Wir gehen an den Strand
Ein Konzern kommt in Bewegung. Unilever will sich zu einem vitalen, schlanken Unternehmen wandeln. Die neue figurbetonte Linie des Konzerns wird am Strandkai präsentiert.
Unilever? Schon mal gehört. Die machen doch Rama und Rexona, Langnese und Lätta, Dove und Domestos, Knorr und Coral, Axe und Iglo – nein, Käpt’n Iglo ist schon weitergesegelt, der gehört nicht mehr dazu. Aber es sind unvorstellbar viele Marken, die zu dem britisch-niederländischen Konzern gehören. Um es etwas plastischer zu machen: Rund 150 Millionen Mal pro Tag greift ein Mensch auf der Welt zu einem Unilever- Produkt. Sei es, weil er Durst oder Hunger hat, weil er sich die Haare wäscht oder ein Deo aufträgt. Unter anderem bei Deo, Tee und Eiscreme ist Unilever Weltmarktführer. Ein Dutzend Marken aus dem Konzern überspringen beim Umsatz locker die Eine-Milliarde-Euro-Hürde. Im vergangenen Jahr wurden Produkte im Wert von 40,2 Milliarden Euro verkauft.
Rund 150 Millionen Mal pro Tag greift ein Mensch
auf der Welt zu einem Unilver Produkt.
Eine enorme Summe. Diese Gigantomanie strahlt auch der bisherige Firmensitz am Dammtorwall aus. Das Neonlicht aus den 21 Etagen scheint bei Dunkelheit weithin sichtbar über die Innenstadt. In den Wirtschaftswunderjahren konzipiert und ab 1961 gebaut, sollte das 90 Meter hohe, dreieckige Gebäude den geschäftlichen Erfolg des Unternehmens dokumentieren.
Doch der Auszug steht bevor. Der Mietvertrag läuft aus, und das alte Gebäude passt einfach nicht mehr zu Unilever. Ab Frühjahr 2009 beziehen die Mitarbeiter neue Büros am Strandkai. Das neue Haus ist im Gegensatz zum jetzigen klein und bescheiden – sieben statt 21 Etagen. Die Glasfront und der Innenhof lassen es transparent wirken. Im kommenden Jahr wird Unilever 80 Jahre alt und im Umzug manifestiert sich außen, was innen schon lange Realität ist: Der Konzern hat sich verkleinert, geöffnet und viel Ballast abgeworfen. Von einst 1.600 Marken ist heute noch ein Viertel übrig. Von 300.000 Mitarbeitern vor 18 Jahren arbeiten heute noch weltweit 179.000 für die diversen Marken. Allein in Deutschland wurden in dieser Zeit knapp 20.000 Arbeitsplätze abgebaut. Mehr Wettbewerb durch Globalisierung, Konsolidierung in der Konsumgüterbranche und ein verändertes Verbraucherverhalten waren die Auslöser. Seit Jahresbeginn wird das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz von Hamburg aus geleitet. Die Zentralisierung soll noch mal Kosten senken, was natürlich auch mit dem Abbau von weiteren Arbeitsplätzen einhergeht. In den kommenden zwei Jahren sollen in der deutschen Zentrale etwa 190 Arbeitsplätze wegfallen. „Die angekündigten Maßnahmen sind notwendig, um bei den Kosten wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Mir ist bewusst, dass dies für die betroffenen Mitarbeiter eine schmerzliche Entwicklung bedeutet“, sagt Henning Rehder, Chairman für die drei Länder.
Zu neuen Ufern
Rund 1.000 Mitarbeiter dürfen sich auf den Umzug in das neue Gebäude am Strandkai freuen. Schon heute können sie im Intranet des Konzerns die Bilder einer Webcam betrachten, die den aktuellen Baufortschritt dokumentiert. „Wir haben dort kürzere und schnellere Wege. Bei der Etagenplanung achten wir darauf, dass Abteilungen, die viel zusammen arbeiten, auf der gleichen Etage, oder nur eine Treppe voneinander entfernt sitzen“, sagt Katja Praefke, die Unternehmenssprecherin. Die Planung der Technik und der Büromöbel ist noch nicht abgeschlossen. Doch soll der transparente, offene und futuristische Eindruck des Äußeren auch bei der Einrichtung fortgesetzt werden. „Alle Arbeitsplätze werden großzügig mit Tageslicht versorgt. Eine äußere einlagige Membranfassade, ein Novum in der Hochbauarchitektur, wird den außen liegenden Sonnenschutz vor starkem Wind schützen“, erläutert Martin Haas, Partner bei Behnisch Architekten. Für viel Licht sorgen die großen Fensterfronten zu allen Seiten, aber auch der geräumige Innenhof, in den durch ein Glasdach viel Tageslicht flutet. Wird künstliches Licht am Arbeitsplatz benötigt, liefert das eine neu entwickelte LED-Leuchte, die im Stromverbrauch um ein Vielfaches unter denen konventioneller Lampen liegt. Der gesamte Energieverbrauch des Gebäudes ist optimiert. Ein Erdreichwärmetauscher sorgt für Grundheizung und Kühlung des Hauses. Die Stahl-Beton-Konstruktion wird über eine Bauteilkühlung aktiviert und verspricht so ein angenehmes Raum- klima. Der nebenan entstehende Marco-Polo-Turm wird im Sommer mit einer solarbetriebenen Kühlanlage konditioniert. Das 16-geschossige Wohnhaus wurde ebenfalls von Behnisch Architekten entworfen. Es wird 55 Meter hoch, und die Wohnungen bieten einen einmaligen Blick auf die Elbe und die Hafenwelt. Als Verlängerung der Marco-Polo-Terrassen bis zur Kaimauer an der Elbe ist das Erdgeschoss des Unilever-Gebäudes durch eine öffentliche Passage zugänglich. Hier wird es neben einem Eiscafé und einem Unilever-Laden noch weitere Geschäfte geben. Mittelpunkt ist das Atrium. „Hier entsteht ein Treffpunkt städtischen Ausmaßes für Mitarbeiter und Besucher, ein Raum für interdisziplinäre Begegnung“, sagt Martin Haas.
Behnisch Architekten hat sich 2006 in einem Wettbewerb der Stadt Hamburg mit ihrem Entwurf für den Gebäudekomplex durchgesetzt. Das Architektenbüro wurde weltweit bekannt, als es 1972 die Gesamtplanung der Anlagen für die Olympischen Spiele in München realisierte. Derzeit sind ein Wohnkomplex in Los Angeles, ein Wohnturm in New York und Laborgebäude bei Paris in der Planung. In Hamburg kann man in der Handelskammer eine Arbeit von Behnisch Architekten begehen. Seit Frühjahr 2007 steht das „Haus im Haus“ im ehemaligen Saal der Wertpapierbörse in der Handelskammer. In dem Glas-Metall-Komplex sind das Gründerzentrum, Ausstellungsräume sowie der Zugang zur Dachterrasse untergebracht.
Margarine Unie und die Lever Brothers
Bauherr der deutschen Unilever-Zentrale ist die Hochtief Projektentwicklung GmbH. Unilever zieht hier als Mieter ein. Das war es auch in seinem bisherigen, größeren Firmensitz. Schon jetzt steht „Aussortieren der Ablage“ auf der Agenda der Mitarbeiter. In den Jahren hat sich viel Papier angesammelt und im neuen Gebäude gibt es auf den sechs zur Verfügung stehenden Etagen deutlich weniger Archivfläche. Aber das kann ein reinigender Prozess sein. Die Selbstreinigung hat Unilever in den 90er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends schmerzlich durchlaufen müssen. Auf einmal waren Convenience-Produke, also Fertiggerichte und Tütensuppen, stark in der Gunst ernährungsbewusster Kunden gesunken. Sie enthielten zu viel Fett, zu viel Salz und zu wenig Vitamine. Light-Produkte eroberten den Markt und gesunde Ernährung war en Vogue. Unilever reagierte unter anderem mit der Halbfettmargarine Lätta, dem cholesterinsenkenden Brotaufstrich Becel und vitaminreichem Obst und Gemüse im Glas unter der Marke Knorr Vie. Doch es kam der Preisdruck im Lebensmitteleinzelhandel durch Discounter hinzu. Das ging nicht spurlos an dem Marken-Konzern vorbei.
Obwohl die Tiefkühlkostsparte mit der Traditionsmarke Iglo rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz machte, wurde sie 2006 verkauft. Dextro Energie, Livio-Öl, Heiße Tasse, Palmin, Biskin, Bressot-Käse und die Calvin Klein-Parfüms hatten bereits zuvor neue Besitzer gefunden. Auch im Auftreten nach Außen wurde diese Veränderung sichtbar. Der Kunde sollte erkennen, aus welchem Haus das Produkt in seinem Einkaufswagen stammt. Auf jeder Verpackung kann man heute das blaue U finden. Unilever, früher nur Branchenexperten bekannt, will selbst eine Marke sein. Damit das gelingt, wurde das einfache U vor vier Jahren aufwändig neu gestaltet. Heute besteht es aus 25 kleinen Symbolen. Da findet man einen Vogel und einen Löffel, einen Fisch und eine Hand. Zum einen stellen sie die Produktbereiche des Konzerns dar, zum anderen sollen sie die Unternehmenswerte Vitalität und Lebensfreude symbolisieren. In Unternehmensinformationen heißt es dazu: „Lebensfreude definiert wohl am besten, wofür wir stehen, was uns unterscheidet und wie wir unseren Beitrag zur Gesellschaft leisten. Es ist das rote Band, das unsere Marken verbindet und es ist entscheidend für die Art und Weise, wie wir weltweit unsere Geschäfte betreiben.“ Moderne Marketing-Prosa. Der Gründervater William Hesketh Lever formulierte bereits im 19. Jahrhundert die Mission seiner Seifen- und Fettwerke deutlicher: „Alltägliche Sauberkeit etablieren, die Arbeit der Hausfrau erleichtern, Gesundheit fördern und zur persönlichen Attraktivität einen Beitrag leisten, so dass das Leben der Menschen, die unsere Produkte nutzen, angenehmer und lohnender wird.“ Der Aufstieg zum Weltkonzern begann bereits 1929. In dem Jahr vereinen sich die Margarine Unie und die Lever Brothers Ltd. zu dem, was heute Unilever ist. Doch so sehr das Unternehmen sich wie eine große Familie positioniert und Produkte für glückliche Familien herstellt, wirken die eigenen Verhältnisse merkwürdig. Es sieht so aus, als ob die Eltern dauerhaft getrennt leben würden. Die niederländische Unilever N.V. mit Sitz in Rotterdam ist rechtlich eigenständig und hat eigene Aktien an der Amsterdamer Börse. Die britische Unilever PLC sitzt in London, wo ihre Aktien gehandelt werden, und ist ebenfalls rechtlich eigenständig. Es gibt also zwei Hauptsitze, zwei Aktien und zwei Hauptversammlungen. Doch damit es nicht zu häufig Streit gibt, existiert ein Ehevertrag. Die Geschäfte für beide Teile leitet als oberster Manager der Group Chief Executive. Das ist seit April 2005 der Franzose Patrick Cescau.
In der Elbe schwimmen
Das Leben in Familien ist oft kompliziert. Doch die notwendige Flexibilität sichert vielleicht auch die Anpassungsfähigkeit von Unilever an einen Markt, der sich immer schneller verändert. Auf seiner Internetseite bezeichnet sich Unilever als „multilokales Unternehmen“. Das hört sich widersprüchlich an, doch trifft es den Kern. Für Verbraucher wird es immer wichtiger, das Produkte aus ihrer Umgebung stammen und nicht tausende Kilometer um die Erde transportiert werden, bevor sie auf dem Küchentisch landen. Und es gehört dazu, dass manche Marken auch lokale Identität stiften. Wer hat keine schönen Kindheitserinnerungen an Eis am Stil? Kein Sommer ohne Langnese. Doch diese Marke hat in jedem Land einen anderen Namen. In Österreich ist es Eskimo, in Italien Algida. Was sie eint, ist das rote Herzlogo. Darum heißt die Marke intern nur Heartbrand.
Soziales Engagement ist für den
Konzern eine Herzensangelegenheit
Soziales Engagement ist für den Konzern ebenfalls eine Herzensangelegenheit. Die deutsche Zentrale unterstützt in Hamburg das Kinderhilfsprojekt „Arche“. Mit Spendengeldern wurde auf dem Gelände der Jenfelder Friedenskirche ein Gebäude für die Kinderbetreuung errichtet. Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil bekommen hier eine kostenlose warme Mahlzeit und auf Wunsch Nachhilfeunterricht. Die Organisation „Arche“ schätzt, dass in Hamburg jedes vierte Kind von Einkommensarmut der Eltern betroffen ist. In diesen Fällen haben die Eltern weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung. „Kinder sind unsere Zukunft und Hilfe wird hier dringend benötigt“, sagt Henning Rehder. Doch bleibt es nicht nur bei Scheckübergaben. Das Sommerfest für die Kinder wurde von Unilever-Mitarbeitern organisiert und ausgerichtet, zu dem drei Mal mehr Kinder kamen als erwartet.
Bereits seit 19 Jahren ist Unilever Förderer der Deutschen Umwelthilfe. Angefangen hat es mit einem Bodensee-Projekt, doch seit 2002 werden die Fördergelder an der Elbe eingesetzt – näher an der Firmenzentrale. Das Projekt „Lebendige Elbe“ organisierte bereits mehrfach Elbbadetage, um die verbesserte Wasserqualität zu demonstrieren. „Ich bin an der Elbe groß geworden und als Junge habe ich ganz selbstverständlich in diesem wunderbaren Strom gebadet“, so Henning Rehder. Gefragt, ob es am Strandkai auch einen Firmenbadesteg geben werde, antwortet der Chairman: „Das wohl nicht, aber beim nächsten Elbbadetag sind wir wieder dabei“.
DIE NEUE UNILEVER-ZENTRALE
Bezug Frühjahr 2009
Lage Strandkai, HafenCity
Architekten Behnisch Architekten, Stuttgart
Bauherr Hochtief Projektentwicklung
Baukosten 90 Mio. Euro
Etagen 7
Bruttogrundfläche 25.000 qm
Marco-Polo-Turm 55 Meter hoch, 16 Geschosse mit Wohnungen
UNILEVER IN ZAHLEN
Umsatz weltweit 40,2 Mrd. Euro + 5% Zuwachs zum Vorjahr
In Europa 15,2 Mrd. Euro, 38% Umsatzanteil
In Nord- und Südamerika 13,4 Mrd. Euro, 33% Umsatzanteil
In Asien 11,6 Mrd. Euro, 29% Umsatzanteil
Gewinn 4,1 Mrd. Euro
Mitarbeiter 179.000
Börsennotierungen in Amsterdam, London, New York
Quelle: Unilever für das Geschäftsjahr 2007
Text: Dirk Kunde, Visualisierungen: (1), (3) Behnisch Architekten , Foto: (2) Unilever