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Die Quadratur des Kreises

Das Hamburger Science Center soll neben der Elbphilharmonie und dem Internationalen Maritimen Museum Hamburg einer der kulturellen Höhepunkte des neuen Überseequartiers werden. Damit das Gebäude auch städtebaulich die hohen Erwartungen erfüllt, wurde mit dem Niederländer Rem Koolhaas einer der großen Architekten unserer Zeit beauftragt.


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Als Steve Jobs 1998 den neuen iMac präsentierte, war die Welt überwältigt. Das Time Magazine nahm ihn in seine Liste der zehn besten Designs des Jahres auf. Aber nicht an erster Stelle. „The Best of 1998 Design“ wurde kein Computer, sondern ein Haus. Sein Erbauer, oder in diesem Fall vielleicht besser sein Erfinder: Rem Koolhaas.

Heute gehört Rem Koolhaas unstrittig zu den angesag-testen Architekten des Planeten. Seine Projekte sind durchgehend so spektakulär, dass allein seine Vorträge überfüllte Säle garantieren. Sein kurzer Besuch in Hamburg im Januar diesen Jahres bildet keine Ausnahme. Im überfüllten Kesselhaus in der Speicherstadt wurde mit Spannung sein überarbeiteter Entwurf für das geplante Science Center im Überseequartier erwartet. Hier soll ein besonderer Bau entstehen, mit besonderen Inhalten. Hamburg wurde in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. Koolhaas ist besonders. Er ist anders. Und er will anders sein. Das unterscheidet ihn natürlich von keinem anderen Stararchitekten. Jeder will „neu erfinden“. Strukturen, Funktionen, Raum. Aber Koolhaas‘ Arbeiten zeigen, dass er ein Meister im „Neu-Erfinden“ ist.

Toleranz des Unangenehmen

Nach einem schweren Autounfall sieht sich ein Mann vor einem ganz neuen Problem: Seine Altbauwohnung in Bordeaux wird ihm als Rollstuhlfahrer zum Gefängnis. Von Rem Koolhaas will er nichts Geringeres als ein Haus, das ihn vor der Isolation rettet. Als Koolhaas dieses Gebäude 1998 fertig stellt, ist es eine gestalterische und funktionale Sensation. Kernstück der Villa ist eine Art offener Fahrstuhl, auf dem sich der Hausherr wie auf einer Hebebühne durch alle Ebenen und Stockwerke bewegen kann. Keine Etage ist ohne ihn vollständig, ohne dass er mit dieser Plattform das Loch im Boden abschließt. Allein dieses Bauwerk sichert Koolhaas einen Platz in der Geschichte der Architektur.

Präsentation des Entwurfs für das Science Center am 21. Januar 2008 im Kesselhaus in der Speicherstadt.

Präsentation des Entwurfs für das Science Center am 21. Januar 2008 im Kesselhaus in der Speicherstadt. (2)

Nach der Villa in Bordeaux folgen weitere spektakuläre Gebäude, darunter das Prada Epicenter in New York (2001), die niederländische Botschaft in Berlin (2003), die Zentralbibliothek in Seattle (2004), die Casa da Música in Porto (2005) sowie das Hauptquartier des staatlichen chinesischen Fernsehsenders CCTV in Peking, das 2008 fertig gestellt werden soll. Zusätzlich verwirklicht er zahlreiche Ausstellungen, entwickelt Stadtplanungsprojekte wie im niederländischen Almere und macht grandiose Entwürfe, die nie umgesetzt werden. Und er sammelt internationale Preise. Man will meinen, kein Gebäude, kein Plan, kein Buch bleibe von den verschiedenen Auszeichnungen der Architekturwelt unbeachtet. Ein Höhepunkt unter ihnen ist sicherlich der Pritzker-Preis.

Nobelpreis für Architektur

Von den Inhabern der Hyatt-Hotelkette Ende der 1970er ins Leben gerufen, gilt der nach ihnen benannte Preis heute als weltweit bedeutendste Ehre für Architekten. Die Jury, die im Jahr 2000 aus mehreren Hundert nominierten Architekten Rem Koolhaas auswählte, bestand neben der Crème der anglo-amerikanischen Architekturszene aus einem illustren Kreis von Personen, darunter Fiat-Chef Gianni Agnelli und Lord Rothschild.

Visualisierung des Hauptquartiers des Fernsehsenders CCTV in Peking (links) und die Casa da Música in Porto (rechts)

Visualisierung des Hauptquartiers des Fernsehsenders CCTV in Peking... (3)

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...und die Casa da Música in Porto (4)

 

Die Verleihung des Preises war mit Sicherheit ein vorläufiger Höhepunkt seiner Karriere als Architekt, Autor und Theoretiker. Auch für sein Büro bedeutete der Preis einen beachtlichen Schub. Im Jahr der Preisverleihung beschäftigte er etwa 90 Mitarbeiter, heute sind es bereits 230. Natürlich ist er wie alle großen Architekten nicht vom Himmel gefallen. Zu Beginn seiner Laufbahn war nicht einmal klar, ob er überhaupt Architekt würde. Rem Koolhaas wird 1944 im niederländischen Rotterdam geboren. Später geht sein Vater als Direktor eines Kulturinstituts zusammen mit dem sechsjährigen Rem und dem Rest der Familie für vier Jahre nach Indonesien. Zurück in Rotterdam, beginnt Koolhaas zu schreiben. Zunächst als Journalist. Später als Drehbuchautor in den Niederlanden und in den USA.

Schließlich erlangt Koolhaas als Verfasser eines Klassikers der modernen Architektur internationale Aufmerksamkeit: „Delirious New York“. Mit diesem gefeierten „retroaktiven Manifest“ von 1978 zementiert Koolhaas seinen Ruf als Theoretiker und Visionär.

OMA

Bevor er als Architekt auch nur ein einziges Bauprojekt abschließt, tritt er als Autor ins Rampenlicht. Aber ähnlich seinen späteren Gebäuden, wird man auch bezüglich seines persönlichen Werdegangs vom ersten Eindruck leicht getäuscht. Hinter der Fassade der Einfachheit verbergen sich komplexere Wirklichkeiten. Nicht zufällig wird sein Buch vom Verlag der Universität von Oxford veröffentlicht. Koolhaas hat an der
renommierten Architectural Association School in London studiert. Drei Jahre nach seinem Abschluss gründet er 1975 in London das Office of Metropolitan Architecture, kurz: OMA. Das Büro baut zwar jahrelang nichts, nimmt aber an zahlreichen Ausschreibungen innovativer Projekte teil und finanziert sich über ein Stadtentwicklungsprojekt in Amsterdam. Nach dem Umzug nach Rotterdam kann OMA ein erstes Bauprojekt verwirklichen, das Nederlands Danstheater, das 1987 fertig gestellt wird. Danach startet Koolhaas durch.

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In einem Vortrag in Berkeley projiziert er die Symbole der weltführenden Währungen an die Wand des Vorlesungssaals. Er hat eingesehen, dass es als Architekt kein Entrinnen vor dem Kapitalismus gibt. Er hat akzeptiert, dass er im Inneren dieses großen globalen „Ja“ operiert. Die Gründung der Consultant-Firma AMO, sozusagen als virtueller Spiegel von OMA, ist deshalb folgerichtig. Sie ergänzt nicht nur das Dienstleistungsspektrum des Architekten, sondern auch seine Umsatzquellen: AMO lässt sich für Ideen bezahlen, nicht für verwirklichte Gebäude.

Mit dem Unverwirklichten hat er in den Jahren intensive Erfahrungen gemacht. 1995 veröffentlicht er zusammen mit dem kanadischen Graphikdesigner Bruce Mau das Buch S, M, L, XL. Es ist eigentlich kein Buch: Es ist ein Wälzer mit 1.400 Seiten und einem Gewicht von drei Kilogramm. Die zahlreichen darin enthaltenen Arbeiten und Designs erinnern vor allem an eins: die große Mehrzahl seiner Entwürfe wurde nicht verwirklicht.

Das Prada-Syndrom

Spätestens seit der Eröffnung des Guggenheim-Museums in Bilbao im Oktober 1997 gelten neue Regeln. Der Komplex von Frank Gehry wird vermutlich zu einem der am meisten gepriesenen Bauwerke des Jahrzehnts. Die New York Times nennt es „ein Wunder“. Menschen fahren scharenweise nach Bilbao, um das Gebäude zu sehen, nicht dessen Inhalt. Das Museum selbst wird zum Ausstellungsstück. Jede moderne Großstadt will jetzt ein Stück moderne Architektur.

Rem Koolhaas im Kesselhaus. Sein Entwurf liefert die architektonische Voraussetzung, um Wissenschaft im neuen Science Center darstellbar zu machen.

Rem Koolhaas im Kesselhaus. Sein Entwurf liefert die architektonische Voraussetzung, um Wissenschaft im neuen Science Center darstellbar zu machen. (5)

Koolhaas selbst wird nicht müde, mit leichter Ironie über Anfragen zu sprechen, die sich von ihm ein zweites Bilbao erhoffen. „Wir haben uns nie wirklich vollkommen wohl damit gefühlt, einfach Ikonen der Stadtarchitektur zu machen“, sagt er im Kesselhaus in Hamburg. „Seit Bilbao gibt es beinahe eine Art Ikonen-Pflicht, die in jeder Stadt, in die Architekten eingeladen werden, sehr stark spürbar ist.“

Von Koolhaas darf man kein Bilbao erwarten. Aber wer einen Blick auf seine Arbeiten wie etwa das Prada Epicenter in New York oder die Villa in Bordeaux wirft, der kann erkennen, dass seine Projekte ausnahmslos sensationell und besonders sind. Man kann erkennen, was sich Hamburg von ihm erhofft. Jürgen Bruns-Berentelg von der HafenCity Hamburg GmbH möchte eine „städtebauliche Dominante“, die Oberbaudirektion ein Gebäude mit einer „gewissen Markanz“. Koolhaas soll das Wissenschaftszentrum zu einem Leuchtturm machen.Nicht zu einer Ikone. Vielleicht ist das in Hamburg auch dasselbe.

„Ernsthaftigkeit, die wir teilen“

Wenn er von Hamburg spricht, ist das Lieblingswort von Rem Koolhaas „ernst“. Er sei, so sagt er im Kesselhaus, nie besonders begeistert gewesen über den Gebrauch von Architektur als eine Art Ersatz für Ernsthaftigkeit in einer Stadt. „Der für uns vielleicht wichtigste – und leicht einschüchternde – Punkt ist, dass Spaß in Hamburg nicht genug ist. Es muss eine Art Ernsthaftigkeit geben.“ Als das Gelächter der Besucher abebbt, fügt er schnell hinzu: „Eine Ernsthaftigkeit, die wir teilen.“ Spott? Vielleicht. Koolhaas hatte in Hamburg ursprünglich die Ausschreibung für eine architektonische Gesamtkonzeption aus Wissenschaftszentrum und Kreuzfahrtterminal gewonnen. Nachdem sich die eine Hälfte des Entwurfs (Terminal mit Hotel und Busbahnhof) als unbaubar erwies, wurde ihm der Auftrag dafür nicht zur Überarbeitung zurückgegeben, sondern vollständig entzogen. Koolhaas hatte also bereits Gelegenheit zu sehen, wie ernst Hamburg sein kann.

Damit tritt Hamburg in eine Reihe von sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die Koolhaas mit Deutschland gemacht hat. Gerade Deutschland hat nicht unbedeutend zu seiner Expertise über das Ungebaute beigetragen. 1992 wurde ihm nach mehrjährigen Vorbereitungen der Bau des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe abgesagt. Zehn Jahre später wurde er in Berlin in die Kommission zum Potsdamer und Leipziger Platz berufen, verließ diese aber binnen kurzer Zeit wieder und wandte sich mit einem bösen Brief über deren Arbeit an die deutsche Öffentlichkeit. Die deutsche Öffentlichkeit dankte ihm diese Kritik nicht.

Im Anschluss an die Präsentation des überarbeiteten Entwurfs für das Science Center sprach ein ehemaliger Seemann offen aus, was viele dachten: Er hoffe, das Projekt scheitere nicht an den Hamburger Pfeffersäcken. Grundsätzlich ist das keine abwegige Befürchtung. Die Erwartungen an die HafenCity sind enorm groß. Sie soll neue Maßstäbe setzen. Aber wer schützt dieses hohe Ziel vor Hamburger Starrköpfigkeit? Vor ängstlichem und bürokratischem Klein-Klein? Vermutlich Koolhaas selbst: Er liebt Größe.

Die Kubatur des Kreises

„Ich bin kein großer Fan von Wissenschaftszentren. Und zu meiner Überraschung und Freude haben wir entdeckt, dass unsere Auftraggeber ebenfalls keine großen Fans sind.“

Der Entwurf spiegelt dessen ungeachtet eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Konzept eines Science Centers. Die Anforderungen an dieses Konzept sind hoch. Es soll ein einzigartiges Wissenschaftszentrum mit „Wissenschaftstheater“ und Aquarium entstehen, das Besucherströme aus dem In- und Ausland in die HafenCity lenkt. Es soll Begeisterung für die Wissenschaft fördern und Wissen durch persönliche Erfahrungen vermitteln. Nicht zuletzt soll es dauerhaft modern sein. In architektonischer Hinsicht hat Koolhaas durch seinen Entwurf zweifellos sichergestellt, dass dieses Gebäude einzigartig wird. Auch die Einbeziehung des renommierten Aquariumdesigners Peter Chermayeff aus Boston macht deutlich, dass hier nicht gekleckert wird.

„Ich bin kein großer Fan von Wissenschaftszentren. Und zu meiner Überraschung und Freude haben wir entdeckt, dass unsere Auftraggeber ebenfalls keine großen Fans sind.“ (Rem Koolhaas)

Inhaltlicher Schwerpunkt ist natürlich das Science Center selbst. Es ist nach Art eines Baukastens aus einzelnen, austauschbaren Modulen zusammengesetzt, die unterschiedlichste Themen behandeln wie etwa Naturgewalten, die Entstehung der Welt oder das Innere der Erde. Der Kern dieses Ausstellungsbereichs ist das so genannte „Wissenschaftstheater“, das unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Planetarium entwickelt wurde. Daneben sind große Flächen für Büros, Arbeitsräume und Laboratorien geplant, in denen Wissenschaft tatsächlich stattfindet. Dadurch soll garantiert werden, dass das Science Center ein lebendiger Ort bleibt, in den neue Entwicklungen in Wissenschaft und Technik fortwährend integriert werden.

Ein Bauwerk als Mechanismus, nicht als feste Struktur

Die Signatur von Koolhaas ist in der Umsetzung unverkennbar. Die Möglichkeit zum Austausch von Elementen innerhalb fester äußerer Strukturen hat ihn bereits in seinem Buch Delirious New York am Beispiel der New Yorker Wolkenkratzer beschäftigt. Ein Bauwerk als Mechanismus, nicht als feste Struktur. Ästhetik ist nicht das Ziel, sondern vielmehr ein Nebenprodukt von Funktionalität.

Das Modell des Science Centers im Kesselhaus. Der Entwurf setzt architektonisch neue Maßstäbe.

Das Modell des Science Centers im Kesselhaus. Der Entwurf setzt architektonisch neue Maßstäbe. (6)

Das Time Magazine hat seinerzeit Koolhaas‘ Buch S, M, L, XL als ultimatives Couchtisch-Buch für die Generation beschrieben, die sowohl mit MTV als auch mit Jacques Derrida aufgewachsen ist. Spinnt man diesen Gedanken weiter, dann ist der Entwurf des neuen Wissenschaftszentrums für eine Generation, die mit Stargate und Underwood Dudley groß wird. Unterhaltsam, tiefgründig und absurd.

Fundament aus Wasser

Das neue Wissenschaftszentrum beherbergt Ausstellungen, Forschungsprojekte, Unterhaltung, Gastronomie. Es will Wissenschaft vom Ruch des Unverständlichen und Exklusiven befreien, indem es sie greifbar, erfahrbar und vor allem für Normalsterbliche verständlich macht. Architektonisch wird dieser Leitgedanke unterstützt, indem Möglichkeiten geschaffen werden, die populäre Vermittlung von Wissen darstellbar zu machen. Den symbolischen Bogen zwischen inhaltlicher und architektonischer Idee bildet die kreishafte Konstruktion aus einzelnen, erkennbaren Bausteinen als intelligenter Kreislauf.

Das geplante 70 Meter hohe Bauwerk sieht sich jedoch nicht allein konzeptionellen und architektonischen Herausforderungen gegenüber, sondern auch technischen. „Das Gebäude hat ja doch ein etwas größeres Loch in der Mitte“, erklärt Jürgen Groß, Ingenieur und als Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Groß + Partner Mitglied der deutsch-niederländischen Investorengruppe des Überseequartiers. „Darüber erstreckt sich ein nicht unerheblicher oberer Teil. Und das Ganze versetzt sich dann auch noch leicht horizontal und steht über einem Aquarium.“ Ein Aquarium mit 6.000 qm Bruttogeschossfläche als Fundament des Gebäudes.

„Das Gebäude hat ja doch ein etwas größeres Loch in der Mitte. Und das Ganze versetzt sich dann auch noch leicht horizontal und steht über einem Aquarium.“ (Jürgen Groß)

Darüber türmen sich in zwei Säulen, sofern man sie so nennen kann, die verschiedenen Bausteine. Eine „Säule“ enthält in zehn Modulen auf insgesamt 9.500 qm Ausstellungsräume, die andere auf weiteren 5.500 qm Räumlichkeiten für Büros, Technik und Arbeitsräume.

Architektur und Nutzungskonzept sollen bis Januar 2009 endgültig abgestimmt, Betriebskonzept, Ausstattung und vor allem finanzielle Förderung bis Mitte 2009 in der Hamburger Bürgerschaft abschließend geklärt werden. Bis zum Baubeginn 2009 und zur geplanten Eröffnung Ende 2011 fließt also noch viel Wasser die Elbe hinunter.
 

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (2), (5), (6) Thomas Hampel, Visualisierungen: (1), (3), (4) Office for Metropolitan Architecture

Quartier 01, April–Mai 2008 , Rubrik: ,    
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