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Kaffee und Consorten

Kaffee bestimmte über Jahrzehnte den täglichen Rhythmus der Speicherstadt. Auch in Zukunft soll das Quartier Kaffee-Zentrum bleiben.


Versteht sich als Dienstleister rund um den Kaffee: David M. Neumann, Sprecher der Geschäftsführung der Neumann Kaffee Gruppe

Versteht sich als Dienstleister rund um den Kaffee: David M. Neumann, Sprecher der Geschäftsführung der Neumann Kaffee Gruppe

Die drei Uhren über der Stirnwand der Auktionshalle haben vor langer Zeit aufgehört zu schlagen. Links Rio, rechts New York, in der Mitte Hamburg symbolisierten die Welthandelszentren des Kaffees. Auf großen Schiefertafeln sind mit schwungvoller Kreideschrift die letzten Kurse notiert. Sie stammen aus dem Jahr 1958. Seitdem werden die aromatischen Bohnen in der Hamburger Kaffeebörse in der Speicherstadt nicht mehr gehandelt. Heute richtet die Firma Nord Event in der alten Kaffeebörse an der Straße Pickhuben Firmenveranstaltungen, Hochzeiten und Konfirmationen aus. Auch Quartiersleute, die mit Seilwinden und Muskelkraft Kaffeesäcke aus schwer beladenen Schuten auf zweite, dritte und vierte Böden hieven, findet man nur noch auf alten Fotos und Gemälden. Der Kaffeeduft, den die Proberöster der Kaffeehändler an allen Ecken der Speicherstadt verbreiteten, hat sich weitesgehend verflüchtigt. Vor wenigen Jahren wurden die charakteristischen grünen Kaffee-Silos am östlichen Ende des Sandtorhafens abgerissen, um Platz für die HafenCity zu machen.

In der HafenCity am Sandtorpark soll Europas neues
Kaffee-Kompetenzzentrum entstehen.

Dennoch hat sich die Speicherstadt ihren Ruf als Kaffeehandelszentrum bewahren können. Nicht zuletzt Dank der Aktivitäten der Neumann Kaffee Gruppe (NKG). Das größte Kaffeehandelshaus der Welt hält nicht nur Hamburg die Treue, sondern sorgt dafür, dass das neue Quartier im Umfeld des Sandtorkais auch zukünftig mit Kaffee assoziiert werden kann.

Die Neumann Kaffee Gruppe (mehr als 40 Unternehmen mit rund 2.100 Mitarbeitern in 27 Ländern) ist heute der einzige familiengeführte Dienstleister der Welt, der sich ausschließlich mit dem Rohstoff Kaffee beschäftigt. Jede siebte Tasse, die irgendwo auf der Welt getrunken wird, ist zuvor in irgendeiner Form durch die Hände der Hamburger Kaffeeexperten gegangen. David M. Neumann (44), Sprecher der Geschäftsführung, versteht die Arbeit seines Hauses als integrierte Dienstleistung rund um den Kaffee, und die beginnt mit dem Setzling und endet erst an der Trommel des Rösters. Dazwischen liegen Farmmanagement und Produktion (die Gruppe besitzt bzw. unterhält Plantagen), Qualitätsaufbereitung und Klassifizierung für in- und externe Märkte, Ein- und Verkauf des Rohkaffees, Finanzierung, Consulting und natürlich die gesamte mit diesen Aktivitäten verbundene Logistik. Zur Kundschaft gehören rund 1.500 Röster und Instant- Kaffeehersteller auf der ganzen Welt. „Während für den klassischen Kaffeeagenten die Arbeit bei Vertragsabschluss mit dem Kunden beendet ist, geht sie für uns dann eigentlich erst los“, erklärt David M. Neumann.

Das war noch ganz anders, als Hanns R. Neumann im Jahre 1934 seine Rohkaffee- Agentur am Sandtorkai eröffnete. „Damals gab es davon in der Speicherstadt Hunderte. Und der Sandtorkai war eine von vielleicht vier Straßen auf der Welt, in der Kaffee gehandelt wurde.“ Nach dem Krieg avancierte der Firmengründer zum Exklusivagenten für Kolumbien-Kaffee, und in den 60er Jahren begannen die Neumanns auf eigene Rechnung zu arbeiten: „Das war riskanter, aber auch einträglicher“, meint sein Enkel. Heute gibt es nur noch wenige traditionelle Kaffeeagenten in der Speicherstadt: „Der Agent hat wenig Risiko, aber auch wenig Chancen. Er kann keine Zahlungsziele gewähren und keine Logistik anbieten. Dabei erwartet der Kunde heute viel mehr.“ Tradition spielt im Hause Neumann dennoch eine nicht zu unterschätzende Rolle. David M. Neumann und sein Cousin Hanns-Christian Neumann (44), der die Kommunikationsabteilung führt, können sich noch ganz genau an einstige Kaffeeromantik der Speicherstadt erinnern und wissen auch, was es bedeutet, Kaffeesäcke zu schleppen. David M. Neumann: „Als Teenager habe ich in den Schulferien öfter in Kaffeelagereien gearbeitet. Da war man gegen 15 Uhr mit der Arbeit fertig. Aber man war auch wirklich fertig.“

Hanns-Christian Neumann (44), Leiter der Kommunikationsabteilung

Hanns-Christian Neumann (44), Leiter der Kommunikationsabteilung

Zu Großvater Neumanns Zeiten saß die Konkurrenz nebenan, heute sitzt sie eher in Paris, in der Schweiz oder in Singapur. Ihre Zentrale könnte die Neumann Gruppe inzwischen überall auf der Welt haben, sagt der Unternehmer. „Wir sind kein Hafenbetrieb und müssen nicht unbedingt am Wasser sitzen. Es gibt kostengünstigere Länder, internationalere Städte und steuerbegünstigte Standorte. Aber wir fühlen uns Hamburg aus Tradition verpflichtet.“ Die Zukunft des Kaffeehandels sieht der Firmenchef optimistisch, vor allem in Asien und Osteuropa, wo der Genuss von Kaffee mit westlicher Lebensart und Modernität gleichgesetzt wird: „In Moskau heißt es, die Bürokraten trinken Tee, die Unternehmer dagegen Kaffee.“ An der Zukunft des traditionsreichen Kaffeestandortes Hamburg wird die Familie Neumann ganz sicher einen gewichtigen Anteil haben. Vor zwei Jahren erst eröffnete das Tochterunternehmen NKG Kala Hamburg die weltweit modernste Rohkaffee-Silo- und Bearbeitungsanlage auf der Hohen Schaar, die als Ersatz für die abgerissenen Silos am Sandtorhafen dient. In diesen Tagen fällt der Startschuss zur „International Coffee Plaza“. Auf Initiative des zwar zur Familie gehörigen, aber geschäftlich völlig unabhängigen Hamburger Unternehmers Michael R. Neumann entsteht in der HafenCity nach Plänen des US-Stararchitekten Richard Meier das neue europäische Kaffee-Kompetenzzentrum. „Die Coffee Plaza ist Teil der Modernisierung des Konzeptes Sandtorkai. Dahinter steckt die Idee, dort alle relevanten Kaffeeaktivitäten zu bündeln und so der Branche neue Impulse zu geben“, erklärt Hanns-Christian Neumann. Die Neumann Gruppe wird Hauptmieter im bis zu 13 Stockwerke hohen futuristischen Komplex mit seinen mehr als 14.000 Quadratmetern Bürofläche. Ende nächsten Jahres heißt es für die rund 110 Mitarbeiter der NKG-Zentrale Abschied nehmen vom traditionellen Kallmorgen-Bau am Sandtorkai 4-5. Die neue Adresse nimmt Hamburgs Kaffeetradition auf. Sie lautet: Am Sandtorpark.

 



KAFFEE: ZAHLEN UND FAKTEN
Deutschland ist nach den USA und Brasilien drittgrößter Kaffeemarkt der Welt. Kaffee ist das mit Abstand beliebteste Getränk der Deutschen: Statistisch gesehen trinkt jeder Einwohner pro Jahr rund 144 Liter. Das erste Kaffeehaus Deutschlands wurde 1673 eröffnet. Heute ist Hamburg das deutsche Kaffee-Zentrum, dessen Wiege in der Speicherstadt stand. Mit jährlich rund 760.000 t avanciert der Hamburger Hafen zum wichtigsten Rohkaffee-Umschlagplatz Europas. Rund 500.000 t Rohkaffee werden jedes Jahr in Deutschland konsumiert, etwa 400.000 t verarbeitet und reexportiert. Der deutsche Fiskus nimmt jährlich rund eine Milliarde Euro Kaffeesteuer ein: Auf einem Pfund Kaffee zum Einzelhandelspreis von 3,50 Euro liegen etwa 1,50 Euro Abgaben.


 

Text: Michael Hertel, Fotos: Thomas Hampel

Quartier 02, Juni–August 2008 , Rubrik:    
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