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Bye-bye Beifang

Das Internationale WWF-Zentrum für Meeresschutz setzt sich aktiv für die ein, die keine Stimme haben: Fische und Meerestiere, die durch Überfischung vom Aussterben bedroht sind.

Eine Aktion des WWF gegen den Beifang: Jährlich ertrinken nach Expertenschätzung etwa 300.000 Wale, Delphine und Tümmler als ungewollter Beifang in Netzen. (1)

Eine Aktion des WWF gegen den Beifang: Jährlich ertrinken nach Expertenschätzung etwa 300.000 Wale, Delphine und Tümmler als ungewollter Beifang in Netzen. (1)

Wenn Alfred Schumm aus seinem Bürofenster schaut, kann er den Passagieren auf den Balkonen der Luxuskabinen von Queen Mary 2 und anderen Kreuzfahrern beim Sonnenbaden zuschauen. Wahrlich, ein absolut privilegierter Arbeitsplatz, um den ihn viele Hamburger – von Binnenländern ganz zu schweigen – beneiden dürften. Schumm ist der Leiter des Fachbereichs Meere & Küsten im World Wide Fund for Nature Deutschland, und sein Schreibtisch steht im zweiten Stock eines alten Speichers mit Blick auf den Kreuzfahrtterminal der HafenCity. Der gebürtige Stuttgarter genießt das maritime Flair Hamburgs jede Sekunde, so scheint es. Seine Liebe zum Meer erwachte mit 14, als er auf einer Klassenfahrt nach St. Peter-Ording die einzigartige Wattlandschaft kennenlernte. „Ein Schlüsselerlebnis für mich“, sagt er heute. Später studierte er Biologie und Umwelttechnik in Freiburg und München und näherte sich mit einem Forschungsprojekt über Fledermäuse dem Naturschutz. Im Jahr 1993 ging er im Rahmen eines EU-Projektes für drei Jahre nach Riga an die Ostsee. Es folgten sieben Jahre in Stralsund, wo er die WWF-Außenstelle leitete, bevor er den Fachbereich Meere & Küsten übernahm, der 2006 von Bremen nach Hamburg umzog.

Nun sitzt Alfred Schumm also zusammen mit knapp 20 Mitarbeitern im Internationalen WWF-Zentrum für Meeresschutz an der Hongkongstraße 7. In Sachen Meeresfischerei tragen die Hamburger für die weltweit agierende Naturschutzorganisation sogar globale Programm-Verantwortung. Dagegen sind die regionalen Probleme sozusagen kleine Fische: Die ständigen Begehrlichkeiten der Ölmultis nach Ausweitung der Förderung im Nationalpark Wattenmeer beispielsweise. Nach der kürzlichen Aufnahme des Wattenmeers in die UNESCO-Weltnaturerbe-Liste appellierte der WWF: „Wir erwarten von Politik und Industrie, allen voran der Ölindustrie, dass sie die Anerkennung des Weltnaturerbes respektieren und auf jeden Bergbau im Wattenmeer verzichtet“.

„Deutsche Behörden verstehen sich nicht als Dienstleister. An Planungen werden wir erst beteiligt, wenn es gesetzlich vorgeschrieben ist.“ A. Schumm


Ein weiteres regionales Problem stellt die andauernde Diskussion um die Errichtung neuer Windparks vor den deutschen Küsten dar. „Es ist ein Problem des Wo und Wieviel“, sagt Schumm. „Deutsche Behörden verstehen sich leider nicht als Dienstleister. An den Planungen werden wir erst beteiligt, wenn es gesetzlich vorgeschrieben ist. Dann aber sind die Grundsatzentscheidungen schon längst gefallen und Veränderungen nur noch schwer möglich. In Skandinavien ist man da viel weiter.“

Kleine Fische, wie gesagt. Die großen werden (noch) global gefangen. Die Fischereikapazitäten sind viel zu groß. Modernste Technik zerstört die Lebensräume vieler Arten und spürt mit ausgefeilter Hochtechologie, teilweise sogar per Hubschrauber, auch den letzten Fischschwarm auf. Mit Schleppnetzen wird heute der Meeresboden bis zu einer Tiefe von rund 2.000 Metern durchpflügt. Erst dadurch hat der Mensch überhaupt von der Existenz der Kaltwasserkoralle erfahren: Immer mehr Bruchstücke dieser biologisch höchst wertvollen Unterwasserlandschaft finden sich in den Fischernetzen. Informations­kampagnen und Lobbyarbeit für den Naturschutz sind hier nach Ansicht der WWF-Aktivisten dringend geboten, zumal die Fischereipolitik der zuständigen EU-Kommission laut Schumm „eine einzige Katastrophe“ darstellt.

Oben: Netze voll mit Kaiserbarsch. Vor Neuseeland und Australien sind die Bestände bereits zusammengebrochen. Dort darf dieser Fisch nicht mehr gefangen werden. Unten: Andere Fische oder Tiere, wie hier eine Lederschildkröte, gehen oft als sogenannter Beifang ungewollt ins Netz. Beifang wird häufig mehr tot als lebendig wieder über Bord geworfen. (3,4)

Oben: Netze voll mit Kaiserbarsch. Vor Neuseeland und Australien sind die Bestände bereits zusammengebrochen. Dort darf dieser Fisch nicht mehr gefangen werden. Unten: Andere Fische oder Tiere, wie hier eine Lederschildkröte, gehen oft als sogenannter Beifang ungewollt ins Netz. Beifang wird häufig mehr tot als lebendig wieder über Bord geworfen. (3,4)

Der überwiegend durch Spenden finanzierte WWF freilich verlegt sich nicht aufs Jammern und findet gelegentlich sogar bemerkenswerte und exotische Bündnispartner. So haben WWF und der Lebensmittelmulti Unilever gemeinsam die inzwischen in der Branche sehr erfolgreiche Organisation MSC (Marine Stewardship Council) angeschoben, die ein Gütesie­gel für nachhaltigen Fischfang vergibt. Kriterien für nachhaltige Fischerei sind zum Beispiel die Reduzierung von Beifängen, die generelle Vermeidung von Überfischung sowie die Schonung der natürlichen Lebensräume. Und manchmal können auch kleine Veränderungen Großes bewirken. So sorgt heute beispielsweise ein neu entwickelter Angelhaken in der Langleinenfischerei in Indonesien dafür, dass nicht mehr so viele Meeresschildkröten anbeißen können, um anschließend elendig zu ertrinken.

Zu tun gibt es freilich noch eine Menge in Sachen Natur- und Meeresschutz, das wissen die Hamburger WWF-Aktivisten. In diesem Sommer wird ihr jetzt schon internationaler Mitarbeiterstab in Hamburg weiter aufgestockt, wahrscheinlich durch einen Amerikaner und eine Russin. Der grandiose Blick über die HafenCity dürfte jedoch schon bald der Vergangenheit angehören. Denn rund um die 1907 im Stile der alten Speicher erbaute ehemalige „Unterstation Freihafen“ der Hamburgischen Electricitäts-Werke sind weitere Bauten ge­plant, die den Weitblick schon bald verstellen werden. Und da die bisherigen Räumlichkeiten an der Hongkongstraße bereits aus allen Nähten zu platzen drohen, will sich Schumm um eine neue Bleibe bemühen. Eines scheint aber schon jetzt klar zu sein, so der Hamburger WWF-Chef: „Wir wollen auf jeden Fall im Quartier bleiben.“

Text: Michael Hertel, Fotos: (1) Klaus Behnisch, (2) WWF, (3) Australian Fisheries Management Authority, (4) Helene Petit
Quartier 07, September–November 2009 , Rubrik:    
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