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Auf dem Prüfstand

Der Germanische Lloyd zieht im Frühjahr 2010 in die HafenCity. Das 142 Jahre alte Unternehmen ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt, dabei prüft und berät, zertifiziert und klassifiziert es in aller Welt.

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Das Logo gibt Rätsel auf: Zwei Schlangen ranken sich um einen Stab, an dessen oberen Ende Flügel sind. Davor liegt quer ein Anker, und im Hintergrund geht die Sonne über dem Meer auf. Germanischer Lloyd (GL) steht über allem. Das könnte eine Schiffsversicherung sein oder aber auch eine Reederei. So genau wissen das nur Wenige, denn in der breiten Öffentlichkeit ist das traditionsreiche Unternehmen kaum bekannt. Die gängigste Erklärung war lange Zeit, es sei der Schiffs-TÜV. Darunter konnte sich jeder etwas vorstellen. „Schreiben Sie ja nicht Schiffs-TÜV“, sagt Dr. Olaf Mager eindringlich. Er ist Pressesprecher des Unternehmens und blickt von seinem Büro in der neunten Etage am Vorsetzen über die Hamburger Innenstadt. Dabei machen die Klassifizierung von Schiffsneubauten sowie die Überprüfung fahrender Schiffe immer noch einen bedeutenden Teil des Geschäfts aus. Doch das Unternehmen hat sich gewandelt, wie sich jedes Großunternehmen in den letzten zehn Jahren aufgrund äußerer Bedingungen anpassen musste. Während bei den meisten Firmen die Digitalisierung Ursache und Wirkung der Veränderung ist, liegt es bei GL an der Energie. Öl ist nicht unbegrenzt vorhanden und wird darum immer teurer. Der Treibstoff für Schiffe hinterlässt schädliche Emissionen, und erneuerbare Energien haben das Stadium der Erprobungsphase inzwischen verlassen. Die Frage ist: Wie werden Schiffe morgen angetrieben, wie stoßen sie weniger Abgase in die Umwelt? Wie stillen aufstrebende Industrienationen ihren Energiehunger, und wie können Sonne, Wasser und Wind fossile Brennstoffe als primäre Energielieferanten ablösen? Lauter Fragen, die man sich seit einiger Zeit beim GL stellt.

Bei Autos weiß man, was mit Cabrio, Limousine oder Kombi gemeint ist. Vergleichbares gibt es auch bei Schiffen, nur eben viel komplexer.


Dazu braucht man Querdenker, interdisziplinäre Teams mit Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen. Bislang war in dem Unternehmen alles strikt getrennt. Zum Teil auch wegen der räumlichen Gegebenheiten. Die rund 1.500 Mitarbeiter in Hamburg sind auf sieben Gebäude in Hafennähe verteilt. Der Umzug in die HafenCity soll das ändern. In einem internationalen Architektenwettbewerb konnte sich das Hamburger Büro Gerkan Marg und Partner (GMP) durchsetzen. Am Brooktorkai entstehen aktuell 40.000 Quadratmeter für den GL. Sie werden nach dem „Open Space“-Prinzip eingerichtet. Alle Arbeitsplätze befinden sich an der Fensterseite. Der Innenraum ist mit Treffpunkten, Stehkonferenztischen, Sitzecken und Küchen belegt. Abgeschlossene Büros gibt es nicht mehr. Ein großzügiges, lichtdurchflutetes Atrium soll das Bild eines weltoffenen und transparenten Unternehmens verdeutlichen. Bezogen werden die neuen Räume im Februar 2010. Die Möbelpacker kommen an den Wochenenden, um den laufenden Betrieb so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, denn GL ist ein 24/7 Unternehmen. Das heißt, Betrieb an 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Irgendwo ist immer Geschäftszeit. Rund 6.700 Mitarbeiter in 80 Ländern sind an 200 Standorten tätig. Nur noch ein knappes Drittel der Angestellten hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Es ist ein globaler Konzern, an dem auch die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht spurlos vorbei gegangen ist. Frachtmengen im Containerverkehr sind dramatisch eingebrochen, Reeder lassen ihre Schiffe langsamer fahren, um Treibstoff zu sparen, und an Neubauten denkt keiner. Gründe, die zum Umdenken geführt haben. Heute berät, prüft, zertifiziert, plant und überwacht der GL Gaspipelines, Ölbohrplattformen und Windparks im offenen Meer und testet weitere Einsparmöglichkeiten von Treibstoff auf Frachtschiffen. Der GL ist heute ein technischer Prüf- und Beratungskonzern, eine Formulierung, die Olaf Mager besser gefällt.

Am Brooktorkai entsteht die neue Zentrale des Germanischen Lloyd in der HafenCity (links). Auch Offshore-Anlagen werden vom GL betreut (rechts). (2,3)

Am Brooktorkai entsteht die neue Zentrale des Germanischen Lloyd in der HafenCity (links). Auch Offshore-Anlagen werden vom GL betreut (rechts). (2,3)

Seinen geschäftlichen Schwerpunkt ändert man aber nicht am Konferenztisch. Eine solche Entschdeidung muss mit Leben gefüllt werden, und der GL hat in den vergangenen drei Jahren elf Unternehmen übernommen, um sich weiteres Know-how einzukaufen. Darunter waren Helimax in Kanada (Beratung für Windenergie), Friendship Systems in Deutschland (Hydrodynamische Schiffsoptimierung) und Noble Denton in Großbritannien (Dienstleister der Öl- und Gasindustrie). Jüngster Zugang war im August 2009 Garrad Hassan, ein britisches Beratungsunternehmen für erneuerbare Energien. „Wind­energie ist weltweit zu einer der größten Wachstumsbranchen aufgerückt. Sie steht am Ende des Anfangs – die Pionierzeit ist vorbei“, stellte Pekka Paasivaara fest. Als eines von drei Vorstandsmitgliedern ist der Finne Paasivaara beim GL für die Industriedienste verantwortlich.
300 Mitarbeiter, größtenteils Ingenieure, bringen ihr Wissen von Garrad Hassan mit ein. Bei Noble Denton waren es 900 Mitarbeiter. Der GL wächst und verändert sich. „Mit der Fusion reagieren wir auf den Bedarf unserer Kunden: Betreiber, Finanzierer und Versicherer von Energieanlagen sehen sich zunehmend großen technischen, betrieblichen und umweltrelevanten Herausforderungen bei ihren Explorationsvorhaben gegenüber. Wir können nun unseren Kunden technische Beratungs- und Projektmanagementdienste aus einer Hand und vor Ort anbieten und werden zu einem führenden globalen Partner in der Öl- und Gasbranche wie auch bei den erneuerbaren Energien“, sagt Pekka Passivaara.
Wer einen Windpark im Meer plant, muss vorher wissen, wie Strömung, Salzwasser, Eis und Gewitter der Anlage zusetzen können. Ein Blitzschlag mit anschließendem Brand würde die Investition ruinieren. GL arbeitet an entsprechenden Schutzmaßnahmen und bietet ein Überwachungssystem für entlegene Windkrafträder an. Gleichzeitig forscht GL auf diesem Gebiet. „Wir schauen zum Beispiel, was es heißt, die Flügel der Windräder horizontal statt vertikal zu montieren“, sagt Mager. Das sähe dann aus wie stehende Hubschrauber, hätte aber den Vorteil, dass weniger Belastung auf das Fundament, die Flügel und auch das Getriebe einwirken würde.
Das Tochterunternehmen Friendship Systems aus Potsdam forscht am optimierten Schiff der Zukunft. Häufig wird dort zu viel Energie verbraucht. In einer Analyse untersuchen die Forscher, ob alle Aggregate wirklich auf Volllast laufen müssen. In der Regel lassen sich 70 Prozent der Pumpleistung an Bord einsparen. Auch die Form des Wulstbugs, mit der die Bugwelle erzeugt wird, ist von entscheidender Bedeutung. Ist ein Schiff für 25 Knoten ausgelegt, fährt aber durchschnittlich nur 18 Knoten, erzeugt das Wellenbild einen höheren Widerstand, der wiederum zu mehr Kraftstoffverbrauch führt. Der Bug muss also dem Durchschnittstempo und der Ladung angepasst werden. Mager schätzt, dass auf diese Weise vier bis fünf Prozent Kraftstoffeinsparung möglich sind. Bei einem Containerschiff, das in der Regel über 25 Jahre lang 260 Tage im Jahr fährt, sind das jährlich 1.470 Tonnen Schweröl.
Zusammen mit der TU Hamburg-Harburg hat der GL Tests auf Frachtschiffen durchgeführt und dabei angenommen, man würde die Container-Stapel auf einem Schiff mit einer festen Plastikfolie abdecken, um Luftverwirbelungen zwischen den Metallboxen zu vermeiden. Die Ergebnisse waren eindeutig: Der Luftwiderstand konnte um bis zu 66 Prozent gesenkt werden. „Ein tolles Ergebnis“, sagt Mager, „doch über die Realisierbarkeit sagt das noch nichts.“ Den Einsparungen beim Treibstoff stehen Anschaffungskosten, längere Liegezeiten beim Be- und Entladen sowie höhere Personalkosten für das Anbringen der Schutzfolie gegenüber. Doch je stärker der Ölpreis steigt, desto eher sind Reeder bereit, in Sparmaßnahmen zu investieren. Der GL denkt auch über alternative Antriebsformen nach. Gas, Brennstoffzellen und ein atomarer Antrieb sind Möglichkeiten.
Die GL-Experten werden auch bei Havariefällen gerufen. Ist ein Schiff verunglückt, muss vor der Bergung berechnet werden, wie man das Schiff wieder flott bekommt. Dazu müssen die Informationen zwischen Reeder, Küstenwache, Behörden, Kapitän und Versicherung koordiniert werden. Als „Pathologen des Schadens“ beschreibt Mager diese Experten. Das bezieht sich auch auf die regelmäßigen Materialtests an Schiffen und Industrieanlagen. Wer sich mit Materialien auskennt, versteht auch etwas von Schall. Auf Yachten und Kreuzfahrtschiffen untersuchen die Experten die Ausbreitung von unerwünschten Geräuschen und dämmen diese ein.

Auch die Cap San Diego, hier im Dock bei Blohm+Voss, „machte Klasse“ mit dem GL und kann seither wieder ohne Sondergenehmigung in See stechen.

Auch die Cap San Diego, hier im Dock bei Blohm+Voss, „machte Klasse“ mit dem GL und kann seither wieder ohne Sondergenehmigung in See stechen. (4)

Doch auch die ursprüngliche GL-Tätigkeit soll nicht unerwähnt bleiben. Unter Schiffsklassifizierung kann man sich wenig vorstellen. Bei einem Auto weiß man, was mit Cabrio, Limousine und Kombi gemeint ist. Vergleichbares gibt es auch bei Schiffen, nur eben viel komplexer. Wenn eine Werft einen Neubau beginnt, muss sie sich für eine Klasse und damit für die Regeln einer Klassifizierungsgesellschaft entscheiden. Der GL ist weltweit das fünftgrößte Unternehmen seiner Art. Vor jedem Bau werden den GL-Experten 1.500 bis 2.000 Detailzeichnungen des Schiffs vorgelegt. Sie werfen einen genauen Blick darauf: Sind die Wandstärken richtig berechnet, wie ist die Lastaufnahme kalkuliert, welche hydromechanischen Effekte müssen bedacht werden? Die Werft erhält dann einen elektronischen Prüfbericht mit allen Anmerkungen. Ist das Schiff fertig, kommt eine zwei- bis dreitägige Abnahmefahrt auf See. Das größte Schiff, das der GL jemals klassifiziert hat, war mit 366 Metern Länge und 51,2 Metern Breite die MSC Daniela. Das Containerschiff wurde Ende vergangenen Jahres auf einer koreanischen Werft im Auftrag der Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC) gebaut, es kann zeitgleich bis zu 13.800 Standardcontainer transportieren. „Auf so ein Schiff wirken enorme Kräfte“, sagt Mager, „Das kann man nur mit hochfesten Stahlsorten und besonderen Versteifungselementen bauen. Hierbei wurden erstmals Aufbauten über Deck und der Maschinenraum von einander getrennt. Dadurch verkürzt sich die Antriebswelle.“
Hat ein Schiff die Werft endgültig verlassen, erfolgt ein Wechsel der Auftraggeber. Nun muss die Reederei eine Gesellschaft für den Klassenlauf beauftragen, denn alle fünf Jahre steht eine technische Prüfung an. Daher stammt der Vergleich mit dem TÜV. Für insgesamt 130 Staaten, unter deren Flagge Schiffe fahren, übernimmt der GL sogar hoheitliche Aufgaben. „Dann überprüft unser Besichtiger in einem koreanischen Hafen, ob die Bestimmungen von Liberia bei dem betroffenen Schiff eingehalten werden“, erklärt Mager. Ohne die Dienstleistung eines Klassifizierers könnten die Flaggenstaaten bei den weltweit eingesetzten Frachtschiffen ihre Regelungen überhaupt nicht überprüfen. Aber auch der IMO, der International Maritime Organization, steht der GL bei der Umsetzung von Sicherheitsstandards in der Schifffahrt beratend zu Seite.
Der Germanische Lloyd vereint also Ingenieurs-Wissen und Projekt-Know-how unter einem Dach. Bei so vielen Experten wird das Unternehmen den eigenen Umzug zwischen den beiden Häusern, die nur wenige hundert Meter auseinander liegen, selbst organisieren. Oder etwa nicht? „Nein, das machen wir nicht selbst“, wehrt Mager die Vermutung ab. „Dazu haben wir eine Beratungsfirma engagiert.“ Man muss eben wissen, was man kann und was nicht.


Der Germanische LLoyd (GL)


wurde 1867 in Hamburg gegründet und zog ein Jahr später nach Rostock. Die nächste Station war Berlin. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Unternehmen zurück an die Elbe. Heute sitzen die 1.500 Mitarbeiter der Zentrale verteilt auf sieben Gebäude zwischen Landungsbrücken und Baumwall. In 80 Ländern beschäftigt das technische Prüf- und Beratungsunternehmen insgesamt 6.700 Mitarbeiter. Den Wandel zum offenen, internationalen Unternehmen mit neuer Aufstellung soll das neue Gebäude in der HafenCity dokumentieren. Bis zu 1.800 Mitarbeiter finden ab Frühjahr 2010 am nordöstlichen Rand der HafenCity gegenüber dem Internationalen Maritimen Museum Platz. Der GL erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 544 Millionen Euro (ein Plus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Über 6.500 Schiffe mit insgesamt 81 Millionen Tonnen Ladungskapazität werden im laufenden Betrieb vom GL betreut. Besonders stark wächst der Bereich für die Öl- und Gasindustrie, wobei ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt in den erneuerbaren Energien liegt.


Text: Dirk Kunde, Fotos: (1) Thomas Hampel), (2) (3) Germanischer Lloyd, (4) Thomas Hampel
Quartier 07, September–November 2009 , Rubrik:    
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