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Mann der Meere

Der mare-Verleger Nikolaus Gelpke residiert mit seinem dreiviertel Verlag seit über zehn Jahren in der Speicherstadt.


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„Es gibt kaum etwas Schöneres, als Geschichten erzählen zu dürfen“, sagt Gelpke über seine berufliche Motivation. Mit diesen Geschichten will er den Menschen das Meer näher bringen. Kein Seemannsgarn. Fundierte, informative, aber vor allem schön geschriebene und ästethisch bebilderte Geschichten über das Meer. Dabei ist er kein Medienmann, man trifft ihn nicht auf Branchenveranstaltungen mit einem Weinglas in der Hand. Er ist kein Journalist, schreibt kaum mehr als das Editorial. Ein Wissenschaftler ist er auch nicht. Dazu arbeite er zu ungenau, rede zu viel, ja sei ein Schnacker. Er ist nicht so recht zu fassen, dieser 46-jährige mit der wilden Frisur.

Eigentlich wollte er von Anfang an etwas mit Büchern und Fernsehen machen. Es wurde erstmal eine Zeitschrift, irgendwo muss man anfangen. Im April 1997 erscheint die erste Ausgabe von mare. Gelpke schmiss dafür sechs Wochen vor der Disputation zur Erlangung des Doktortitels seine akademische Laufbahn hin und entwickelte das Magazinkonzept mit drei Freundinnen. Es folgt der beispiellose Aufbau einer multimedialen Marke. In dieser Form hat das kaum ein anderer Verlag geschafft. Im Nordwestradio (Radio Bremen) läuft jeden ersten Sonntag im Monat mare Radio, jeden ersten Donnerstag im Monat läuft mare TV beim NDR, es gibt mare-Kalender, mare-Bildbände und pro Jahr rund 15 weitere Buchtitel. Die Zeitschrift erscheint alle zwei Monate. „Das war ein paar Jahre Kampf und daran glauben“, sagt Gelpke. Allein vier Jahre hat es bis zur ersten Fernsehsendung gedauert. Zwei Jahre war er in Kooperation mit Jochen Maas, dem ehemaligen Rennfahrer, im Gespräch mit RTL. Noch mal zwei Jahre gingen mit den NDR-Verantwortlichen drauf. Bei der Zeitschrift ist er in die Druckerei gelaufen, stand an den Maschinen, um zu lernen. Aber auch, um auf Augenhöhe die Preise verhandeln zu können. „Bei jedem Medium sagte man mir, das kannst Du nicht, das ist etwas ganz Spezielles“, erzählt Gelpke, „doch ich habe die Erfahrung gemacht, alle kochen nur mit Wasser. Man muss es mit Herzblut machen, dann ist es nicht schwer. Schwer ist nur, erfolgreich zu sein.“

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Dem Nordmeer hat der mare Buchverlag einen Band mit beeindruckenden Fotos des Magnum-Fotografen Gueorgui Pinkhassov gewidmet. (2)

Diese Medaille hat zwei Seiten. Natürlich ist mare erfolgreich, sonst wäre die Zeitschrift nicht schon über zehn Jahre auf dem Markt. Unter der Rubrik „Auszeichnungen“ stehen auf der Internetseite vom Art Directors Club bis zum World Press Award 16 Preise, die mare oft mehrmals gewonnen hat. Nur ist der Ruf besser als die Auflage. Bei den Media­agenturen, die im Auftrag der großen Unternehmen über Anzeigenplatzierungen entscheiden, kommt mare eben weit hinten. „Wer nicht viel hat, kann auch nicht viel verlieren“, ist Gelpkes
augenzwinkernder Kommentar zur Anzeigenkrise. Doch er schöpft neuen Mut, dieses Jahr versucht er es mit einem neuen Anzeigenvermarkter, der zu einem großen Verlag gehört. Die Website wird komplett überarbeitet, und der Buchverlag wird mit dem Zeitschriftenverlag zusammengelegt. Bereits 2006 hat sich die Zeitschriftenredaktion von den monothematischen Ausgaben verabschiedet, um flexibler zu werden, auch beim Anzeigenverkauf. Doch der erhoffte wirtschaftliche Schub blieb aus. Am Ende stand ein schmerzlicher Prozess, bei dem Gelpke ein Drittel der Mitarbeiter entlassen musste.

„Ich habe jeden Tag geschmuggelt.“

Mal angenommen, mare überlebt die Medienkrise nicht, was käme dann? Das erste Mal im Gespräch herrscht eine längere Pause. „Schwer vorzustellen. Ich habe mal Boote gebaut, aber das ist lange her“, sagt Gelpke. Aufgewachsen ist er in der Schweiz und in Italien. Der Mutter schaut er in der Dunkelkammer zu, wie sie ihre Reportageaufnahmen entwickelt. Auf dem Couchtisch daheim liegt regelmäßig die schweizer Kulturzeitschrift „Du“. Sie prägt sein Empfinden für guten Magazinjournalismus. Nach dem Abitur vermittelt eine Freundin der Mutter den Kontakt zu Elisabeth Mann Borgese nach Halifax. Die jüngste Tochter von Thomas Mann ist Professorin für Seerecht und Gründerin der Unabhängigen Weltkommission für Meere. Anfänglich ist er Hundesitter, doch dann darf er ihre Bibliothek neu sortieren. Fast alle Titel handeln vom Meer und der junge Gelpke entdeckt, wie facettenreich die Geschichten rund ums Wasser sein können. Er jobbt als Taucher auf einer Austernfarm und für Greenpeace. Mit Jacques Piccard taucht er die knapp 300 Meter zum Grund des Genfersees. Er studiert Meeresbiologie an der Universität in Kiel. In der Stadt lebt er auch heute noch mit seiner Frau und den beiden Söhnen, in Sichtweite zur Ostsee.

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In persönlichen Entdeckungsfahrten entlang der 2.500 Kilometer langen Küste Südafrikas entstanden die Fotos des Berliners Jörn Vanhöfen. (3)

Die Pendelei zwischen den beiden Städten nervt ihn – und wird eigentlich immer schlimmer. Aber an einen Umzug sei nicht zu denken. Die Kinder gehen in Kiel zu Schule, die Familie ist dort verwurzelt. Aus Hamburg will er nicht weg, weil man in der Medienstadt leichter passende Autoren und Fotografen findet. Außerdem liebt er die Speicherstadt. „Ich habe mir Büros vom Fischmarkt bis in die Speicherstadt angeschaut. Mir war sofort klar, dass ich hierher musste, denn man hat nicht das Gefühl, in ein Büro zu gehen“, sagt Gelpke. Doch seine Gründungskolleginnen kann er nicht überreden, ins „spießige Hamburg“ zu ziehen. Somit sitzen bis heute die Bild- und Kulturredaktion sowie die Art Direktion in Berlin. Auch seine Steuerberaterin erklärte ihn damals für verrückt, das sei „außereuropäisches Ausland“. Als Teil der Freihafenzone musste Gelpke erst bei der Oberfinanzdirektion vorsprechen, bevor er einziehen durfte. „Ich habe jeden Tag geschmuggelt“, gibt er offen zu. Anfänglich hat er den Zöllnern jede Zeitschrift im Kofferraum gezeigt, doch die waren schwer genervt, bedeutete das doch Papierkram. Gelpke vermisst die Stimmung von damals ein wenig. Es fühlte sich wirklich wie Ausland an, weil man dem Farsi der Teppichhändler lauschte. Außerdem war die Wasserschutzpolizei für Falschparker zuständig und die „war eher luschi in Sachen Aufschreiben“.

Von der Vergangenheit zur Zukunft – was wünscht sich Nikolaus Gelpke für das kommende Jahr? „Dass wir personell so bleiben wie wir aufgestellt sind und die Umstrukturierung wirtschaftlich greift“, sagt er. Mehr Medien geht eigentlich gar nicht, aber die Markendehnung ist noch nicht abgeschlossen. So zwei, drei Ideen hat der Zweimetermann noch, die will er jedoch erst nach der Konsolidierung angehen. Dabei weiß Gelpke sehr genau, wer der typische mare-Leser ist. Er ist gebildet, 65 Prozent haben einen Hochschulabschluss, er ist eher männlich und Mitte 40. Beim Vortragen der Zahlen wird klar, Gelpke ist seine eigene Zielgruppe. Er schmunzelt. „Wir wollen Menschen erreichen, die sich den Luxus ‚Zeit zum Lesen‘ leisten“, sagt er. Eben nicht Alltagsinformationen, sondern sinnliche Dinge. Kann man in einem solchen Umfeld auch kritische Themen wie Umweltverschmutzung und Klimawandel behandeln? „Ja, klar“, sagt Gelpke. Erst kürzlich habe man einen kritischen Artikel über die Diktatur auf den Malediven gemacht. Es herrsche keine Meinungsfreiheit, keine freie Presse in dem Urlaubsparadies. Aber solche Berichte werden genauso ansprechend layoutet wie andere Artikel. „Die Deutschen haben das Problem, wenn man etwas kritisch betrachtet, darf es nicht sinnlich sein“, ereifert sich Gelpke, dabei kommt sein schweizer Akzent noch deutlicher durch. Nun ist er in Fahrt. Die Deutschen hätten eine „schwierige Kulturdefinition“, sinnlich werde mit billig auf eine Stufe gestellt. Da seien die Franzosen und Italiener doch ganz anders. Und an Goethe ließen wir Deutschen ja auch kein gutes Haar. Da bricht sie durch, die südeuropäische Prägung seiner Jugend. Erstaunlich, denn eigentlich lebt Gelpke schon mehr Jahre im Norden Europas als umgekehrt.

 


NIKOLAUS GELPKE
Nikolaus Gelpke wird 1962 in Zürich geboren. Er wächst in der Schweiz und in Italien auf. Er ist ein schlechter Schüler, gut ist er nur im Fach Deutsch. Er lebt sogar ein Jahr bei seinem Deutschlehrer. Nach dem Abitur wohnt er im kanadischen Halifax bei Elisabeth Mann Borgese. Die Tochter von Schriftsteller Thomas Mann ist dort Professorin für Seerecht. Gelpke studiert Meeresbiologie an der Universität in Kiel. Kurz vor seinem Doktor­titel entwirft er das Konzept der Zeitschrift mare. Dazu gründet er 1995 in Kiel den dreiviertel Verlag – denn Dreiviertel der Erde sind mit Wasser bedeckt. Am 9. April 1997 erscheint die erste mare-Ausgabe. Gelpke lebt in Kiel, ist verheiratet und hat zwei Kinder.


 

Text: Dirk Kunde, Fotos: (1) Thomas Hampel, (2) Foto: Gueorgui Pinkhassow, aus: mare-Bildband „Nordmeer“, www.mare.de, (3) Foto: Jörn Vanhöfen, aus: mare-Bildband „Südafrikas Küste“, www.mare.de

Quartier 04, Dezember 2008–Februar 2009 , Rubrik:    
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