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Von Schnaken und Menschen

Umringt von den Teppichhändlern der Speicherstadt und den Baukränen der HafenCity hat eine Gruppe von Künstlern am Brooktorkai eine kreative Heimat gefunden.


Lili Fischer inmitten ihrer Installation im Speicherblock V.

Lili Fischer inmitten ihrer Installation im Speicherblock V.

Etwas holprig teilt das Klingelschild am Speicherblock V dem Besucher mit: „Atelier Künstler“. Wer die Treppen bis auf den zweiten Boden erklimmt, den erwartet hinter einer dicken Stahltür allerdings keine Künstlerkolonie in der Tradition von Worpswede: Das Haus am Brooktorkai 11 ist kein Barkenhoff, weil seine Kunst schaffenden Bewohner nicht die Überzeugung zusammen gebracht hat, sondern ein Auswahlverfahren des Vereins Ateliers für die Kunst (AfdK).

Alles begann im Juni 2006: Eine Ausschreibung durch den AfdK versprach mitten in der Speicherstadt auf einer Fläche von 600 Quadratmetern neue Ateliers entstehen zu lassen. In einer Stadt wie Hamburg, in der selbst für unbeheizte Räume in Abbruchhäusern von Künstlern Höchstpreise verlangt werden, ein unwiderstehliches Angebot. Ein Jahr später war der zweite Lagerboden des Speicherblocks V bezugsfertig, und eine der Bewohnerinnen ist seitdem die Zeichnerin Kyung-hwa Choi-Ahoi. Die gebürtige Südkoreanerin erinnert sich noch gut an die Eröffnungsfeier am 26. April 2007 mit Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust und Kultursenatorin Karin von Welck: „Frau von Welck war sehr engagiert in diesem Projekt. Sie war in New York und hat in Soho das Künstlerviertel gesehen. Das fand sie so beeindruckend, dass sie ein zweites Soho in Hamburg wollte.“

„Wir verstehen uns alle gut, lassen uns aber meistens in Ruhe.“

Bevor das Prestigeobjekt der Kulturbehörde seiner Bestimmung übergeben werden konnte, gehörte der Speicher zunächst den Handwerkern. Eine Mieterin, die das Innere des Gebäudes noch in seinem zunächst wenig präsentablen Urzustand gesehen hat, ist die Zeichnerin und Performance-Künstlerin Lili Fischer: „Auf unserer Etage war vorher ein Teppichhändler, und deshalb waren die Räume noch in einem ganz guten Zustand.“

Künstlerinnen und ihre Werke in Speicherblock V: Sonja Weckenmann, Barbara Kathrin Möbius, ..

Künstlerinnen und ihre Werke in Speicherblock V: Sonja Weckenmann, Barbara Kathrin Möbius, ..

Als Besitzer war die Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA) verantwortlich für die Renovierung, und amüsiert erzählt Kunstprofessorin Fischer, die seit 2008 die Besucher mit ihrer Schnaken-Installation in der Kunsthalle begeistert, von den Berührungsängsten zwischen den ungleichen Parteien: „Die HHLA hatte ja keine Erfahrung mit der Vermietung von Ateliers – Teppichhändler ja, aber Künstler? Und sie haben sich natürlich gefragt, was machen die armen Schlucker, wenn sie sich die Miete nicht mehr leisten können?“ Für die elegante Lösung dieses Problems sorgt ein Mäzen. Ein Hamburger Reeder, der Wert auf Anonymität legt, trägt bis zum Jahr 2013 die Hälfte der Mietkosten.

„Wir sind einfach zu unterschiedlich in unseren
künstlerischen Ansätzen und unseren Persönlichkeiten.“

Vielleicht sollten die Bewohner ihren Förderer entlasten, indem sie auf eine Mietminderung wegen Lärms bestehen. Die roten Backsteinmauern des alten Speichers sind dick, aber nicht dick genug, um die Künstlergemeinschaft von der Großbaustelle HafenCity abzuschirmen. Die Künstler wussten zwar vor ihrem Einzug, was sie erwarten würde, aber die Realität holte sie trotzdem ein: „Wie es sich entwickelt hat, war nicht vorstellbar. Vor meinem Fenster entsteht gerade das Gebäude für den Germanischen Lloyd. Ich hatte vorher einen wunderbar freien Blick und viel Himmel, und jetzt sind wir bei ungefähr acht Stockwerken angelangt“, erzählt die Malerin Corinna Altenhof.

.. Erdmute Prautzsch, Claudia Stapelfeld, ..

.. Erdmute Prautzsch, Claudia Stapelfeld, ..

Das Schlimmste ist aber überstanden. Im vergangenen Jahr wurden über Monate Stahlstützen ins Erdreich getrieben. Obwohl sich die Porträtmalerin Claudia Stapelfeld mit ihrem Kollegen Peter Boué ein Atelier auf der ruhigeren Fleet­seite teilt, hat auch sie noch lebhafte Erinnerungen an die „Dampframme“. Das permanente Wummern verursachte zahlreiche Risse in der Fassade und in den Nervenkostümen der Kreativen. An einen Auszug hat die Künstlerin aber nie gedacht: „An dieser Traum-Adresse ein Atelier zu haben, das ist schon was“.

.. und Corinna Altenhof

.. und Corinna Altenhof

Über das Dachgeschoss der Pathologie des Barmbeker Krankenhauses und ein Atelier in einem leer stehenden Haus gelangte Kathrin Möbius in die Speicherstadt. Während sich ihre Kollegen mit ihren Ateliers vergrößert haben, muss sie mit weniger Platz auskommen: „Ich bin kleinformatiger geworden als ich eingezogen bin“, erzählt die selbst ernannte Menschenmalerin. Der Wunsch nach Großformaten ist aber spontan der einzige Grund, der Möbius einfällt, warum sie die Künstlergemeinschaft wieder verlassen würde. Trocken beschreibt die in Hamburg geborene Künstlerin das Verhältnis zwischen den Bewohnern: „Wir verstehen uns alle gut, lassen uns aber meistens in Ruhe. “

Erdmute Prautzsch teilt mit ihrer Kollegin nicht nur die Leidenschaft für die Malerei, sondern auch für das unkomplizierte Nebeneinander. Als große Gruppe kämen die Bewohner nur selten zusammen, deshalb gäbe es nicht viele gemeinsame Entscheidungen zu treffen: „Für eine Ausstellung wird natürlich darüber diskutiert, was man als Einladungskarte, was man als Titel macht. Weil wir ein so zusammengewürfelter Haufen sind, sind die Vorstellungen recht unterschiedlich, aber am Ende wird halt abgestimmt“, erklärt Prautzsch das basis­demokratische Modell, und die Zeichnerin Sonja Weckenmann liefert schließlich die Erklärung, warum der Geist von Worpswede nicht Einzug in die Speicherstadt gehalten hat: „Wir sind einfach zu unterschiedlich in unseren künstlerischen Ansätzen und unseren Persönlichkeiten.“

Mindestens zweimal im Jahr präsentieren sich die Künstler dann doch als Gemeinschaft: Als „Ateliers in der Speicherstadt“ gehörte man 2008 erstmals zu den Stationen beim „Tag der Kunstmeile“ und mit der so genannten „Gotham City“ haben die Bewohner des Speichers einen Tag des offenen Ateliers etabliert. Maler Nikos Valsamakis, der sich mit seiner Ehefrau Kyung-hwa Choi-Ahoi einen Raum teilt, erklärt die eher zufällige Entstehung der Aktion: „Wir haben 2008 nach genau einem Jahr unseren gemeinsamen Einzug gefeiert, und das hat dann eine Eigendynamik entwickelt“. Für die Dynamik sorgen begeisterte Besucher: Die Ateliers verwandeln sich für einen Tag im April in eine Galerie, in denen nicht nur die unterschiedlichsten Werke, sondern auch ihre Erschaffer hautnah betrachtet werden können.

In der urbanen Umgebung der HafenCity wollen die Bewohner des Speicherblocks V mit „Gotham City“ ein Zeichen setzen: „Wir sind hier“, ruft Kyung-hwa Choi-Ahoi den noch etwas leblosen Neubauten auf der anderen Straßenseite zu und fügt hinzu: „Künstler spielen in jedem Viertel eine wichtige Rolle. Wenn wir Kultur verbreiten, verbessert sich die Stimmung, und es baut sich etwas auf“. Wesentlich radikaler sieht Lili Fischer die Mission der Kreativen. „Ich gehe zur Elbe, rieche das Wasser und mir kommen ganz viele Ideen, wie ich den Ort erfassen würde. Man ist aber total blockiert, weil man so einen richtigen Betongeschmack im Mund hat“. Sprach’s und kündigt mit der natürlichen Autorität einer Kunstprofessorin den „Architektenstreichen“ den Kampf an. Was sie heute an ihrem Atelier im historischen Backsteinspeicher schätzt, war allerdings seinerzeit auch nicht gerade als Kulturzentrum vorgesehen. Die HafenCity hat in dieser Beziehung auf jeden Fall einen besseren Start.

Text: Marco Lambrecht, Fotos: Thomas Hampel

Quartier 06, Juni–August 2009 , Rubrik:    
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