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Interview mit einem Teufel

Robin Brosch und Erik Schäffler über ihre Rollen im Hamburger Jedermann


Abenddämmerung in der Speicherstadt, die Sonne versinkt hinter den Kupferdächern, die sich glanzvoll vom Tag verabschieden. Der Duft von Kaffee und Gewürzen liegt in der Luft und plötzlich ertönt der markerschütternde Ruf „Jedermann“, hallt von den Backsteinmauern der historischen Gebäude wider und das Publikum hält den Atem an. Dann wird es still und der Kampf um die Seele des Jedermann beginnt. Zum 15. Mal verwandelt sich die historische Kulisse der Speicherstadt zur Bühne für den Hamburger Jedermann – die moderne Fassung einer ernsten Komödie.

Diese zeitgenössische und eigenwillige ernste Komödie passt ausgezeichnet in die Speicherstadt. Der Hamburger Kaufmann Jedermann wird wie viele andere auch vor allem von Geld, Macht und Gewinn angetrieben. So fällt es ihm nicht schwer, seine Seele an den Teufel zu verkaufen – für ein besonderes Spekulationsobjekt, die Speicherstadt. Erst im Angesicht des Todes erkennt er, dass er sein Leben lang einem Irrglauben gefolgt ist.

Modernes Leben ist urban. Die moderne Gegenwart ist urban. Aber wie modern ist der urbane Traum wirklich? Das rapide Wachstum westlicher Großstädte erinnert an die Verstädterung im 19. Jahrhundert. Ehrgeizige städteplanerische Projekte bescheren den Menschen und Bewohnern der Metropolen luxuriöse Granit- oder Glasblöcke, in denen sich auch der wirtschaftliche Aufschwung und Erfolg widerspiegeln sollen. Das gilt auch für die Entwicklung in Hamburg. Vor allem für das neue Quartier der Millionenstadt, die HafenCity. Alles zum Wohl der Hansestadt. Alles schon einmal dagewesen. „History repeating“ sozusagen. Denn dort, wo heute die Speicherstadt steht und die HafenCity wächst, dort lebten vor mehr als hundert Jahren bereits über 15.000 Menschen, nannten den Teil der Stadt ihr Zuhause.

Worin besteht die Identität moderner Städte? Was ist ihre Seele? Fragen, auf die der „Hamburger Jedermann“, das facettenreiche Porträt der Hamburger Gesellschaft, eine Antwort zu finden versucht.

Wozu mussten sie ihre Wohnungen und Häuser räumen? Die Hansestadt verlor durch den Zollanschluss an das Deutsche Reich ihre Unabhängigkeit. Um weiterhin Handelsgüter zollfrei umschlagen zu können, musste ein Freihafen gebaut werden. So wich das damalige Altstadtviertel der Speicherstadt. Eigentlich hätten die Wohnhäuser zum Bau der Speicherstadt damals nicht abgerissen werden müssen. Pfiffige Immobilienspekulanten witterten allerdings ein Geschäft und sorgten für eine Umsiedlung der Bewohner in neu gebaute Häuser – außerhalb des damaligen Quartiers, zum Beispiel in Hammerbrook oder Barmbek. Mit der zunehmenden Industrialisierung und Technologisierung verlor die Speicherstadt als Lagerhauskomplex an Bedeutung, das Quartier lag im Sterben. Verwaiste Straßen, leere Fleete und Speicher prägten lange Zeit das Bild des einstigen Symbols florierenden Geschäftslebens.

Heute wird mit dem Bau der Hafen­City ein Stück Stadtgeschichte geschrieben. Wiedergutmachung und Chance in einem? Oder steht auch dieses Mal wieder nur die Hoffnung auf den schnellen Euro im Mittelpunkt? Worin besteht die Identität moderner Städte? Was ist ihre Seele? Fragen, auf die der „Hamburger Jedermann“, das facettenreiche Porträt der Hamburger Gesellschaft, eine Antwort zu finden versucht.

Auf der Suche nach einem authentischen Ort als Schauplatz für die Aufführung kam Theatermacher Michael Batz auf die Speicherstadt. „Angesichts der desolaten Situation dort, des Sterbens dieses Stadtteils kam mir die Idee von der Wiedergeburt und der Zurückeroberung eines eingeschlafenen Wirtschafts-areals. Durch die künstlerische Nutzung sollte es wieder Teil des urbanen Milieus werden und den städtischen Raum belegen und verzaubern“, so Batz.

„Seelenziehen ist keine Kleinigkeit“ – der Teufel bei der Arbeit

„Seelenziehen ist keine Kleinigkeit“ – der Teufel bei der Arbeit

Treffpunkt: Kornhausbrücke. Wir sind verabredet zum Stelldichein zwischen Vergangenheit und Zukunft mit dem Jedermann und dem Teufel höchst persönlich. Wir treffen Robin Brosch, seit vier Jahren in der Rolle des Hamburger Jedermann zu sehen, und Teufel-Darsteller Erik Schäffler bei den Proben, um über die Aktualität des Stücks und die Entwicklung des Theaters in der Speicherstadt zu plaudern.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass der Mensch an sich sehr genau spürt, was richtig ist und was falsch. Die Menschen müssen sich nur darauf einlassen und sich auch darauf verlassen.“


Der Hamburger Jedermann hat sich zu einer wahren Erfolgsgeschichte entwickelt. Das Stück hat anscheinend nichts von seiner Aktualität verloren.

Robin Brosch: Nun, der Kampf zwischen Gut und Böse, und am Ende das Nachdenken darüber, was man in seinem Leben geleistet hat – das sind doch zeitlose und äußerst menschliche Themen. Wir Schauspieler können förmlich spüren, wie die Zuschauer sich bei der Frage erwischen, „Was habe ich in meinem Leben geleistet?“. Auch ich beschäftige mich damit, was wäre, wenn morgen der Tod an meine Tür klopfen würde und ich mich fragen müsste, was ich aus meinem Leben gemacht habe und ob ich das gemacht habe, was ich mir vorgenommen hatte.

Worin liegt der Erfolg des Stücks begründet?
Robin Brosch: Der Hamburger Jedermann hat sich in der Theaterwelt der Stadt fest etabliert und ist auch weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus bekannt. Für viele Besucher gehört der Besuch einer Vorstellung zum festen Programm.

Erik Schäffler: Außerdem ist der Hamburger Jedermann ein Stück für das Hamburger Publikum. Es geht auch um die Seele der Stadt, um die Frage, was ist Urbanität? Zudem liefern wir schauspielerisch allerhöchste Qualität. Das Ensemble wechselt wenig, denn wir arbeiten sehr gern miteinander, vertrauen den Inhalten und das spüren die Zuschauer.

Robin Brosch: Das Stück ist einfach bedeutungsvoll und höchst modern. Auch in Hamburg sieht man, dass eine Stadt von unten gemacht wird. Es geht einfach nicht, dass man den Bürgern kommentarlos Glas und Beton vor die Nase setzt und nicht mit Kritik rechnet. Das findet sich auch im Jedermann wieder. Das Bauernpaar steht für das Zappeln der Seele. Die beiden entdecken, dass sie sich frei machen müssen vom Jedermann, ihrem Vorbild. Sie entdecken, dass sie die Stadt mitgestalten und nicht umgekehrt.


Sehen Sie hier Parallelen zur Entwicklung der Speicherstadt und der HafenCity?

Erik Schäffler: Wenn ich an die Anfänge des Hamburger Jedermann hier in der Speicherstadt zurückdenke, dann war das wirklich wie eine Abenteuerreise auf den Mond. Wir wurden früher sogar noch vom Zoll gefilzt.

Robin Brosch: Das ist heute natürlich anders. Denn das Leben ist zurückgekehrt. Und es entwickelt sich stetig weiter. Es ist spannend zu beobachten, wie die Menschen sich gleichzeitig mit der
Dialektik der Speicherstadt und der HafenCity, aber auch mit der Dialektik des Jedermann und des Teufels auseinandersetzen.


Herr Schäffler, Sie sind von Anfang an dabei und spielen den Teufel nun schon zum 15. Mal. Was macht diese Figur für Sie so besonders?

Erik Schäffler (lacht): Der Hamburger Jedermann und die Rolle, das ist ein Stück Heimat. Ich habe mir Hamburg durch das Stück sozusagen näher gebracht. Hamburg und die Rolle sind zu einer meiner Wurzeln geworden. Und es macht mir den allergrößten Spaß, den Teufel zu spielen. Der besondere Reiz dabei ist, mich immer mehr zu reduzieren, mich in den Hintergrund zu spielen und damit die Figur zu stärken. Die Chance, an der Figur zu arbeiten und mich immer wieder mit der Rolle auseinanderzusetzen ist ein großes Geschenk. Meine Liebe zum Stück und zur Rolle gehen sogar so weit, dass ich die Wiederaufnahmeproben leite.

 Jedermann – der erfolgsverwöhnte Geschäftsmann im Angesicht des Todes

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Was macht den Teufel aus?
Erik Schäffler: Der Teufel ist die vielfältigste und spannendste Figur im Stück. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass der Teufel die Rolle Gottes übernimmt, sogar übernehmen muss, denn in dieser gottlosen Welt verliert er sonst seine Berechtigung. Er kann nur existieren, wenn es auch einen Gott gibt.

Was gibt es Neues in diesem Jahr?
Robin Brosch: Wir haben kleine, tagespolitische und gesellschaftliche Kommentare mit eingebaut.

Erik Schäffler: Und mehr choreographische und chorische Elemente. Dafür gibt es keine theatralische Aufrüstung, keine technische Aufrüstung. Wir nähern uns der Urfassung. Das erreichen wir dadurch, dass wir Szenen gekürzt, die Mimik reduziert haben und so die Geschichte mit viel mehr Nachdruck und auch Klarheit zum Ausdruck bringen.

Unerwartet erscheint der Tod auf der Bühne der Lebenden

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Ein Rückbesinnen auf die Wurzeln des Mysterienspiels? Drama und Musiktheater in einem? Ein Stück volkstümliche Unterhaltung?
Robin Brosch: Das ist eine gute Beschreibung. Der Begriff volkstümlich ist völlig aus der Mode gekommen und zu meinem Bedauern viel zu negativ besetzt. Dabei geht es doch um das Volk, um die Basis und um das, was die Menschen da fühlen und denken. Das Stück bietet einfach alles: Man kann weinen und auch lachen, es öffnet die Herzen. Unser Leben ist doch völlig überladen mit Pomp und Show. Wir beschäftigen uns mit dem Thema, mit dieser filigranen Geschichte, die auf dem Idealismus einer Gruppe von innovativen Menschen aufbaut und weniger mit Show zu tun hat. Und das in einer Zeit, in der es viel zu wenig Zeit gibt, dafür viel zu viel Input. Dabei bin ich fest davon überzeugt, dass der Mensch an sich sehr genau spürt, was richtig ist und was falsch. Die Menschen müssen sich nur darauf einlassen und sich auch darauf verlassen.

Erik Schäffler: Dahin wollen wir unsere Zuschauer bringen. Wir haben dazu ganz bewusst reduziert. Das Publikum merkt, dass das Stück die Zeit aufhebt. Kleine Gesten werden größer, das Stück wird langsamer. Wir stellen den Fuß in die Drehtür der Zeit. So wollen wir unsere Nachricht übermitteln.

 

Inerview: Susanne Wiedemann, Fotos: Michael Batz

Quartier 01, April–Mai 2008 , Rubrik:    
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