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Der Weg an die Spitze

Nach vierzig Jahren zieht der Spiegel-Verlag um. Seine neue Zentrale, entworfen von dem Dänen Henning Larsen, wird auf der Ericusspitze stehen. Am Eingang zur HafenCity.


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An der Ericusspitze, gegenüber des östlichsten Zipfels der Speicherstadt, soll der zentrale Eingang zur HafenCity aus Richtung Innenstadt entstehen. Hier ist vor wenigen Monaten mit dem Bau eines neuen Gebäudekomplexes begonnen worden, in den Anfang 2011 der Spiegel-Verlag einziehen wird. Das über sechzig Meter hohe Bauwerk wird also nicht nur architektonisch, sondern auch journalistisch ganz große Bedeutung haben.

Der Spiegel hatte schon immer eine Vorliebe für besondere Gebäude. Nach seiner Gründung bewohnte die Redaktion fast fünf Jahre das Anzeiger-Hochhaus in Hannover. Entworfen vom Hamburger Architekten Fritz Höger, war dieser Klinkerbau mit zwölf Meter hoher grüner Dachkuppel eines der ersten Hochhäuser in Deutschland und gilt heute als Wahrzeichen der Stadt Hannover. Von dort zog der Verlag 1952 ins Pressehaus nach Hamburg, einem wuchtigen Klinkerblock im Kontorhausviertel, der nach dem Krieg nicht nur dem Spiegel, sondern auch dem Stern als Sitz diente und heute noch die Redaktionsräume der Zeit beherbergt.

Ein großer Betonklotz

Schließlich hatte der Spiegel genug vom norddeutschen Klinkerklassizismus. Der Verlag entschied, ein neues, modernes Gebäude zu beziehen. Im Auftrag des Immobilienunternehmens Robert Vogel GmbH wurde die neue Spiegel-Zentrale an der Brandstwiete von Werner Kallmorgen entworfen, der in Hamburg ohne Zweifel als einer der bedeutendsten Architekten der Nachkriegszeit gelten kann. Wurde er über die Hansestadt hinaus größtenteils wegen des Wiederaufbaus zerstörter Theater und Opern bekannt, so hat er in Hamburg weithin sichtbare Spuren hinterlassen. Neben Einzelbauten wie dem Ernst-Barlach-Haus hat Kallmorgen sich besonders durch den Wiederaufbau der Speicherstadt verewigt. Hier tragen beispielsweise das Freihafenamt in Block R (1952/53), aber vor allem der Kaispeicher A (1962/66), der gerade für viel Geld zur Elbphilharmonie umgebaut wird, seine Handschrift.

Henning Larsen ist nicht der erste Däne,
der beim Spiegel Eindruck hinterließ.

Im Auftrag der Robert Vogel GmbH entwarf Kallmorgen zunächst das IBM-Hochhaus und anschließend die neue Zentrale für den Spiegel, der das historische Kontorhaus am Dovenhof weichen musste. Was heute bei Hamburger Tageslicht für den Architektur-Laien wie ein unspektakulärer großer grauer Betonklotz aussieht, galt 1969 als topmodern. Während das Spiegel-Gebäude, das der Verlag in diesem Jahr bezog, als nüchterner, heller Glasturm entworfen wurde, war die Fassade des IBM-Hochhauses in jener Frühphase des Computerzeitalters von einer Lochkarte inspiriert. Hollerith-Lochkarten werden zwar heute landläufig nicht mehr mit Modernität und Fortschritt assoziiert, waren aber seinerzeit geradezu futuristisch.

Prominenter Standort: Die ehemalige Ericusbastion (rechts) am Oberhafen gegenüber der Deichtorhallen.

Prominenter Standort: Die ehemalige Ericusbastion (rechts) am Oberhafen gegenüber der Deichtorhallen. (2)

Das ursprüngliche Innendesign der Spiegel-Zentrale ist Legende, auch wenn es, inzwischen unter Denkmalschutz gestellt, allein in der Kantine überlebt hat. Dort aber ist es in voller psychedelischer Pracht erhalten geblieben. Der dänische Architekt und Designer Verner Panton wurde beauftragt, ein Gebäudeinnenleben zu schaffen, das modische Trends überdauern könnte. Obwohl inzwischen die meisten Zeugnisse der Original-Innengestaltung im Hauptgebäude verschwunden sind, lässt das Design der Kantine erahnen, dass Panton bei der Wahl seiner gestalterischen und farblichen Mittel nicht schüchtern war.

Seit 1969 hat sich das Gesicht des Spiegel stark verändert. Aus einem Verlag, der ein politisches Nachrichtenmagazin veröffentlicht, ist ein Multimedia-Konzern geworden. Neben dem Spiegel erscheinen heute unter anderem das Manager Magazin und Spiegel Spezial. 1988 ging erstmals Spiegel TV auf Sendung. Seit 1994 ist das Nachrichtenmagazin auch online. Das „Sturmgeschütz der Demokratie“, wie Rudolf Augstein seinen Verlag liebevoll nannte, ist heute ein Konzern mit etwa 350 Millionen Euro Umsatz und 1.300 Mitarbeitern, die sich in verschiedenen Unternehmensbereichen an einem halben Dutzend Standorten über die gesamte Innenstadt verteilen.

Um seine Mitarbeiter in einem einzigen Haus zu bündeln, hat der Verlag bereits Anfang der Neunziger Jahre darüber nachgedacht, sein Hochhaus zu verlassen und in ein neues Verlagshaus nahe des Michel umzuziehen. Aufgrund heftiger Proteste von Anwohnern und Kirchengemeinde wurde von Bürgermeister Henning Voscherau schließlich ein alternatives Grundstück an den Deichtorhallen ins Gespräch gebracht. Nachdem der Baubeginn bereits ins Auge gefasst worden war, entschied sich der Spiegel aber überraschend gegen die Investition in eine eigene Immobilie. Stattdessen nahm er die Möglichkeit wahr, das frei werdende IBM-Hochhaus nebenan zusätzlich von der Robert Vogel GmbH anzumieten. „Für uns unerwartet kam ein Angebot unseres Vermieters“, sagt der damalige Verlagsgeschäftsführer Karl Dietrich Seikel, inzwischen Medienkoordinator der Stadt Hamburg. „Materiell war das Angebot so, dass man es nicht ablehnen konnte.“

Die Spiegel-Insel

Inzwischen reicht auch das IBM-Haus nicht mehr aus. Außerdem sind beide Gebäude auf der sogenannten Spiegel-Insel sanierungsbedürftig, und der Mietvertrag läuft in naher Zukunft aus. Die Verlagsleitung hat sich also wieder nach neuen Standorten umgesehen, darunter an den Landungsbrücken und in der HafenCity. Auch aus Berlin wurde vorsichtig angefragt, ob man sich einen Umzug in die Hauptstadt vorstellen könnte. Anfang 2007 entscheiden sich die Gesellschafter der Spiegel-Gruppe, an die attraktive Ericusspitze zu ziehen, an den Eingang zur HafenCity. An dieser Stelle endet die Kulturmeile, die sich am östlichen Wallring entlang bis zu den Deichtorhallen erstreckt. Hier befindet sich auch der nördliche Endpunkt des Lohseparks und der östliche Endpunkt der Speicherstadt. Der Standort, an dem sich Innenstadt, Speicherstadt und HafenCity treffen, ist auf drei Seiten von Wasser umgeben. Also wieder eine Spiegel-Insel.

Es ist in Hamburg seit Jahren üblich, stadteigene Grundstücke ohne Ausschreibung direkt zu verkaufen, wenn Unternehmen etwa aufgrund ihrer Arbeitsplätze oder auch aus steuerlichen Gründen in der Stadt gehalten werden sollen. Voraussetzung dafür ist die Einstufung als Wirtschaftsförderungsfall. Das Unternehmen muss das Grundstück dafür nicht selbst kaufen. Es reicht aus, wenn es sich langfristig bindet, etwa durch einen Mietvertrag über fünfzehn Jahre. Außerdem müssen mindestens die Hälfte der Mitarbeiter das zukünftige Gebäude auch beziehen. Auf dem Gebiet des „Sondervermögens Stadt und Hafen“, auf dem sich die Ericusspitze befindet, ist die HafenCity Hamburg GmbH erster Ansprechpartner, wenn es um die Bewerbung um Grundstücke geht. So konnten bereits SAP, Kühne+Nagel, Pantaenius, die Garbe-Gruppe, der Germanische Lloyd und Unilever in der HafenCity angesiedelt werden. 2007 wird auch der Spiegel als Wirtschaftsförderungsfall bewertet und kann sich so das Gelände an der Ericusspitze sichern. Neuer Vermieter des Spiegel-Verlags in der HafenCity wird – die Robert Vogel GmbH.

In den Sechzigern topmodern: Die Spiegelinsel mit dem ehemaligen IBM-Hochhaus (links), Spiegelgebäude (rechts) und Kantine.

In den Sechzigern topmodern: Die Spiegelinsel mit dem ehemaligen IBM-Hochhaus (links), Spiegelgebäude (rechts) und Kantine. (3)

Der Spiegel-Verlag entscheidet wie schon vor zehn Jahren, flexibel zu bleiben und weiterhin Flächen anzumieten, anstatt in eine eigene Immobilie zu investieren. Er schreibt einen Investorenwettbewerb aus, an dem neben den üblichen Immobilienentwicklern, Versicherungskonzernen und Investorengruppen natürlich auch die Robert Vogel GmbH teilnimmt. In der Kombination aus baulichen, technischen und finanziellen Vorgaben des Verlags kann am Ende allein sein langjähriger Vermieter bestehen. Die Robert Vogel GmbH verkauft schließlich mit Wirksamkeit zum Jahresende 2007 für 209 Millionen Euro elf Büroimmobilien in Hamburg und München an die IVG Immobilien AG, darunter das ehemalige IBM-Hochhaus und das Spiegel-Gebäude samt Kantine, und schafft sich so eine ausreichend großes Finanzpolster für das geplante 180-Millionen-Euro-Projekt an der Ericusspitze. Auf diese Weise ist der Spiegel heute das erste Mal seit vierzig Jahren bis zu seine Umzug in die HafenCity nicht mehr Mieter der Robert Vogel GmbH, sondern der ehemals staatlichen IVG.

Henning Larsen

Im Herbst 2007 wird auch der Architekt ausgewählt, der der neuen Zentrale Form und Gesicht geben soll. Nachdem in einem ersten Durchlauf drei Bewerber als erste Preisträger nominiert werden, kann sich am Ende Henning Larsen aus Kopenhagen durchsetzen. Als junger Mann war Larsen in Sydney Assistent von Jørn Utzon, jenem dänischen Architekten, der die Oper von Sydney entwarf, deren Baukosten sich zuletzt vervierzehnfachten und die dann mit acht Jahren Verspätung eröffnet wurde. Nachdem Utzon Australien wegen öffentlicher Anfeindungen praktisch über Nacht verließ und sein Jahrhundertwerk von anderen zu Ende bauen lassen musste, setzte Larsen seine Karriere als Architekt und Designer fort und erlangte spätestens durch den Bau des Außenministeriums in Riad (1979/84) große internationale Beachtung. Über die Jahre entwickelte er einige Expertise im Nahen Osten. So wurde er in jüngster Vergangenheit mit dem Masterplan für den neuen Finanzdistrikt von Riad beauftragt, dem größten Bauprojekt der arabischen Halbinsel.

In Deutschland hat Larsen unter anderem für den millionenschweren Unternehmer Reinhold Würth über der Altstadt von Schwäbisch Hall die „Kunsthalle Würth“ errichtet. Häufig wird mit ihm auch der Bau der Oper von Kopenhagen in Verbindung gebracht, die er 2005 für einen weiteren Forbes-Spitzenreiter und reichsten Mann Dänemarks, den neunzigjährigen Mærsk McKinney Møller, realisierte. Dieser hatte im Hafengebiet von Kopenhagen gegenüber des dänischen Königsschlosses die Insel Dokø gekauft und, ohne sich lange mit Ausschreibungen herumzuschlagen, Larsen direkt mit dem Bau der umstrittenen Oper beauftragt. Larsen verließ zwar nicht wie Utzon das Land, erweckte aber später den Eindruck, als hätte er es gerne getan.

Danish Dynamite

Larsen ist nicht der einzige Däne, der in Hamburg bleibende Eindrücke hinterlässt. Im Frühjahr des vergangenen Jahres organisierten der Dänische Exportrat und der dänische Architektenverband im Museum

Als erster privater Bauherr erwirbt die Robert Vogel GmbH das Umweltzeichen der HafenCity Hamburg GmbH in Gold: (v.l.) Jens Nietner (Robert Vogel GmbH und Co. KG), Jürgen Bruns-Berentelg (HafenCity Hamburg GmbH), Ferdinand Räthling (Spiegel-Verlag), Giselher Schulz-Berndt (HafenCity Hamburg GmbH).

Als erster privater Bauherr erwirbt die Robert Vogel GmbH das Umweltzeichen der HafenCity Hamburg GmbH in Gold: (v.l.) Jens Nietner (Robert Vogel GmbH und Co. KG), Jürgen Bruns-Berentelg (HafenCity Hamburg GmbH), Ferdinand Räthling (Spiegel-Verlag), Giselher Schulz-Berndt (HafenCity Hamburg GmbH). (4)

für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung für Hamburger Investoren und Behörden, die sich hier über Angebot und Arbeit dänischer Architekten informieren konnten. Zu diesem Anlass sind einige der führenden Architektenbüros Dänemarks nach Hamburg gekommen, darunter 3XN, das im vergangenen Jahr den Zuschlag für den Bau des neuen Hauptgebäudes der Deutschen Bahn in Berlin, den Cube, gewonnen hat; Schmidt Hammer Lassen, von denen der Entwurf für die Gestaltung des Domplatzes stammt; Arkitema, die mit dem Architekturbüro GRS Reimer Architekten in Hamburg arbeiten; Dissing + Weitling, die das IBM-Center in der Hamburger City Nord gebaut haben; und natürlich Larsen, der im Museum seinen Ericus-Entwurf präsentierte. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um zwei große trapezförmige Glasgebäude, die auf einem sturmflutsicheren Backstein­sockel stehen und sich in ihrem Grundriss der alles andere als rechtwinkligen Ericusspitze anpassen. Durch diese Konstruktion aus Glas auf Backstein wird absichtlich die Elbphilharmonie am westlichen Ende der HafenCity zitiert, aber auch die gegenüberliegende Speicherstadt und das Deichtorgebäude angesprochen. Das zweite, kleinere Gebäude, das sogenannte Ericus-Contor, das Teil des Entwurfs ist, wird nicht vom Spiegel genutzt. Zumindest gibt es dahingehend keine Pläne, wenngleich dem Spiegel ein Vormietrecht auf dortige Mietflächen eingeräumt wurde.

Vielfach kommentiert wurde die zurück versetzte, offene Fassade. Häufig wird sie als Monitor, als eine Art riesiger Fernseher verstanden, wenn auch nicht gerade als Flatscreen. In Broschüren und Projektübersichten wird sie auch gern als Fenster beschrieben, das sich einladend dem Stadtleben hin öffnet. In den Worten von Henning Larsen ist es eigentlich weniger ein Fernseher, sondern scheint vielmehr inspiriert durch traditionellere Elemente wie weißes Papier, Segel und Licht. Nicht unoriginell für einen Zeitschriftenverlag am Wasser.

Gefährdete Spezies

Der Spiegel ist seit Jahren aktiv bemüht, seine Betriebsabläufe umweltbewusst zu halten. Wer kritisch über Umweltschutz schreibt, kann schließlich nicht gleichzeitig Einweg-Plastikbecher am Wasserspender aufstellen. An das neue Gebäude werden daher auch strenge Anforderungen hinsichtlich ökologischer Nachhaltigkeit gestellt. Zielsetzung ist ein Haus mit einem Gesamtenergiebedarf von nicht mehr als 100 kW/h. Zum Vergleich: Moderne Bürohäuser verbrauchen durchschnittlich 190 kW/h, ältere Gebäude sogar 400 kW/h. Abgesehen von dem zugrunde liegenden Umweltbewusstsein können durch nachhaltiges Bauen bei den aktuellen Energiepreisen auch bedeutende Einsparungen erreicht werden. Nachhaltigkeit betrifft aber neben dem Energieverbrauch auch den Umgang etwa mit öffentlichen Freiflächen, mit Baumaterialien und einem gesunden Arbeitsumfeld. Man hat sogar schon gehört, langfristig reduziere sich die Anzahl der Krankmeldungen von Mitarbeitern.

Das Sturmgeschütz der Demokratie ist heute ein
Multimedia-Konzern mit 350 Millionen Euro Jahresumsatz.

Das Thema erfreut sich inzwischen zunehmender Bedeutung. Während der Immobilienmesse Expo Real im Oktober 2008 gehörte es zu den Schwerpunkten. Mehrere Hamburger Projekte präsentierten sich hier als Musterbeispiele für Energieeffizienz, darunter das neue Spiegel-Gebäude, die Deutschland-Zentrale von Unilever und die neue Grundschule in der HafenCity. Bereits 2007 hat die HafenCity Hamburg GmbH ein Zertifizierungsverfahren entwickelt, das Bauherren mit einem Umweltzeichen in Gold oder Silber auszeichnet. Die Robert Vogel GmbH hat im vergangenen Dezember als erster privater Bauherr das Umweltzeichen in Gold erhalten.

Inzwischen ist der Grundstein für die neue Spiegel-Zentrale gelegt, das Öko-Siegel verliehen, der Bauplatz planiert. Bis Ende 2010 ist also zum Umzug eigentlich alles gesagt. Nur wer ganz dringend noch ein Thema sucht, stößt auf eine letzte Sache: Die Ericusspitze war bisher ein Rückzugsraum für gefährdete Spezies. Nicht etwa Journalisten. Auch nicht Caravan-Urlauber, die hier bis vor kurzem einen Stellplatz hatten. Was wenige wissen: An den östlichen Kaimauern lebte bisher eine kleine Ansiedlung des Braunstieligen Streifenfarns. Er muss nun weichen. Mehr gibt es aber wirklich nicht zu sagen.
 

Text: Nikolai Antoniadis, (1) Visualisierung: Henning Larsen, Fotos: (2)-(4) Thomas Hampel

Quartier 05, März–Mai 2009 , Rubrik: ,    
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