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Kanzler oder Kekse

Stefan Kolle, Mitinhaber der Agentur Kolle Rebbe, über Arbeiten in der Speicherstadt, die Notwendigkeit zu einem generellen Umdenken in der Werbebranche und die Geistesgemeinschaft von Besitzern großer goldener Uhren


Stefan Kolle: Verbraucher sind in Sachen Werbung gesättigt. (1)

Stefan Kolle: „Verbraucher sind in Sachen Werbung gesättigt.“ (1)

Geboren 1962 in Wuppertal und aufgewachsen in München, studierte Stefan Kolle zunächst an der HdK in Berlin, bevor er bei GGK in Wien als Texter anfing. Nach einer weiteren Station als Texter bei Baader, Lang, Behnken in Hamburg gründete er 1994 mit seinem Freund und WG-Mitbewohner Stephan F. Rebbe die Werbeagentur Kolle Rebbe.

Als sie 1997 mit ihrer Werbeagentur den Block W bezogen, waren Stefan Kolle und Stephan Rebbe die ersten Mieter, deren Gewerbe keinen Hafenbezug hatte. Heute gehören sie nicht nur zu den größten Mietern in der Speicherstadt, sondern auch zu den angesagtesten Agenturen Deutschlands.

Wenn Sonntagnacht in einem Büro noch irgendwo Licht brennt, handelt es sich in der Regel um einen Architekten oder eine Werbeagentur. Sind das die, die keinen Erfolg haben, oder ist das Berufsalltag?
Das ist Berufsalltag. Es ist aber nicht unbedingt so, dass diejenigen nicht erfolgreich sind, bei denen am Freitag um 18 Uhr das Licht ausgeht. Der angestrebte Zustand ist, erfolgreich zu sein und trotzdem um 18 Uhr nach Hause gehen zu können.

Was macht denn eine Werbeagentur erfolgreich?
Dass sie Kunden gewinnt, wächst und Preise für ihre Arbeit gewinnt. Die Werbebranche kann Stillstand schlecht vertragen. Kunden wollen Erfolg für ihre Produkte und vermuten Erfolg dort, wo Menschen selbst erfolgreich sind. Sie hoffen, dass sich das wie durch Handauflegen auf ihre Kekse oder ihre Investmentfonds überträgt.

Wir setzen ungefähr zehn Prozent unserer Zeit
und Ideenkraft als Spende für gemeinnützige Projekte ein.

Preise und Rankings wie etwa vom „Manager Magazin“ oder von „Werben & Verkaufen“ sind also nicht allein eine Rückmeldung innerhalb der Branche, sondern auch eine Art Werbung nach außen?
Preise und Rankings sind die zentrale Werbung für Agenturen überhaupt. Sie sind mittlerweile von einer so immensen Wichtigkeit, dass dafür unglaublich viel Geld ausgegeben wird. Werbeagenturen investieren hier Geld, weil Kunden sich sehr stark an diesen Rankings orientieren. Aber Erfolg ist nicht nur das Gewinnen von Preisen. Wir werden dafür beschäftigt, Auftraggebern zum Erfolg zu verhelfen, indem sich Produkte mehr verkaufen, Produkte bekannter werden oder sich Wahrnehmungen von Produkten verändern. Das ist eigentlich das einzige, um das es geht: der Erfolg der Kunden.

Seit August 2007 ist Kolle Rebbe die Lead-Agentur für den werblichen Gesamtauftritt der CDU Deutschland. Ist eine politische Partei ein Produkt wie jedes andere auch?
Natürlich gibt es da eine gewisse Brisanz. Wenn wir Werbung für Kekse machen, ist das selten in den Tagesthemen. Politik ist natürlich komplexer und taktischer angelegt. Sie ist nicht so langfristig berechenbar wie etwa Kekse. Im Prinzip besteht unsere zentrale Aufgabe darin, komplexe und möglicherweise für die Menschen nicht verständliche Inhalte in einfache Formeln zu verpacken, so dass man sie verstehen kann.

Bei einem Blick auf die Mitgliedschaften Ihrer Agentur taucht neben den einschlägigen Vereinen der Branche auch der Dialog im Dunkeln in der Speicherstadt auf. Was gab den Anlass dazu, sich hier zu engagieren?
Wir setzen ungefähr zehn Prozent unserer Zeit und unserer Ideenkraft als Spende für gemeinnützige Projekte ein. Dieses Projekt, das sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft befindet, fanden wir besonders interessant. Dasselbe machen wir auch für Misereor und für die Lebenshilfe. Wir haben jahrelang Hinz&Kunzt unterstützt, bis es schließlich das erfolgreichste Magazin dieser Art in Deutschland war. Danach haben wir entschieden, wieder etwas Kleineres zu unterstützen. Es gibt zum Beispiel einen kleinen Verein namens Lukulule, der sich um Kinder in Problembezirken von Hamburg kümmert. Den unterstützen wir auch.

Sie haben persönlich und beruflich langjährige Erfahrungen auch in anderen Großstädten gesammelt, in München, in Berlin und in Wien. Warum haben Sie und Ihr Partner Stephan F. Rebbe entschieden, Ihre Agentur in Hamburg zu gründen?
Hamburg ist in Deutschland Medienstandort Nummer Eins. Die Infrastruktur ist hier sehr gut. Es gibt viele andere Werbeagenturen, was dafür sorgt, dass sich auf dem Personalmarkt viel bewegt. Und die Lage am Wasser, der Hafen sorgen einfach für eine fantastische Lebensqualität.

Was prägt die Marke Hamburg?
Das Wasser, ganz simpel. Und die Kombination von Großstadtgefühl mit Kleinstadtambiente. Es ist grün und nicht voller Smog und Hochhäuser, aber trotzdem irgendwie ein bisschen größer als Oldenburg.

Die Agentur ist 1997 aus der Innenstadt in die Speicherstadt gezogen…
Damals war genau hier in diesem Haus, in dem wir jetzt sind, eine Galerie. Ich habe den Galeristen gefragt, was er an Miete zahle. Und der sagte: „300 Quadratmeter, 800 Mark.“ Das klang gut. Es kam dann für uns preislich doch etwas anders, aber dieser alte Baustil, das Wasser – das ist super. Die Speicherstadt war damals noch Zollausland. Wir sind die ersten Mieter geworden, die nicht hafennahes Gewerbe in einem Speicher betrieben haben.

Als wir damals das erste Gespräch darüber geführt haben, ob wir hier überhaupt mit unserer Werbeagentur einziehen können, hat man zunächst gesagt: „Werbung? Das ist doch zu hart.“ Weil wir aber zu diesem Zeitpunkt für den deutschen Kaffeeverband gearbeitet haben, der ebenfalls hier in der Speicherstadt ansässig ist, schloss sich der Kreis. Es hieß, wir sollten möglichst keine großen Schilder mit der Aufschrift „Werbeagentur“ anbringen, dann sei das in Ordnung.

Heute gehört Kolle Rebbe zu den größten Mietern in der Speicherstadt. Was macht das Arbeiten in der Speicherstadt aus?
Die Speicherstadt hat eine einzigartige Architektur, und ich finde diese Mischung mit Teppichhändlern und Gewürzhändlern ganz toll. Es fördert die Kreativität, auch wenn die in fünf Jahren vermutlich eher in der Minderheit sein werden. Die Arbeitsatmosphäre ist perfekt, wenn es aufgeräumt und konzentriert ist, ohne kalt und steril zu sein. Und dass es nicht steril ist, dafür sorgen das alte Speichergebäude, der Holzboden, die gemauerten Wände.

Was halten Sie von dem, was in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in der HafenCity entsteht?
Insgesamt ein tolles Projekt. Das ist ganz bestimmt ein Standortvorteil für uns, wenn es einmal fertig wird. Im Moment fehlt noch der Charakter des Gewachsenen. Wenn zum Beispiel Bäume in Betonplatten eingezimmert werden, sieht man, dass es noch zehn Jahre dauern wird, bis es den Charme des gerade Fertiggestellten verliert und in den Charme des Belebten umschlägt. Aber die Chancen dafür sind sehr gut. Die unmittelbare Nachbarschaft der Speicherstadt ist vor diesem Hintergrund natürlich ein Segen.

In der Qualität finde ich die HafenCity allerdings unterschiedlich. Ich war in Büros, die ich langweilig fand. Ich war in Wohnungen, die ich ganz toll fand. Und ich glaube, dass gerade das Wohnen für die HafenCity essentiell sein wird. Momentan wohnt dort eben nur eine Kaste: die Kaste Porsche Cayenne, Zweitwohnung. Ich bin ehrlich gespannt.

Gibt es so etwas wie ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen dem Kreativen und seinem Kunden?
Ja, der Kreative will immer mehr als der Kunde zulässt. Der Kunde denkt: „Der will das nicht zum Wohle meiner Marke, sondern will sich selbst verwirklichen.“ Und der Kreative denkt: „Der Kunde ist ein Angsthase, der nicht versteht wie genial meine Ideen sind.“

Gibt es einen durchgehenden Stil, an dem man Kolle Rebbe sofort erkennen kann?
Unser Stil ist, keinen Stil zu haben. Wenn man aber unsere Kunden fragt, ist es offensichtlich so, dass wir als effizient gelten. Wir sind nicht besonders groß, aber groß genug, um große Kunden zu bedienen, und wir lösen Probleme pragmatisch und mit gesundem Menschenverstand.

In Hamburg ist Bionade groß geworden. Kolle Rebbe baute aus 7.000 Bionadekästen ein großes Denkmal in den Hafen. (2)

In Hamburg ist Bionade groß geworden. Kolle Rebbe baute aus 7.000 Bionadekästen ein großes Denkmal in den Hafen. (2)



Vor einigen Jahren gab es schwere Einbrüche nicht nur in der Werbe-Branche. Unternehmen haben ihre Etats sehr sorgfältig geprüft, bevor sie teure Werbekampagnen in Auftrag gegeben haben. Sind die Zeiten vorbei?

Ganz im Gegenteil. Wir sind gerade in der Kommunikationsbranche in einem noch dramatischeren Umbruch. Generell wird die Wirksamkeit bislang verwendeter Methoden massiv in Frage gestellt. Unglaublich viel verschiebt sich in Richtung Online-Bereich, aber auch in jegliche Form von alternativen Techniken, Menschen zu überzeugen. Jedes Produkt ist in fünfzehnfacher Ausführung auf dem Markt. Alle Bedürfnisse sind im Grunde gesättigt bis übersättigt.

Ist das auch ein Grund, warum Sie vor zwei Jahren die Innovationsagentur KOREFE gegründet haben?
Wenn fünfzehn verschiedene Joghurts auf dem Markt sind, ist unser Auftrag meistens, denjenigen unseres Kunden kommunikativ von den anderen vierzehn zu differenzieren und zu sagen: „Dieser ist besonders natürlich. Deshalb immer nur diesen kaufen.“ Wir haben aber auch den Ansatz, Ideen direkt beim Erfinden des Joghurts einzusetzen. Auf dieser Basis arbeitet die „Kolle Rebbe Form und Entwicklung“-Abteilung. Sie erfindet Produkte. Am Ende des Tages geht es immer nur um Ideen, die irgendwie helfen, Menschen etwas zu verkaufen…

… das sie nicht brauchen.
Im Zweifelsfall auch das. Wir brauchen nicht die siebzehnte Seife im Regal oder den dreiundzwanzigsten Joghurt. Wir brauchen, ehrlich gesagt, auch nicht fünfundzwanzig Nachahmer von Bionade. Trotzdem kommen die auf den Markt. Die Verbraucher sind in Sachen Werbung gesättigt. Der Druck der Botschaften, die Menschen täglich empfangen, hat sich in den letzten fünfzehn Jahren verhundertfacht. Da überhaupt noch durchzudringen, ist mit herkömmlichen Methoden außerordentlich schwierig bis unmöglich.

In welche Richtung ist die Werbelandschaft in den vergangenen Jahren gegangen?
Grundsätzlich glaube ich, dass Menschen Werbung wegfiltern. Wenn sie beispielsweise ins Internet gehen und wissen wollen, wie der HSV gespielt hat, dann scrollen sie dorthin. Alles andere, was ringsherum blinkt, sehen sie gar nicht, weil sie gelernt haben, es auszublenden. Sie sehen die Plakate auf den Straßen nicht. Sie sehen den Werbeblock im Fernsehen nicht, weil sie denken: „Schon wieder Werbung!“ Das Problem ist deshalb, dass ich an Stellen auftauchen muss, an denen niemand damit rechnet, dass ihm dort Werbung entgegen schlägt. Deshalb gibt es plötzlich Werbung auf Klohäuschen, auf Straßenbelägen, auf allem. Wir sprechen also nicht mehr über drei oder vier Medien, sondern über tausend potentielle Möglichkeiten.

Wie groß ist denn inzwischen der Anteil, den Sie in nicht-klassischer Werbung unterbringen?
Ich denke, dass der Anteil in diesem Jahr bei fast 50 Prozent liegen wird. Wir haben zum Beispiel für Volkswagen in Peking einen Pavillon für die Olympiade gebaut. Wir haben zusammen mit Detlev Buck für YouTube einen kompletten Kinofilm zur EM gemacht. Wir haben im Hafen eine riesige Installation für Bionade eingerichtet. Das sind völlig andere Projekte als vor zehn Jahren.

Man muss Zielgruppen heute anders ansprechen als früher?
Man sagt gemeinhin, die ideale Werbezielgruppe sei 18 bis 35. Das sei das Profil, das beispielsweise ProSieben ideal erreiche. Hier muss also Werbung hin, weil diese jungen Menschen noch bereit sind, ihre Gewohnheiten zu verändern. Ich glaube aber, dass es heutzutage eher um Themen geht, also nicht um Demographie, sondern um Themographie. Wenn ich zum Beispiel Angler wäre, fände ich im Internet zehntausend Gleichgesinnte, die an der Schlei besonders gern Barsche angeln, und könnte mich mit ihnen über den idealen Angelhaken, das richtige Auto für den Transport und ähnliches austauschen. So erreiche ich heutzutage zielgerichtet besser Leute. Es ist also ein generelles Umdenken notwendig.

Muss hierfür auch auf Kundenseite generell umgedacht werden?
Viele Unternehmen haben immer noch den Geist: Börse, Wachstum, Quartalszahlen. Das ist aber kein Geist, der Menschen anzieht. Es gibt immer weniger Leute, die an Parteien oder an Religionen glauben. Also geben Marken eine Geistesgemeinschaft: „Ich gehöre zu denen, die es gut finden, dass dieses Unternehmen den Holunder selbst anbaut.“ Oder: „Ich gehöre zu denen, die es gut finden, dass Computer gut aussehen und einfach zu bedienen sind.“ Wie Apple. Es gibt Leute, die sich Apple eintätowieren lassen würden. Harley Davidson hat auch so einen Geist. Bionade hat diesen Geist. Es ist vermutlich eines der wesentlichen Erfolgsrezepte für Unternehmen, so einen Geist zu haben. Die Werte, die diese Unternehmen vermitteln, müssen aber nachhaltig in Ordnung sein. In Wachstumsmärkten wie Russland oder China, in denen es hauptsächlich um Gucci-, Versace- oder Rolex-Geistesgemeinschaften geht, mag das anders sein. Aber immerhin sind das auch Geistesgemeinschaften: „Wir gehen zum Golf. Und wir tragen diese großen, goldenen Uhren immer so, dass jeder sie sofort sehen kann. So erkennen wir uns untereinander.“  
 



KOLLE REBBE: ZAHLEN UND FAKTEN
Die Hamburger Agentur Kolle Rebbe wurde 1994 von den beiden Freunden und WG-Mitbewohnern Stefan Kolle und Stephan Rebbe gegründet. Seitdem zählt sie zu den kreativsten Agenturen Deutschlands. 1997 gewinnt sie ihren ersten Cannes-Löwen. Im Januar 2003 werden die beiden Inhaber vom „Horizont“ zu „Agenturmännern des Jahres“ gewählt, und im vergangenen Jahr gewinnen sie den Black Pencil beim D&AD, nachdem der begehrte Preis erst einmal zuvor nach Deutschland gegangen ist.

Die Agentur hat seit über zehn Jahren ihren Sitz in der Hamburger Speicherstadt, wo über 150 Mitarbeiter Kunden wie Bionade, Google, Leibniz, Deka Investmentfonds, Olympus, Warsteiner oder OTTO betreuen.


 

Text: Nikolai Antoniadis, Foto: (1) Thomas Hampel, (2) Kolle Rebbe

Quartier 03, September–November 2008 , Rubrik:    
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