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Der Architekturkommissar

Der Autor und Bauhistoriker Boris Meyn über verfehlte Baupolitik, Verbrechen in Lauenburg und historische Kriminalromane.


Mit Ihrem ersten Roman „Der Tote im Fleet“ hatten Sie auf Anhieb sehr großen Erfolg. Woran lag das?
Da kam mir ein wenig der Zufall zu Hilfe. Petra Oelker hatte damals gerade wahnsinnigen Erfolg mit ihrem ersten historischen Kriminalroman „Tod am Zollhaus“. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine regional agierenden historischen Krimis. Es gab zwar schon die „Eifel-Krimis“ von Jacques Berndorf, aber die sind nicht historisch. Der Boom, den wir heute erleben, den gab es damals noch nicht. Petra Oelker war eine Wegbereiterin. Wir kommen uns aber nicht ins Gehege, denn ihr Schwerpunkt ist die Erzählung und meiner die Vermittlung von Geschichte – und das versuche ich möglichst spannend zu machen. Dazu gehört auch, dass meine historischen Figuren aktiv an der Handlung teilnehmen. Das ist eine Nische, in der mir bislang niemand Konkurrenz macht.

Ihr dritter Roman „Die rote Stadt“ handelt vom Bau der Speicherstadt vor gut 120 Jahren. Mit dem Bau der HafenCity wird wieder ein großes Bauprojekt umgesetzt. Kribbelt es da dem Krimiautoren in den Fingern?

Ja, es kribbelt! In dem Roman habe ich bereits eine Parallele zum Bau der HafenCity hergestellt. Die gleichen Mechanismen, die bereits 1881 beim Zollanschluss abliefen, laufen auch heute wieder ab. Es gibt zwar neue administrative Vorgaben und Spielregeln, aber auch Herr Voscherau und die HHLA haben klammheimlich dafür gesorgt, dass bestimmte Immobilien und Grundstücke rechtzeitig vor Baubeginn der HafenCity in die Hände der Stadt kamen. Solche Machenschaften zu recherchieren, das ist schon Krimi genug.

Würden Sie in die HafenCity ziehen?
Nein, ich bin ein Landmensch. Abgesehen davon, ist es mir da zu kalt und zu zugig. Auch atmosphärisch ist es mir dort zu kalt, weil versucht wird, die HafenCity zu einem reinen Hochglanzprojekt zu machen. Ein Hafen ist einfach eine schmutzige Angelegenheit und der Hamburger Hafen ist ein Tidehafen, hier wird Brackwasser durchgespült. Das kann auch mal unangenehm riechen. Was mir auch fehlt, sind spielende Kinder, die kann ich mir auch in Zukunft dort nicht vorstellen.

Wie empfinden Sie die Speicherstadt im Verhältnis zu Altstadt und HafenCity?
Momentan ist die Speicherstadt für mich wie ein Puffer. Ein Puffer zwischen der eigentlichen reinen Arbeitsstadt, die sich entlang des ursprünglich Ost-West-Straße genannten Straßenzuges befand und dem jetzigen Areal, das vorher funktionale, aber dann brachliegende Fläche war und wo jetzt ein Teil der HafenCity entsteht. Ich sehe sie wie eine Art Riegel, aber die Transparenz zwischen den Lücken lässt hier und da mal etwas Glas, Holz oder Edelstahl durchschimmern. Das sind die Materialien, mit denen auf beiden Seiten der Speicherstadt gebaut wird und dieser Trend wird sich weiter durchsetzen. Ich hoffe nur, dass sich diese Investitionsbereitschaft, sowohl der Stadt als auch der privaten Investoren, auch in anderen Regionen entlang des Elbstromes fortsetzt, wie zum Beispiel in Rothenburgsort. Das ist ein Quartier, das eine Verbesserung der Infrastruktur sehr gut gebrauchen könnte. Der Aufwand, der jetzt mit dem Bau der U4 in der HafenCity betrieben wird, den würde ich mir auch für die Veddel oder Wilhelmsburg wünschen.

Sie engagieren sich in einem Arbeitskreis zur Zukunft des Katharinenviertels. Warum liegt Ihnen das Katharinenviertel am Herzen?
Was ich schade finde, ist die Tatsache, dass in Hamburg viel alte Bausubstanz verschwindet. Mit „alt“ meine ich nicht unbedingt schön, sondern alt im Sinne eines Denkmals. Häuser, die an den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern, das waren Provisorien, einfache, wenig prätentiöse Bauten, die einfach nur funktionieren sollten. Jetzt habe ich mit Entsetzen festgestellt, dass die Schule an der Katharinenkirche abgerissen werden soll. Das ist für mich ein Baudenkmal, weil es der Prototyp eines Schulbaus ist. Ein viergeschossiger Kreuzbau, mit dem es der damalige Baudirektor Paul Seitz vorbildlich geschafft hat, das Problem der Schulraumnot in Hamburg zu lösen. Das klassische Beispiel eines Denkmals, das

Meine düstere Prognose lautet, dass es bald keinen
Backstein mehr in Hamburg geben wird.

daran erinnert, was Hamburg einmal wichtig war. Hier hätte man Mut zeigen und die Schule renovieren sollen. Stattdessen wird sie abgerissen, um privaten Investoren kostbaren Grund zur Verfügung zu stellen. Ich befürchte dort die Entstehung eines Neubaus, der die Sichtachse der Katharinenkirche von der Willy-Brandt-Straße aus verdecken wird. Das ist ein starker städtebaulicher Eingriff. Ähnliches ist auch beim Michel passiert. Wenn man aus Richtung Millerntorplatz die Ludwig-Erhard-Straße entlang fährt, kann man den Michel nicht mehr sehen. Stattdessen blickt man auf ein Bürogebäude, das dort im Legostil erbaut wurde. Das sind kapitale Fehler, die Oberbaudirektor und Stadtentwicklungsbehörde zu verantworten haben und die meiner Meinung nach unverzeihlich sind. In dem Arbeitskreis wird versucht, Wege in die Politik zu finden und mit den zuständigen Behörden in Dialog zu treten.

Wie erleben Sie die Umwandlung der Speicherstadt vom reinen Lagerhauskomplex zum vielfältig genutzten modernen Geschäftshausareal?
Es ist schon erstaunlich, was sich in der Speicherstadt alles verändert hat. Ende der 70er Jahre hat ein befreundeter Fotograf versucht, in der Speicherstadt sein Fotoatelier einzurichten. Das wurde vom Denkmalschutzamt und den zuständigen Behörden rigoros abgelehnt. Er hat es natürlich trotzdem gemacht. Jetzt arbeiten hier viele Fotografen. Heutzutage, nur wenige Jahrzehnte später, sind solche Studios völlig normal geworden. Der Umgang mit eingetragenen Kulturdenkmälern wird ganz anders gehandhabt. Es arbeiten nur noch relativ wenig Teppich- und Gewürzhändler in der Speicherstadt, es gibt viele Museen und sogar Restaurants in den Speichern. Das Einzige, was wirklich gleich geblieben ist, sind die goldfarbenen Lettern auf den Backsteinflächen.

Wie empfinden Sie den momentanen Bauboom in Hamburg?
Ich sehe es sehr kritisch, dass viele Bauvorhaben nur sehr kurzfristig, nach ihrer Rendite beurteilt werden. Dabei spielt es oftmals gar keine Rolle, ob die Räume auch vermietet werden können. Es sind ja keine kleinen Bauten, sie sind oft achtgeschossig und höher.

Leider findet momentan auch eine enorme Verdichtung statt. Jede Baulücke wird zugebaut. Dadurch geht viel Wohnqualität verloren. Ich habe den Eindruck, dass alles, was nicht repräsentativ ist und dem momentanen Zeitgeist entspricht, abgerissen wird.

Darüber hinaus vergessen viele Architekten, dass Hamburg sehr wohl eine Stadt des Backsteins ist. Egal, wohin man guckt, ob in die Altstadt, in die Neustadt oder auch in die Randregionen: Der Backstein verschwindet immer mehr. Was wir heute dort sehen, ist kein Backstein, sondern eine 10 bis 15 Zentimeter starke Isolierschicht aus Kunststoff-Verblend-imitat. Noch weiß man nicht, wie sich dieses Material durch Witterungseinflüsse verändern wird.

Warum haben Sie mit dem Ermittlertrio „Sonntag, Herbst und Jensen“ die Handlung Ihrer Krimis in die Gegenwart verlegt?
Ich möchte gern jedes Jahr ein Buch auf den Markt bringen, das schaffe ich mit den historischen Romanen nicht, der Rechercheaufwand ist zu groß. Außerdem ist gerade das Lauenburgische eine kriminalistische Ödnis. Da gibt es auch keinen Tatort-Kommissar. Ich mache das auch, um der Konkurrenz von 8.000 Taschenbuch-Neuerscheinungen pro Jahr etwas entgegenzusetzen. So kann ich bei der „normalen“ Krimi-Belletristik auch ein Wörtchen mitreden.

Woran arbeiten Sie gerade?
Momentan arbeite ich gemeinsam mit Professor Herman Hipp an der Neuauflage seines erstmalig 1989 erschienenen Hamburger Kulturführers, der 2010 herauskommt. In dem Buch werden wir versuchen, das Wesen eines Bautypus oder einer baugeschichtlichen Entwicklung darzustellen. Es wird ein umfassendes Werk, in dem alle wichtigen Architekten und Bauten aufgeführt sein werden. Seither fahre ich Hamburgs Straßen ab, um wichtige Bauwerke zu fotografieren. Den Plan, mit meinen historischen Krimis die Baugeschichte Hamburgs bis in die Gegenwart hinein darzustellen, habe ich natürlich nicht aufgegeben. Aber für meine Krimis fehlt mir momentan die Zeit.


 

BORIS MEYN
Der Krimiautor Boris Meyn, geboren 1961, studierte in Hamburg Kunst- und Bauhistorie und promovierte 1998 über „Die Entwicklungsgeschichte des Hamburger Schulbaus“. Sein Werk umfasst fünf historische Hamburg-Krimis in der Reihe „Comissarius Bischop“, drei Romane in der Reihe „Sonntag, Herbst und Jensen“ sowie den Roman „Die Bilder-jäger“. Daneben hat er zahlreiche wissenschaftliche Fachpublikationen veröffentlicht. Er ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt im Herzogtum Lauenburg.

 
 
 
 
HISTORISCHE HAMBURG KRIMIS


Die Schattenflotte (2008)

Hamburg 1902: Als sein Ziehsohn David in einen Totschlag verwickelt wird, muss der unkonventionelle Anwalt Sören Bischop sich erneut als Detektiv betätigen. Das Opfer war ein jüdischer Emigrant. Als Sören einen Zeugen aufsuchen will, findet er nicht nur eine Leiche vor, sondern im Gepäck des Toten eine Mappe mit höchst verdächtigen Dokumenten…
 
256 S., Rowohlt, 8,95 Euro, ISBN 978-3-499-24705-7

 
 
 


Der blaue Tod (2006)

Ein Kind wird gesucht, ein Kind, das es nie geben durfte. Anwalt Sören Bischop wird eingeschaltet, denn zur Polizei will seine Mandantin nicht. Im Sommer 1892 verfolgt Sören alle Spuren, und er gerät tief in die Abgründe einer Stadt, die so rasant wächst wie das Elend ihrer Ärmsten. Immobilienhaie und Arbeitsvermittler bestimmen über das Leben in den lichtlosen Quartieren, Brutstätten einer Gefahr, die alle bedroht…
 
224 S., Rowohlt, 8,95 Euro, ISBN 978-3-499-23894-9

 
 

Die rote Stadt (2003)

Hamburg 1886: Im Hafen wächst ein riesiger Komplex heran, ein Jahrhundertwerk, die rote Stadt. Die Wirtschaft blüht, und für ihre Bauprojekte ist den Hamburger Kaufleuten nichts zu teuer. Pech, dass bei der festlichen Eröffnung eine Leiche auftaucht. Commissarius Bischop ist mittlerweile
in den Ruhestand gegangen, doch es gibt ja noch Filius Sören…
 
270 S., Rowohlt, 8,95 Euro, ISBN 978-3-499-23407-1

 
 
 

Der eiserne Wal (2002)

Hamburg 1862: Der Hafenausbau entzweit die Bürger, schließlich geht es um viel Geld. Ein Mord ruft schließlich Commissarius Bischop auf den Plan. Er weiß nicht, dass auch Sohn Sören bei den Werften herumstreunert und sich dabei in höchste Gefahr begibt.
 
255 S., Rowohlt, 8,95 Euro, ISBN 978-3-499-23195-7

 
 
 
 

Der Tote im Fleet (2000)

Hamburg 1847: Eines Nachts wird ein unbekannter toter Mann aus dem Fleet gezogen. Die einzige Spur: zwei Ziegelsteine im Gehrock des Toten. Commissarius Bischop stößt auf höchst verdächtige Machenschaften in der Hamburger Politik nach dem großen Brand des Jahres 1842.
 
284 S., Rowohlt, 7,90 Euro, ISBN 978-3-499-22707-3

 
 
 
 


 

Text: Petra Schreiber, Fotos: Thomas Hampel

Quartier 05, März–Mai 2009 , Rubrik:    
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