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Grimms Märchen – Es war einmal…

Auf dem Katharinenweg zwischen Zollkanal und Rathaus liegen die alte Straße Grimm und in ihrer Verlängerung nördlich der Willy-Brandt-Straße die Zollenbrücke. Diese überspannt einen überraschend kurzen Seitenarm des Nikolaifleets.


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Das Nikolaifleet mit den Bürgerhäusern am Grimm und dem Turm der St.-Katharinen- Kirche (1940). Im Vordergrund links ist das Geländer der Zollenbrücke zu sehen.

Wie ist diese städtebauliche Situation zu deuten? Der Nebenarm des Nikolaifleets ist das letzte erhaltene Relikt des Gröningerstraßenfleets, das sich zusammen mit dem östlich anschließenden Brauerstraßenfleet bis zum Meßberg erstreckte, um dort in den Zollkanal zu münden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Trümmerschutt aus den benachbarten Straßen in die beiden Fleete geschüttet und in den 1950er Jahren die Ost-West-Straße – die heutige Willy-Brandt-Straße – auf dem planierten Gelände angelegt.

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Luftaufnahme der südlichen Altstadt (um 1955): Die weißen Linien markieren den geplanten Verlauf der Domstraße und der Ost-West-Straße, der heutigen Willy-Brandt-Straße. Das nördliche Ende des Grimm liegt dort, wo die Domstraße in die Ost-West-Straße münden soll.

Die Zollenbrücke, die noch aus dem Jahr 1633 stammt, mündete ursprünglich direkt in den Grimm: eine schmale Straße, die auf die St.-Katharinen-Kirche zuläuft. Auch der Grimm wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verstümmelt. Ende der 1950er Jahre verschwand das nördliche Ende unter der erwähnten Durchbruchstraße, die zudem über dem ursprünglichen Niveau des Geländes angelegt wurde. Heute muss man deshalb ein paar Stufen überwinden, um vom Grimm aus auf den Bürgersteig der Willy-Brandt-Straße zu gelangen.

Ursprünglich bezeichnete Grimm nicht nur die gleichnamige Straße, sondern auch eine Insel, die sich vom Nikolaifleet bis zum Meßberg erstreckte. Diese Insel wurde im 13. Jahrhundert unter der Herrschaft von Graf Adolf IV. von Schauenburg (1205-61) eingedeicht und somit als Siedlungsfläche urbar gemacht. Mit der St.-Katharinen-Kirche erhielt das neue Kirchspiel um 1250 auch ein eigenes Gotteshaus, zu dessen Einzugsgebiet übrigens auch die benachbarte Cremon-Insel und die Brookinseln (heute Speicherstadt) gehörten. Das nach 1945 ebenfalls zugeschüttete Steckelhörnfleet trennte die Cremon- und die Grimm-Insel.

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Die gleiche Situation zehn Jahre später. Die Fleete und das nördliche Ende des Grimm sind unter der Ost-West-Straße und der Domstraße verschwunden. Links unten ist die Zollenbrücke zu sehen.

Vor allem von der Trostbrücke aus bot der Grimm dem Betrachter bis zum Zweiten Weltkrieg einen malerischen Anblick: eine geschlossene Reihe von Giebelhäusern, hinter denen der grüne Turmhelm von St. Katharinen emporragte. Bei der Serie von schweren Luftangriffen im Sommer 1943 brannten die Häuser am Grimm mitsamt der St.-Katharinen-Kirche nieder. Auch das „Althamburger Bürgerhaus“, ein stimmungsvolles Restaurant, das erst kurz zuvor in einem Dielenhaus aus dem 17. Jahrhundert eingerichtet worden war, wurde zerstört.

Der Wiederaufbau des Grimm nahm auf den ursprünglichen Charakter der Straße kaum Rücksicht. Statt der Giebelhäuser entstanden am Nikolaifleet moderne Bürohäuser. Auf der Ostseite der Straße wurde die Katharinenschule errichtet. Ob die geplante Neubebauung des Schulgeländes mit Wohnungen und Büros dem Wunsch der Anlieger entsprechend wieder Leben ins Viertel bringen wird, sei dahingestellt. Ebenso ungelöst bleibt bisher das Problem der Barriere-wirkung der Willy-Brandt-Straße, die das Herz des mittelalterlichen Hamburg mit seinen Gassen und Fleeten förmlich unter sich begraben hat.

 

Text: Ralf Lange, Fotos: Hamburger Hafen und Logistik AG

Quartier 04, Dezember 2008–Februar 2009 , Rubrik:    
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