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Die Tradition des Wandels

Der Sandtorhafen ist die Wiege des Hamburger Hafens. Das erste künstliche Hafenbecken diente seit 1866 als Umschlagplatz für Waren aus aller Welt. Nun lassen historische Schiffe die Geschichte des Hafens wieder lebendig werden.


Ein ganz neuer Blick auf den Sandtorhafen: Die Visualisierung zeigt die Dimension des Traditionsschiffhafens. Der 400 Meter lange Ponton wird mit drei historischen Brücken von der Promenade am Sandtorkai und den Magellan-Terassen aus erschlossen. (1)

Ein ganz neuer Blick auf den Sandtorhafen: Die Visualisierung zeigt die Dimension des Traditionsschiff-hafens. Der 400 Meter lange Ponton wird mit drei historischen Brücken von der Promenade am Sandtorkai und den Magellan-Terassen aus erschlossen. (1)

Seit genau vierzig Jahren werden im Hamburger Hafen Container umgeschlagen. In der Standardversion rund sechs Meter lang (20 Fuß), 2,5 Meter hoch, 2,5 Meter breit, wird in den Metallboxen alles von Teetassen über Toaster bis Turnschuhen transportiert. Doch es gab auch eine Zeit vor den „Schachtelschiffen“. Um die Jahrhundertwende zählte Hamburg zu den bedeutendsten Häfen in Europa. Kaffee und Kakao, Gewürze und Getreide wurde in Säcken und Kisten transportiert. Der Grundstein für diesen florierenden Handel wurde 1866 mit dem Sandtorhafen gelegt. Er war das erste künstliche Hafenbecken der Stadt, bei dem die Schiffe nicht mehr im Strom festmachen mussten. Heute erinnert hier nichts mehr an Hafenbetrieb. In den letzten Jahren hat man nicht mal ein Schiff in dem Becken gesehen. Die Strömung ließ den Hafen versanden, die Gefahr, auf Grund zu laufen, war viel zu groß. Damit ist am 20. September Schluss. Dann wird der Traditionsschiffhafen mit einem großen Fest eingeweiht. Das Becken ist ausgebaggert und ein Ponton erstreckt sich im Zickzack auf knapp 400 Metern durch das Hafenbecken. Rund zwei Dutzend Schiffe, die die Historie des Hafens widerspiegeln, werden hier ihren Liegeplatz finden. „Es wird ein lebendiges Museum. Der überwiegende Teil der Schiffe unternimmt Fahrten“, sagt Joachim Kaiser, Mitglied des Vorstands der Stiftung Hamburg Maritim (SHM), die den Traditions-schiffhafen betreibt. Zum Eröffnungswochenende erwartet Kaiser „die Cème de la Crème“ der historischen Schiffe aus Norddeutschland.

Alte Schiffe und schöne Geschichten

Nach der Einweihung wird die Stiftung nicht alle Liegeplätze mit eigenen Schiffen bestücken können. Die jüngst in Dienst gestellte Kreuzeryacht ARTEMIS sowie der hölzerne Lotsenschoner ELBE No. 5 werden dabei sein. Genau wie der Fischer-Ewer CATARINA, der Fracht-Ewer JOHANNA und die historische Rennyacht HETI. Den fahrtüchtigen Staatsdampfer SCHAARHÖRN werden die Anlieger wahrscheinlich kritischer betrachten. Braucht der Zweischrauben-Dampfer doch etliche Stunden, bevor der kohlebefeuerte Kessel die Maschine auf Touren bringt. Die Emissionen würden die nur wenige Meter entfernt lebenden oder arbeitenden Anwohner sicher nicht begeistern. Dabei hat der weiße Dampfer eine so schöne Geschichte: 1907 wurde er mit Geldern der Hamburger Bürgerschaft offiziell als Vermessungsschiff gebaut. Doch das war eine Finte des kaisertreuen Amts für Strom- und Hafenbau. Der luxuriöse Dampfer hat auf dem Hauptdeck einen wunderschönen Jugendstilsalon. Viel zu pompös für ein Arbeitsschiff. Das Amt, damals für den Hafen verantwortlich, wollte damit eigentlich Kaiser Wilhelm II. bei seinem Besuch standesgemäß über die Elbe fahren. Doch daraus wurde nie etwas. Der Dampfer ging 1973 in schottischem Besitz über und kam erst 1990 nach Hamburg zurück, wo er fünf Jahre lang restauriert wurde. So lange auf der SCHAARHÖRN der Kessel qualmt, wird der Dampfer seinen Liegeplatz an der Norderelbstraße auf der südlichen Elbseite in der Nähe des Musicalzelts behalten und nur für kurze Liegezeiten und über Winter im Sandtorhafen festmachen. Die dauerhaften Liegeplätze im Sandtorhafen füllt die Stiftung Hamburg Maritim mit „Fremdschiffen“ auf. „Da haben schon einige bei uns angeklopft“, sagt Kaiser. Derzeit sichtet die Stiftung noch Bewerbungen. Schließlich sollen die Ausstellungsstücke die aktive Zeit des Sandtorhafens zwischen 1866 und circa 1970 repräsentieren. Mit dem Traditionsschiffhafen entsteht neben dem Museumshafen Oevelgönne ein weiteres Museum für Schiffe in der Stadt. „Doch sehen wir uns nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung“, betont Kaiser. Die touristischen Wege werden sich jedoch verlagern. Strömten Schiffsbegeisterte bisher entlang der Achse Oevelgönne-Landungsbrücken, wird es zukünftig diese Menschen, nicht zuletzt wegen des Internationalen Martitimen Museum Hamburg, in die HafenCity ziehen. Angedacht ist auch eine Haltestation der Maritime Circle Line im Sandtorhafen, die mit einem Barkassen-Shuttle die maritimen Sehenswürdigkeiten und Museen verbindet.

Bezüge zur Innenstadt

Städteplanerisch ist der Ponton ein Meisterstück. Die Anlage ist so konstruiert, dass man sie über zwei Zugänge vom Sandtorkai und einen von den Magellan-Terrassen betreten kann. Der Ponton lädt also zum Bummeln ein. Neun Häuschen für Kioske, Andenkenläden oder Cafés haben auf der schwimmenden Anlage Platz. Die Zugänge am Sandtorkai bilden Blickachsen mit vorhandenen Straßen. Von der mittleren Brücke sieht man durch die Straßen Auf dem Sande und Mattentwiete bis zur Fußgängerbrücke an der Willy-Brandt-Straße. Der Äußere Zugang liegt am Vespucci-Haus, und man kann über die Fußgängerbrücke bis zur Hohen Brücke, Ecke Deichstraße sehen und gehen. Das funktioniert natürlich auch in umgekehrter Richtung. So sollen Fußgänger aus der Innenstadt in die HafenCity geführt werden. Rund 13,7 Millionen Euro investieren die Stadt und die HafenCity GmbH in den Ausbau des Sandtorhafens.

Mit dem HHLA-Schwimmkran IV wurde die renovierte Brücke zwischen den Magellan-Terassen und der Pontonanlage eingehängt. (2)

Mit dem HHLA-Schwimmkran IV wurde die renovierte Brücke zwischen den Magellan-Terassen und der Pontonanlage eingehängt. (2)

Die SHM bringt die Schiffe ein und kümmert sich um den Hafenbetrieb. Das wäre ohne die ehrenamtlichen Helfer aus dem Kreis der rund 1.000 Mitglieder nicht möglich. Die Stiftung finanziert ihre Arbeit aus Spenden sowie den Erträgen des einmalig gezahlten Stiftungskapitals der HSH Nordbank. Die Planung für das Projekt laufen bereits seit zehn Jahren. Die Entwürfe stammen vom spanischen Architekturbüro EMBT, das auch die Magellan-Terrassen im mediterranen Stil entworfen hat. „Da musste noch einiges angepasst werden“, sagt Kaiser über die Entstehungsgeschichte. Die Entwürfe der Spanier waren im ersten Schritt sehr künstlerisch, als schwimmende Anlagen technisch nicht einfach realisierbar. Während die acht Stahlbeton-Pontons Neubauten sind, stammen die drei Zugangsbrücken aus dem Hafen. Die alten Stahlkonstruktionen wurden im Rahmen eines Qualifizierungsprogramms des Vereins Jugend in Arbeit Hamburg e. V. (JiA) wieder hergerichtet. Die JiA arbeitet auch an drei alten Hafenkränen, die bald auf der südlichen Seite, dem Kaiserkai, stehen werden.

Klappt es mit der Brücke?

Bevor die Schiffe vom Ponton ablegen und Kurs auf die Elbe nehmen können, muss noch eine Hürde genommen werden. Die Sandtorhafen-Klappbrücke am westlichen Ende des Beckens verbindet den Sandtorkai mit dem Kaiserkai. Je nach Wasserstand bietet sie im zugeklappten Zustand eine Durchfahrtshöhe zwischen 3,20 Meter und 5,25 Meter – zu wenig für die meisten Schiffe im Traditionsschiffhafen. Zum Aufklappen der 29 Meter langen Brücke müssen sowohl der Baustellen- und Anwohnerverkehr als auch die Fußgänger entsprechend gestoppt werden. Das wurde bisher nur in Ausnahmefällen, z. B. bei der Installation der Pontons oder beim Einhängen der historischen Brücken mit dem ebenso historischen Schwimmkran „HHLA IV“ praktiziert. Noch ist unklar, wie das bei regulärem Betrieb genau passieren soll und vor allem, wer für die Öffnungen bezahlt. Die Klappbrücke wird von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt verwaltet. Kaiser schätzt, dass 1.500 Öffnungen pro Jahr notwendig sind. Bis zum Start im September muss dafür eine Lösung gefunden werden, mit der alle Seiten leben können. Müsste sich die SHM bei der Anzahl der Schiffsfahrten einschränken, verlöre der Traditionsschiffhafen an Attraktivität.

Der Zeitball fiel um zwölf

Ursprünglich sollte man aus dem Hafenbecken gar nicht so einfach rein- und rausfahren können. Mitte des 19. Jahrhunderts orientierte man sich nach London. Dort gab es einen Dockhafen, dessen Becken mit Schleusen von der Tide der Themse abgeschnitten waren. Eigentlich waren auch für Hamburg mehrere geschlossene Kammern vorgesehen. Doch zeichnete sich langsam der Erfolg von Dampfschiffen ab, so dass diese Schleusen und Kammern schnell zu klein gewesen wären. 1860 fiel die Entscheidung für ein tideoffenes Hafenbecken. Schnell nach der Eröffnung 1866 entwickelte sich der Sandtorkai zu einer modernen Kaistrecke: Brownsche Dampfkräne hoben die Güter aus den Schiffen an Land. Arbeiter transportierten sie auf Schultern oder mit Karren an ihren Platz in den langen Schuppen. Die Waren wurden sortiert, abgefüllt oder neu zusammengestellt und auf der anderen Seite des Schuppens auf Pferdefuhrwerke oder Eisenbahnwaggons verladen. Der Sandtorkai wurde zum Prototyp für den weiteren Hafenausbau in Hamburg.

Der Kaiserspeicher mit dem Zeitball auf der Turmspitze. Rechts das 1930 gebaute Passagierschiff Monte Rosa der Reederei Hamburg Süd. (3)

Der Kaiserspeicher mit dem Zeitball auf der Turmspitze. Rechts das 1930 gebaute Passagierschiff „Monte Rosa" der Reederei „Hamburg Süd". (3)

Auf der gegenüberliegenden Seite entstand der Kaiserkai. An der westlichen Spitze lag der Kaiserspeicher, genau dort, wo heute die Elbphilharmonie entsteht. Auf dem Turm des Kaiserspeichers, der damals das Wahrzeichen des Hamburger Hafens war, stand ein sogenannter Zeitball. Er wurde pünktlich um zwölf Uhr mittags fallengelassen. Dieses Zeichen half den Mannschaften an Bord, ihre eigenen Chronometer zu stellen. Bis hinein ins 20. Jahrhundert erlebte der Sandtorhafen eine unglaubliche wirtschaftliche Entwicklung. Erst die Weltwirtschaftskrise 1929 und später die Wirtschaftspolitik der Natio- nalsozialisten mit ihrer Autarkiepolitik bremsten den Aufschwung. So lag 1938 der Hafenumschlag deutlich hinter dem Ergebnis von 1928. Im zweiten Weltkrieg wurden die meisten Gebäude auf dem Sandtorkai total zerstört.

Ein Drittel des Hafens wurde zugeschüttet

Der Wiederaufbau nach dem Krieg kam nur schleppend voran. Die Kais waren eigentlich zu schmal und aufgrund der geringen Wassertiefe konnten nur kleinere Schiffe aus dem Nord- und Ostseeverkehr hier festmachen. Bis 1961 war der Kaiserkai auf seiner gesamten Länge wieder betriebsbereit, während am gegenüberliegenden Sandtorkai nur ein einziger Schuppenneubau entstand. 1951 wollte die United States Line eine kombinierte Anlage für Stückgut und Passagierschiffe am westlichen Ende des Sandtorkais errichten. Doch über die Planungsphase kam das Projekt nicht hinaus, denn das Geld aus den USA für die Umbauten blieb aus. Der wirtschaftliche Aufschwung kam am Kaiserkai erst 1966 mit einer Roll on / Roll off-Anlage. Hier rollen die Güter über eine Heck- oder Seitenrampe in das und aus dem Schiff. Die Washbay Line des Reeders Henry Stahl verschiffte vor allem Autos aus dem Ostblock nach Großbritannien. Doch der Erfolg brachte auch den größten Einschnitt für den Sandtorhafen mit sich. Die Autos benötigten Platz. So wurde sukzessive ein Drittel des Beckens sowie die Schleusenverbindung zum Brooktorhafen zugeschüttet. Was wir heute sehen, ist also ein deutlich kleineres Hafenbecken. Der neue Hafen wird diese lebhafte Geschichte des Sandtorhafens mit schwimmenden Zeitzeugen dokumentieren. Die Wiege des Hamburger Hafens bekommt damit die Würdigung, die ihr zusteht. Schon kurz nach der feierlichen Einweihung steht dem Ponton eine echte Bewährungsprobe bevor. Zum Tag der deutschen Einheit richtet die Hansestadt Hamburg die zentralen Feierlichkeiten aus. Am 3. Oktober beginnt in der HafenCity das mehrtägige Bürgerfest „Kulturnation Deutschland“. Neben zahlreichen Präsentationen werden ein Rahmenprogramm auf Showbühnen sowie Angebote auf und im Wasser geboten. In diesen Tagen wird die Klappbrücke am Sandtorhafen mehr als einmal aufgehen müssen.

 

Text: Dirk Kunde, Fotos: (1) Visualisierung: HafenCity Hamburg GmbH, Foto: Thomas Hampel, Illustration: Michael Korol, (2) Thomas Hampel, (3) HHLA (Gustav Werbeck)

Quartier 03, September–November 2008 , Rubrik:    
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