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Hamburg die Treue gehalten

Der globale Musikmarkt ist verhältnismäßig übersichtlich. Vier internationale Großkonzerne teilen sich etwa 75 Prozent des Marktes. Einer dieser Big Four hat einen Ableger in der Hamburger Speicherstadt: die Warner Music Group Germany.


Gnarls Barkley trugen Warner nicht zu Grabe, sondern verhalfen ihrem Label nur durch Downloads zu einem Nummer 1-Hit in den Single-Charts. (1)

Gnarls Barkley trugen Warner nicht zu Grabe, sondern verhalfen ihrem Label nur durch Downloads zu einem Nummer 1-Hit in den Single-Charts. (1)

Vor wenigen Jahren sah man den Untergang der klassischen Musikindustrie bereits nahen. Nachdem die Digitalisierung von Musik den Plattenfirmen zuerst Rekordumsätze bescherte, hat sie anschließend fast zu ihrem Ruin geführt. Inzwischen hat sich die zwar Lage entspannt. Das Gesicht der Plattenfirmen hat sich aber in den vergangenen Jahren stark verändert.

Die Gebrüder Warner blickten auf eine wechselvolle Laufbahn zurück, als ihnen 1918 mit „My Four Years in Germany“ ein erster Filmerfolg gelang. Davon beflügelt, zogen sie zunächst in ein kleines Nest namens Hollywood, von dort wenig später nach Burbank, und gründeten 1923 ihr gemeinsames Unternehmen, das sie schlicht Warner Brothers Pictures nannten.

Deutschland ist heute der viertgrößte
Tonträgermarkt der Welt.

Von den Studios der Warner-Brüder in Kalifornien bis zur Warner Music Group in Hamburg liegt allerdings noch ein weiter Weg. Die Wurzeln der Warner Music Group, kurz: WMG, liegen in der Gründung von Warner Bros. Records als Teil der Filmstudios im Jahr 1958. Die weitere Geschichte führt vierzig Jahre durch ein Gewirr aus Übernahmen, Umfirmierungen und Neugründungen wie Warner Brothers Seven Arts, über die Kinney National Company, Warner Communications, Time Warner und AOL Time Warner. 2004 wird Warner Music schließlich an eine Investorengruppe um Edgar Bronfman Jr. verkauft.

Wenn mit dem Namen Bronfman etwas assoziiert wird, dann ist es in der Regel die kanadische Spirituosenfirma Seagram. Nachdem Großvater Samuel Bronfman dank der Prohibition in den USA zu einigem Wohlstand gelangte, folgten ihm sein Sohn und sein Enkel als Präsidenten von Seagram. In dieser Eigenschaft ist Edgar Bronfman Jr. im Jahr 2000 auch verantwortlich für die Gründung von Vivendi Universal, zu dem unter anderem die weltrößte Plattenfirma Universal Music gehört. Zwei Jahre später sorgte der Konzern für einiges Stirnrunzeln, als er den astronomischen Verlust von 23 Milliarden Euro einfuhr.

Kurz darauf kauft Bronfman die WMG, hinter Universal und Sony BMG und vor EMI auf Platz Drei der Big Four. Anders als der Name vielleicht Glauben macht, ist die Regionaldivision WMG Germany nicht nur für Deutschland, sondern auch für Österreich, die Schweiz und Osteuropa zuständig. Das Unternehmen ist eine feste Größe in Hamburg und hat bislang allen Versuchungen widerstanden, den Standort zu wechseln und beispielsweise an die Spree zu ziehen.

Kurz nach der Jahrtausendwende wurde Berlin zu einer Art Medienmagnet. Universal zog mit 500 Mitarbeitern aus Hamburg nach Berlin. MTV wechselte dorthin, danach VIVA und, nach über dreißig Jahren in Hamburg, auch der Bundesverband Musikindustrie. Die Popkomm fand jetzt nicht mehr in Köln, sondern in Berlin statt, und der Echo, fünf Jahre lang in Hamburg verliehen, wurde 2001 erstmals in Berlin vergeben. Über 600 Plattenlabels und 120 Musikverlage hatten sich in Berlin niedergelassen. Die Berliner Musikindustrie erwirtschaftete etwa zwei Drittel des Branchenumsatzes in Deutschland.

Aus diesem Grund versuchte der Hamburger Senat mit einigem Aufwand, Warner in der Stadt zu halten. Nachdem sich der Spiegel wenige Jahre zuvor dagegen entschieden hatte, vor den Deichtorhallen sein neues Verlagshaus zu bauen, wurde Warner 2000 als Wirtschaftsförderungsfall eingestuft und das Gelände an die WMG vergeben. Als der Mietvertrag unterzeichnet wurde, ging es dem Mutterkonzern glänzend. Aus Warner Communications wurde Time Warner, aus Time Warner wurde AOL Time Warner. Als man ins neue Deichtorcenter von Architekt Hadi Teherani einzog, hatte sich die Lage aber geändert. Die Dotcom-Blase ist gerade mit einem lauten Knall geplatzt. AOL Time Warner strich AOL wieder aus seinem Namen. Bald stand auch der Verkauf der WMG an. Kaum eingezogen, will Warner deshalb schon im Herbst 2003 wieder ausziehen. Da kam es nicht ungelegen, dass Berlin mit kräftigen Investitionszuschüssen lockte.

In Hamburg wurde daher nach günstigeren Alternativen zum Deichtorcenter gesucht, etwa an der Kehrwiederspitze und in der Speicherstadt. Als einen Monat nach dem Kauf der WMG durch Edgar Bronfman entschieden wurde, in Hamburg zu bleiben, ließ Warner verlauten, mitentscheidend sei das ausgesprochen attraktive Angebot der Stadt Hamburg gewesen. Außerdem hat Hamburg natürlich im Vergleich mit Berlin das größere kreative Potenzial.

Sogar Starbucks oder Victoria’s Secret
steigen heute ins Musikgeschäft ein.

Dieses kreative Potenzial kann aber nicht darüber hinweg helfen, dass die vier Major Labels seit Jahren in einer tiefen Krise stecken. In den Neunziger Jahren war ihre wichtigste Einnahmequelle noch der Verkauf von Tonträgern, also in der Regel CDs, die der Branche in Deutschland nach jahrelanger Rezession 1998 sogar zu einem Rekordumsatz von umgerechnet 2,7 Milliarden Euro verhalfen. Aber schon wenig später begannen die Umsätze erst nachzulassen und dann ganz einzubrechen. Schuld an der Misere sind, so klagt die Musikindustrie, kostenlose Tauschbörsen, illegale Downloads und Raubkopien. Dass diese Form von Piraterie sich zu einem echten Problem auswächst, wird erst durch die massenhafte Ausstattung von Haushalten mit Computern, Musik-Handys und MP3-Playern sowie mit Internetzugängen möglich, die immer schneller immer größere Daten laden können. Das World Wide Web wird den Plattenfirmen zum roten Tuch. Hier wächst in rasantem Tempo eine chaotische und unabhängige Online-Community zusammen, die sich ihrer Kontrolle scheinbar völlig entzieht.

Die Bedeutung der großen Social Networks, Videoportale und Musik-Shops im Internet täuscht leicht darüber hinweg, dass sie alle sehr jung sind. Der iTunes Musicstore, im Online-Verkauf mit etwa 80% marktführend, wird erst 2003 ins Leben gerufen. Das Internetradio Last.fm, inzwischen weltgrößtes Musiknetzwerk, ist erst wenige Jahre alt, genauso wie YouTube. MySpace wurde 2004 erfunden und hat keine vier Jahre später über 200 Millionen Nutzer rund um den Globus. Mehr als 5 Millionen Bands haben MySpace-Profile, davon 300.000 aus Deutschland. Wer heute Musikvideos sehen will, schaltet nicht mehr den Fernseher an, sondern sucht bei YouTube. Wer Musik hören will, lädt sie sich aus dem Netz.

Im historischen Speicherblock 5: Die Warner Music Group Germany am Wandrahmsfleet. (2)

Im historischen Speicherblock 5: Die Warner Music Group Germany am Wandrahmsfleet. (2)

Das Internet ist längst ein eigenständiger Absatzmarkt geworden. Wozu braucht man Plattenlabel? Radiohead stellen 2007 ihr neues Album ohne Plattenfirma als Download auf ihre Homepage. Die Arctic Monkeys veröffentlichen ihre erste Single online und spielen in vollen Konzerthallen, bevor sie einen Fuß in eine Plattenfirma setzen. Gnarls Barkley schaffen es allein wegen der Anzahl von Downloads auf Platz 1 der britischen Single-Charts.

Musikunternehmen wie WMG haben aber nicht nur im Internet Konkurrenz. Weil mit dem Verkauf von CDs nicht mehr viel zu verdienen ist, unterschreiben Stars wie Jay-Z beim Konzertveranstalter Live Nation. Paul McCartney hat nach 37 Jahren seine Plattenfirma EMI verlassen und einen Vertrag mit der Kaffeehauskette Starbucks geschlossen. Sogar die Bekleidungskette Victoria’s Secret scheut sich nicht, ins Musikgeschäft einzusteigen. Damenunterwäsche ist natürlich nicht der Wettbewerb, vor dem sich die Plattenbosse fürchten. Die Ursache ihrer rückläufigen Umsätze liegt ihrer Meinung nach vor allem bei illegalen Downloads; der Bundesverband Musikindustrie spricht von 300 Millionen Songs pro Jahr. Internet-Tauschbörsen sind so gut etabliert, dass viele Musikfreunde gar nicht mehr nachsehen, ob sie Musik auch legal umsonst herunterladen könnten. Obwohl die Fans das Radiohead-Album 2007 kostenlos von der Homepage der Band beziehen konnten, haben es doppelt so viele trotzdem illegal im Netz bezogen.

Inzwischen haben die großen Plattenfirmen die Strategie aufgegeben, Videoportale, Tauschbörsen oder auch einfach Schüler und andere Endnutzer zu verklagen. Warner hat 2006 als erstes Major Label eine Vereinbarung mit YouTube geschlossen, um dort offziell Musikvideos zu platzieren. Die Partnerschaft ist zwar nur kurzlebig, weil Warner sich bei der Verteilung der beträchtlichen Werbeeinnahmen benachteiligt fühlte, ist aber im Prinzip tragfähig. Das Internet ist inzwischen nicht mehr das subversive Schreckbild. Die unabhängigen Programmierer, die im virtuellen Niemandsland gewaltige Zivilisationen von Online-Communities geschaffen haben, sind längst für viel Geld von Großkonzernen geschluckt worden: YouTube von Google, Last.fm von CBS, MySpace von Rupert Murdochs News Corporation. Auf dieser Ebene lässt sich anders mit den Big Four verhandeln, die sich mittlerweile auf die neuen Gegebenheiten eingestellt haben.

Man verabschiedet sich vom Geschäftsmodell Plattenfirma und wandelt sich zu einer Art Allround-Unternehmen für Musik, das nicht allein CDs verkauft, sondern ins Geschäft mit Konzerten, Tickets, Online-Shops, Fanartikeln und Klingeltönen einsteigt und seine Musik gegen Lizenz vergibt. Die größte Hoffnung setzen die Major Labels heute auf die Kooperation mit MySpace. In allen diesen Bereichen, vor allem im Konzertmanagement, ist inzwischen mehr Geld zu verdienen als im Tonträgermarkt. Nicht umsonst erklärt der deutsche Warner-Chef Bernd Dopp, der Markt der Zukunft liege bei Konzerten.

Dass Live-Musik wieder in den Vordergrund rückt, ist natürlich erfreulich. Nachdem auch die Plattenfirmen den digitalen Vertrieb nicht mehr bekämpfen, sondern integrieren, ist auch die Verbindung zwischen den Fans, den Musikern und den Großen Vier wieder intakt. Wer allerdings als Erster die neueste Musik hören will, muss sie nicht im Netz suchen. Wenn die Luken am Alten Wandrahm offen sind, kann man sie direkt aus der Warner-Zentrale hören. Legal und kostenlos.
 

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1) Jeremy & Claire Weiss, (2) Heinz-Joachim Hettchen

Quartier 05, März–Mai 2009 , Rubrik:    
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