vereitelten Terroranschläge von London allerdings und daraus resultierende anfängliche Hysterie bei Politik und Fluggesellschaften ließen die Hamburger 2006 einige bange Wochen verleben. „Anfangs hieß es: Keine Flüssigkeiten mehr an Bord – keine Weine und Spirituosen, keine Kosmetikcremes, kein Parfum. Das betraf etwa 70 Prozent unseres Umsatzes“, berichtet Gunnar Heinemann. Solche Forderungen erwiesen sich schnell als unrealistisch. Zudem konnten die Hamburger äußerst hohe Sicherheitsstandards in Warenvertrieb und Shops nachweisen. Gunnar Heinemann: „Heute gilt auf Flughäfen der EU: Was nach den Kontrollen bei uns eingekauft wird, ist sicher, darf also mit ins Flugzeug.“ Und die Sache mit der Sicherheit wird sich für die Passagiere weiter vereinfachen: „In wenigen Jahren wird es Kontrollgeräte geben, die explosive Flüssigkeiten erkennen können.“

Vorausschauende Planung gehörte schon immer zu den Stärken der Heinemänner, die sich die Geschäftsführung mit den Herren Kay (49) und Raoul Spanger (46) sowie Christoph Neusser (43) teilen. Das Fundament des Hamburger Familienunternehmens in vierter Generation aber besteht vor allem aus Tradition und hanseatischer Weltsicht. „Traditionsbewusst, historisch gewachsen, bescheiden, zuverlässig und fair“. So lautet denn auch Claus Heinemanns Definition des Hanseatischen. Das „Leben und leben lassen“ wird gegenüber Geschäftspartnern gepflegt: Franchise – ja, Knebelverträge – nein. Die familiäre Führung – übrigens im Laufe der knapp 130 Jahre meistens im Duo – spielt eine entscheidende Rolle und soll unbedingt erhalten bleiben: „Uns sitzt keiner im Nacken, der Wachstum um jeden Preis fordern könnte.“

Dazu kommt eine Unternehmenskultur mit einem bemerkenswerten, weil nicht alltäglichen Wertekanon, nach dem sogar Humor gefragt ist. Schließlich eine ausgeprägte Bodenhaftung und eine tiefe Verwurzelung im historischen Quartier. Etwa ein halbes Dutzend Mal umgezogen sind die Heinemänner mit Logistikflächen und Büros innerhalb von Freihafen und Speicherstadt. Zuletzt waren die Lager auf sechs Standorte verstreut. Vor fünf Jahren dann machte man einen großen Schnitt, investierte rund 50 Mio Euro in das neue Logistikzentrum in Hamburg-Allermöhe, in dem das Sortiment von rund 40.000 Produkten unter anderem in einem supermodernen Hochregallager von etwa 45.000 Paletten lagert und täglich bis zu 200 Lkw abgefertigt werden. Die Organisationszentrale dagegen blieb am traditionellen Standort Speicherstadt.

Gebr. Heinemann international: Airport-Shop „Travel Value“ (3)

Gebr. Heinemann international: Airport-Shop „Travel Value“ (3)

Hier steht das lange Zeit jüngste Lagerhaus des Quartiers direkt neben dem ältesten Hamburger Kaispeicher B von 1879, in dem in wenigen Wochen das Internationale Maritime Museum mit der Sammlung Peter Tamm eröffnet. In Höhe des zweiten Stockwerks gibt es sogar einen Verbindungsgang, denn das Heinemann-Haus beherbergt die Bibliothek des neuen Museums. Übrigens auch die künftige Elbphilharmonie (Kaispeicher A) war ein ehemaliges Heinemann-Lager. Baustellen gab und gibt es derzeit nicht nur in der Umgebung. Das Heinemann-Hauptquartier verwandelt sich bei laufendem Betrieb vom schlichten Lager- in ein schmuckes Bürogebäude. Claus Heinemann: „Wir lieben die Architektur der Speicherstadt und wollen mithelfen, dass sich der rote Backstein auch in der neuen HafenCity wiederfindet.“

 

Text: Michael Hertel, Fotos: (1), (2) Thomas Hampel, (3) Gebr. Heinemann

Quartier 01, April–Mai 2008 , Rubrik:    
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