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Terra incognita

Während die östliche HafenCity heute für viele noch unbekanntes Territorium ist, steht die Entwicklung dieses Areals längst im Fokus der HafenCity Hamburg GmbH. Ein wichtiges Anliegen: die Verknüpfung mit dem Rest der Stadt.


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Elbphilharmonie, Traditionsschiffhafen und Maritimes Museum sind bekannte Leuchtturmprojekte der HafenCity und mittlerweile weit über Hamburg hinaus touristische Attraktionen. Das Areal östlich der Shanghaiallee, entlang des Oberhafens bis zu den Elbbrücken ist für die meisten Hamburger jedoch noch ein weißer Fleck auf der Landkarte.

Die Entwicklung der HafenCity in Richtung Osten, die in den nächsten Jahren auf den Weg gebracht werden soll, bringt dieses Gebiet auf die Tagesordnung, nicht zuletzt weil die gegebenen Strukturen einige Schwierigkeiten bergen. Das Gebiet wird von den Gleisen der Pfeilerbahn zerschnitten, während es vom Oberhafen, der Verlängerung des Zollkanals, gegen die benachbarten Stadtviertel abgegrenzt wird. Immobilien­entwickler, Architekten und Behörden suchen heute nach Schnittstellen zur restlichen Stadt. Anknüpfungspunkte gibt es reichlich. An der Oberhafenkantine soll auf dem Gebiet der HafenCity die Hamburger „Kultur-meile“ aus Richtung der Deichtorhallen fortgesetzt werden. Auf der Höhe des Großmarkts sieht der Masterplan zur HafenCity eine Brücke nach Rothenburgsort vor. Auch eine Fußgängerbrücke über den Oberhafen ist von verschiedenen Seiten ins Gespräch gebracht worden, ebenso eine Verlängerung des Elbwanderweges bis zum Brandshofer Deich kurz vor den Elbbrücken. Hier, am östlichsten Zipfel der HafenCity, soll einmal das Elbbrückenzentrum mit dem Chicago Square entstehen.

Über die Entwicklung dieses Gebiets wird aber nicht allein von der HafenCity Hamburg GmbH nachgedacht, sondern auch von anderen Stellen, unter anderem von dem italienischen Architekten Paolo Fusi, der an der HafenCity Universität Städtebaulichen Entwurf lehrt. Er beschäftigt seine Studenten seit mehreren Semestern mit Planungen zum Baakenhafen, zum Oberhafen oder zum Bille-Gebiet hinter der Brandshofer Schleuse in Hammerbrook. „Bei dieser Arbeit haben wir festgestellt,“ so Professor Fusi, „wie wichtig das Verhältnis zwischen HafenCity und Stadt ist, nicht nur am Magdeburger Hafen, sondern auch in die Richtung des Oberhafens und nach Rothenburgsort.“ Deshalb hat er für das Sommersemester 2008 ein Seminar zu einem alten Gebäudekomplex am Brandshofer Deich auf den Lehrplan gesetzt, das direkt an den Elbbrücken liegt, gegenüber des östlichsten Endes der zukünftigen HafenCity. Hier soll beispielhaft untersucht werden, wie ein Brückenschlag zwischen den Quartieren aussehen könnte.

Der Gebäudekomplex ist 1928/29 von dem auch in der Jarrestadt tätigen Architekten Otto Hoyer entworfen worden und fällt in die Zeit des damaligen Oberbaudirektors Fritz Schumacher, dessen Wirken noch heute das Bild der Stadt Hamburg prägt – vom Tropeninstitut in St. Pauli bis zum Krematorium in Ohlsdorf, zur Davidswache und dem heutigen Planetarium im Stadtpark. Die Gebäude am Brandshofer Deich dienten als Schuppen, Verwaltungsgebäude und Wohnhaus für die Reederei „Schlesische Dampfer-Compagnie Berliner Lloyd A.-G.“, die es zur Abfertigung von Kähnen verwendete, die bis zur Havel und zur Oder fuhren. Inzwischen sind die Gebäude das letzte Zeugnis für die einstmals überragende Bedeutung Hamburgs als Binnenschiffhafen, die heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist.

Das Gebiet östlich der Shanghaiallee ist für die meisten
Hamburger noch ein weißer Fleck auf der Landkarte.

Obwohl über den gegenüberliegenden Autobahnzubringer jeden Tag 140.000 Autos Richtung Elbbrücken vorbeifahren, hat sich in den vergangenen Jahren an diesem Ort eine lebendige und alternative Kunstszene angesiedelt, mit einem eigenen Festival, Galerien und zahlreichen kleinen Ateliers. Erst kürzlich hat die Produktionsfirma Boje Buck die alten Gebäude als Kulisse für den Film „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ ausgewählt. Trotz oder vielleicht auch wegen des Lärms und der leicht heruntergekommenen Industrieromantik hat sich hier ein spannendes Mikro-Viertel etabliert.

Das Areal am Brandshofer Deich ist von der Kulturbehörde als denkmalschutzwürdig erkannt worden. Aber Verhandlungen, die in der Vergangenheit mit dem Besitzer geführt wurden, machten schnell deutlich, dass ihm aufwendige denkmalschützende Maßnahmen finanziell nicht zuzumuten waren. Als das Grundstück schließlich verkauft werden sollte, fand sich unter den Interessenten auch zunächst niemand, der die Gebäude sanieren wollte. Deshalb sieht die städtische Planung für das Areal ursprünglich auch nicht den Erhalt der Gebäude vor. Als im November 2007 nach zehnjährigen Überlegungen der Masterplan zu den Elbbrücken fertig gestellt wird, sind an dieser Stelle Freiflächen und Neubauten vorgesehen. Sie sind Teil einer Gruppe mehrgeschossiger Häuser auf beiden Seiten der Billhorner Brückenstraße, die bewusst mit den Hochhäusern des geplanten Chicago Square der HafenCity in Beziehung stehen und ein modernes „Stadttor Süd-Ost“ bilden sollen.

Die Stadtentwicklungsbehörde wollte mögliche Kaufinteressenten in der Erhaltung der Gebäude oder der Umsetzung eines Kulturkonzepts aber unterstützen. Der Immobilienentwickler Klausmartin Kretschmer, der das Gelände schließlich im Juli 2008 kauft, handelt allerdings auf eigenes Risiko: „Für das Grundstück am Brandshofer Deich gab es mehrere Gebote. Von den ernstzunehmenden Bietern war ich der einzige Interessent, der den Bestand erhalten wollte.“

Kretschmer ist in Hamburg kein unbeschriebenes Blatt. Er ist bekannt dafür, in besondere Immobilien zu investieren. So hat er zum Beispiel vor wenigen Jahren die Rote Flora am Schulterblatt gekauft. Auch die Oberhafenkantine gehört ihm. Deren neuer Wirt Thorsten Gillert hat erst vor wenigen Wochen einem kleinen Publikum die Hamburger Weißwurst präsentiert. Es sei, so Kretschmer, historisch verbürgt, dass die Weißwurst zunächst in Hamburg gegessen wurde, bevor sie in Bayern heimisch geworden sei. Er gilt als Immobilienentwickler, der gerne kulturell vielversprechende Objekte wählt, aber sich auch die Zeit nimmt, ein Projekt ruhen zu lassen, wenn es der Sache dienlich ist. In jedem Fall, so urteilt ein guter Bekannter, hat er „eine Nase für spannende Zukunftsimmobilien“.

Während seine Studenten im Sommer 2008 noch das Entwicklungspotenzial des Brandshofer Deiches untersuchen, hat Professor Fusi erfahren, dass das Areal von Klausmartin Kretschmer gekauft worden ist. Er bringt ihn mit seinen Studenten in Kontakt und macht den angehenden Stadtplanern so erstmals den Besuch der Gebäude möglich. Als Paolo Fusis Studenten ihre Abschluss­arbeiten zum Brandshofer Deich im Juli 2008 vorstellen, gehört deshalb neben Frank Pieter Hesse vom Denkmalschutzamt und der Architektin Mirjana Markovic, die unter anderem bei den Instandsetzungs- und Umbauarbeiten am Maritimen Museum im Kaispeicher B federführend war, auch Kretschmer zu den interessierten Zuhörern.

Kretschmer hat aber auch eigene Pläne für die erworbenen 15.000 Qua-dratmeter Nutzfläche. So hat er Kontakt zu dem Werbemusik-Produzenten John Groves aufgenommen, der hier vielleicht ein Studio zur Förderung jugendlicher Nachwuchsmusiker einrichten möchte. Im Gespräch ist auch die Agentur eventlabs, die unter anderem vor einigen Jahren den Strandkai mit Sanddünen und weißen Iglus bespielt hat. Außerdem will Kretschmer die ansässige Kunstszene auch nach der Sanierung zu vernünftigen Mieten wieder ansiedeln.

Anders als das benachbarte Gebiet der HafenCity fällt der Brandshofer Deich in Rothenburgsort in die planerische Zuständigkeit des Bezirks Hamburg-Mitte. Deshalb hat sich Klausmartin Kretschmer auch mit dem dortigen Bezirksamtsleiter Markus Schreiber verabredet, um seine Ideen und Pläne ausführlich vorzustellen. Für den Bezirksamtsleiter ist Kretschmer kein Unbekannter. Sie haben bereits im Zusammenhang mit der alten Polizeiwache am Dammtor, der späteren Milchbar, miteinander zu tun gehabt, später auch im Zuge der Sanierung der Riverkasematten. „Ich begrüße es,“ erklärt Markus Schreiber, „dass Herr Kretschmer sich am Brandshofer Deich engagiert und das Gebäudeensemble sanieren will. Das ist eine gute Entwicklung. Und wenn dadurch ein Hochhaus weniger entsteht, ist das auch nicht so schlimm.“ Mit Blick auf die HafenCity fügt er hinzu: „Es tut der HafenCity auch gut, wenn zumindest am Rand ältere Gebäude mit Charakter erhalten bleiben.“

Diese Einschätzung wird auch vonHenning Voscherau geteilt, der das Projekt HafenCity vor über zehn Jahren als Hamburger Bürgermeister aus der Taufe hob: „Man muss anhand der Qualität des Chilehauses, anhand der Maßstäbe von Architekten wie Fritz Schumacher oder Fritz Höger fragen, ob Hamburg auch in der HafenCity eine prägende Backsteinarchitektur erhalten sollte. Die Kehrseite der Frage lautet: Will Hamburg stattdessen eine einheitliche Fassadengestaltung durch Glas und Beton wie jetzt überall auf der Welt?“

Auch die HafenCity Hamburg GmbH hat sich längst damit auseinander gesetzt, wie Schnittstellen z. B. nach Rothenburgsort architektonisch und planerisch umgesetzt werden können. So überarbeitet sie gegenwärtig den Masterplan für die östliche HafenCity und hat eine Studie zur sogenannten Kreativwirtschaft erarbeiten lassen. Natürlich pflegt sie auch den Gedankenaustausch mit Professoren der HafenCity Universität wie Paolo Fusi. Einer von dessen vormaligen Assistenten ist heute ein enger Mitarbeiter von Jürgen Bruns-Berentelg.

Unterdessen hat sich Oberbaudirektor Jörn Walter im vergangenen Juni mit Klausmartin Kretschmer getroffen, um dessen Vorstellungen zu einer möglichen Entwicklung des Oberhafengebiets zwischen Oberhafenkantine, der alten Eisenbahnmeisterei und Brandshofer Deich zu besprechen. „Am Ende“, so Kretschmer, „geht es immer auch darum, Immobilien dieser Art im Zusammenspiel mit der Politik zu entwickeln.“
 

Text: Nikolai Antonaidis, Foto: Thomas Hampel

Quartier 04, Dezember 2008–Februar 2009 , Rubrik:    
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