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Literatur am Fluss

Hamburg hat ein neues Festival. Das Harbour Front Literaturfestival orientiert sich inter­national, Genre übergreifend und vor allem an der Elbe.

Der Hafenrand wird zur Bühne für ein „Fest des Buches“: Zwischen HafenCity, Speicherstadt und Reeperbahn lesen deutsche und internationale Autoren aus ihren neuen Werken. (1)

Der Hafenrand wird zur Bühne für ein „Fest des Buches“: Zwischen HafenCity, Speicherstadt und Reeperbahn lesen deutsche und internationale Autoren aus ihren neuen Werken.

Zwei Monate lang hat Heinz Lehmann das Hamburger Elbufer auf- und abgesucht. Mit dem Fahrrad, mit dem Auto oder zu Fuß. Schließlich hat er zwei Dutzend außergewöhnliche Orte gefunden, an denen ein außer- gewöhnliches Ereignis stattfinden wird. An elf Tagen im September werden Hafen und Elb­ufer zur Bühne für ein neues Festival. Das Harbour Front Literaturfestival. Im Haus des Hauptsponsors, der Klaus-Michael Kühne Stiftung am Großen Grasbrook in der HafenCity, sprechen zwei der drei Veranstalter, Peter Lohmann und Nikolaus Hansen, über die Bestseller von morgen, das Schicksal von Büchern und den Kölner Dom.

Herr Lohmann, Sie haben eigens die Geschäftsführung bei den S. Fischer Verlagen aufgegeben, um sich der Vorbereitung des Harbour Front Festivals zu widmen. Wie sind Sie darauf gekommen, in Hamburg ein Literaturfestival auf die Beine zu stellen?
Peter Lohmann: Die Idee ist uns gemeinsam im Verlagsbüro von Nikolaus Hansen gekommen, das damals noch im Haus der Sloman-Reederei lag. Wir blickten über die Speicherstadt und dachten: „Warum findet in diesem wunderbaren. pulsierenden, kraftvollen Hafen mit seiner Vielzahl an Sprachen, Religionen, Kulturen und Kulturgütern – warum findet hier eigentlich kein Literaturfest statt? Ein Literaturfestival, das andere Städte wie Köln oder Leipzig längst haben?“ Wir haben uns dann zusammen gesetzt und uns ausgemalt, wie das aussehen könnte.

Haben Sie von Beginn an bestimmte Orte oder besondere Themen im Auge gehabt?
Nikolaus Hansen: Nein, das haben wir nach und nach entwickelt. Wir sind zwar lange befreundet, aber als Verleger haben wir völlig unterschiedliche Vorlieben. Deshalb wollten wir kein Festival, das nur Hochliteratur oder nur Unterhaltung bietet, sondern alles gemischt.

„Ein Festival, das Städte wie Köln oder Leipzig längst haben.“


Wie haben Sie aus der Menge an Veröffentlichungen eine Auswahl getroffen?
Peter Lohmann: Wir haben auf der Frankfurter Buchmesse und dann in Leipzig mit Verlagen gesprochen. Die meisten haben wir auch noch persönlich besucht, so dass wir Anfang diesen Jahres einen recht guten Überblick über die Produktionen des Herbstes 2009 hatten.
Was für Autoren sind dabei: Viele Newcomer oder eher alte Bekannte?
Peter Lohmann: Ein Festival lebt davon, dass es vom ersten bis zum letzten Tag spannend ist. Die Dramaturgie besteht deshalb darin, den Lesern einerseits bekannte Autoren zu präsentieren. Zum anderen haben wir aber auch Autoren eingeladen, die eher unbekannt sind. Aus dieser Mischung entsteht die Spannung des Festivals. Die Hamburger sollen Lust aufs Entdecken bekommen.

Und wer sind die Stars von morgen?
Nikolaus Hansen: Das ist eine spannende Sache. Wir haben dafür eigens den sogenannten Debütanten-Salon eingerichtet. Auf zwei Veranstaltungen stellen dort jeweils drei bis vier Autoren, die völlig oder fast völlig unbekannt sind, ihre Werke vor. Diese Autoren werden aber erst unmittelbar vor dem Festival bekannt gegeben.

Sind das nebenberufliche Autoren? Oder kann man heute davon leben, ein Buch zu schreiben?
Nikolaus Hansen: Vielleicht, wenn man genügend Preise und Stipendien gewinnt. Aber im Ernst: Während der Arbeit an seinem ersten Buch kann ein Autor in der Regel natürlich noch nicht davon leben.

Kaufen die Deutschen überhaupt noch Bücher? Oder teilen Bücher das Schicksal von Vinyl: Eine kleine Gruppe von Nostalgikern liest hin und wieder auch mal ein Buch, aber die meisten suchen eigentlich nach bequemeren oder moderneren Formen von Literaturvermittlung.
Peter Lohmann: Die „Weltbühne“ hat in den zwanziger Jahren behauptet, etwa acht Prozent der Bevölkerung läsen regelmäßig Belletristik. Diese Zahl hat sich bis heute nicht stark verändert.
Nikolaus Hansen: Der Buchmarkt hat sich in den letzten 20, 25 Jahren eher kontinuierlich nach oben entwickelt. Man muss aber auch sagen, dass ein gekauftes Buch kein gelesenes Buch ist. Bücher werden zum großen Teil verschenkt. Wenn alle Bücher immer ihrem eigentlichen Bestimmungszweck zugeführt würden, dann hätten wir alle bis zum Ende des Jahrtausends zu tun.
Peter Lohmann: Manche Bücher werden aber auch zwei- oder dreimal gelesen.

Ernst Kahls Festivalplakat: Ein kugelrunder Hamburger vor einem Buch voll unbeschriebener Blätter.

Ernst Kahls Festivalplakat: Ein kugelrunder Hamburger vor einem Buch voll unbeschriebener Blätter.

Lesen ist ja eigentlich etwas, das die meisten Menschen in aller Regel für sich allein tun. Wie bedeutend ist es, Leser und Autoren persönlich zusammen zu bringen?
Nikolaus Hansen: Es ist eine Illusion, dass sich Lesen darauf beschränkt, allein mit einem Buch zu sein. Literatur entwickelt im Grunde genommen erst durch das Gespräch über sie ihre ganze Kraft für den Leser. Deswegen liest man Feuilletons. Deswegen reden Menschen über Bücher. Deswegen sind auch Talkshows wie das Literarische Quartett so erfolgreich gewesen. Es ist eine Form mitzubekommen, wie man intelligent über Bücher reden kann. Das ist vielen ein großes Bedürfnis.
Peter Lohmann: Das Alleinsein mit dem Buch ist ein bisschen dem gemeinsamen Erlebnis gewichen. Das hängt auch damit zusammen, dass die gesamte Szenerie, die Autoren und auch der Veranstaltungstyp in der Frage des Entertainments sehr viel professioneller geworden sind. Das hat sich nicht nur bei vielen Festivals gezeigt, sondern auch jetzt beim Vorverkauf für das Harbour Front Literaturfestival. Die Veranstaltungsform der Lesung, der Unterhaltung mit Autor, Schauspieler und Moderator, also das Gespräch auf der Bühne, bekommt etwas Fernsehartiges und ist eine beliebte Art der Unterhaltung geworden.

Kann man die Autoren auch neben den Lesungen etwas besser kennenlernen?
Peter Lohmann: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dass sich Autoren und Zuhörer treffen, entweder nach einer Veranstaltung oder aber auf der Cap San Diego. Dort in der Bar ist der allabendliche Treffpunkt des Festivals. Wir hoffen, dass sich viele Autoren, viele Übersetzer und Schauspieler dort nach den Veranstaltungen zu einem Bier treffen. Die Bar der Cap San Diego ist für jeden geöffnet. Es soll Festivalatmosphäre entstehen, in der das Publikum nicht nur Zuschauer und Konsument ist, sondern Teil des Festivals wird. Dazu soll die Bar auf der Cap San Diego beitragen. Vielleicht kann man dort also auch seinem Lieblingsautor begegnen.

Gibt es ein paar große Namen, auf die Sie gesetzt haben?
Peter Lohmann: Werfen Sie einen Blick auf unseren Veranstaltungskalender! Dort finden Sie Elke Heidenreich und François Lelord. Cornelia Funke. Richard David Precht.
Nikolaus Hansen: Wir haben Siegfried Lenz.
Peter Lohmann: Und Martin Sonneborn. Haben wir jemanden vergessen?
Nikolaus Hansen: Uwe Timm.
Peter Lohmann: Helmuth Karasek.
Nikolaus Hansen: Daniel Kehlmann. Håkan Nesser. Sebastian Fitzek.

[die Aufzählung wird noch etwa fünf Minuten fortgeführt]

Was sind heute die großen Themen Ihrer Autoren?
Peter Lohmann: Die großen Themen der Literatur bleiben: Liebe. Verlust. Vater-Sohn-Konflikt. Mutter-Tochter-Konflikt. Anders geschrieben als vor 20 Jahren. Aber es sind dieselben Themen.
Nikolaus Hansen: Heute wird anders erzählt, radikaler, ungemütlicher. Da ist die Tendenz.

Woran liegt das?
Peter Lohmann: Die Werte der Menschen verändern sich. Begrifflichkeiten wie beispielsweise Treue, Ehe oder Liebe haben in den letzten 20 Jahren unterschiedliche Entwicklungen gemacht. Und die spiegeln sich natürlich auch in der Literatur wider.
Auch das Verständnis von Lesen und Literatur hat sich stark verändert. Neben der klassischen Form des Buchs gibt es zum Beispiel anspruchsvolle Graphic Novels. Das wäre vor zehn Jahren nicht als Literatur durchgegangen. Es gibt sogar SMS-Prosa-Wettbewerbe …
Nikolaus Hansen: Unser Schwerpunkt liegt auf Autoren. Und die meisten schreiben nun einmal Bücher.
Peter Lohmann: Das liegt nicht daran, dass wir stockkonservativ sind und alle anderen Möglichkeiten von Literaturverbreitung irgendwie blöd finden. Das liegt einfach daran, dass das Buch nach wie vor die Form ist, die am meisten gebraucht wird, wenn man lesen will.

„Anders geschrieben als früher, aber es sind dieselben Themen.“


Was unterscheidet das Harbour Front Festival von anderen literarischen Großereignissen in Köln, in Leipzig oder Frankfurt?
Peter Lohmann: Köln hat einen Dom, und wir haben einen Hafen. So. Köln ist Köln, und Hamburg ist Hamburg. Köln hat eine etwas andere Handschrift, im Konzept sind sie aber ähnlich. Sie waren die ersten und haben bewiesen, dass es funktioniert. Wir sind Debütanten. Das ist ein Unterschied. Aber in der Grundkonzeption sehe ich keine großen Unterschiede.
Nikolaus Hansen: Ehrlich gesagt, gibt es auch gar keine Notwendigkeit, ein Festival gegenüber einem anderen besonders zu profilieren. Festivals finden an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit statt. Menschen reisen nicht um die halbe Welt, um zu einem Festival zu gelangen und dann zu sagen: „Oh, das ist aber blöder als woanders.“ Die meisten unserer Zuschauer leben hier in der Umgebung. Die haben keine andere Wahl (lacht).
Peter Lohmann: In Hamburg wird natürlich auch anders gefeiert als in Köln. Ich glaube, dass die Hamburger viel besser sind als ihr Ruf. Wir werden uns alle wundern, wie offen die Hamburger sind und wie gerne sie Literaturfestivals haben.

Haben allen Grund zur Freude: Heinz Lehmann (links), Nikolaus Hansen (Mitte) und Peter Lohmann (rechts) haben ein neues Highlight am Hamburger Festivalhimmel etabliert.

Haben allen Grund zur Freude: Heinz Lehmann (links), Nikolaus Hansen (Mitte) und Peter Lohmann (rechts) haben ein neues Highlight am Hamburger Festivalhimmel etabliert.

Haben auch Verlage Literaturfestivals gerne?
Nikolaus Hansen: Für Verlage hat ein Literaturfestival große Bedeutung. Wir haben uns darauf konzentriert, dass ein großer Teil des Programms Neuerscheinungen des Herbstes sind und dass diese Autoren präsentiert werden. Das ist für Verlage sehr interessant. Außerdem fällt auf August und September die Zeit, in der Verlage ihre Autoren nach Deutschland holen und Lesereisen zusammenstellen. Dadurch ist es für uns leichter gewesen, attraktive Autoren einzuladen, die wir uns sonst nicht hätten leisten können, weil sie zum Beispiel aus Australien anreisen müssen.
Peter Lohmann: Der Zeitpunkt hat aber auch damit zu tun, was sonst noch in Hamburg los ist. Hier jagen sich ja die Festivals. Wir mussten uns also früh mit der Kulturbehörde zusammensetzen, um ein geeignetes Datum zu finden, irgendwann zwischen Subvision und Filmfest.

Was passiert im September 2010?
Peter Lohmann: Literaturfestival in Hamburg.
Nikolaus Hansen: Harbour Front 2!

Größer? Besser?
Peter Lohmann: Alles in allem wird es sicherlich besser sein.
Nikolaus Hansen: Vielleicht ein bisschen besser.

Worauf freuen Sie sich am meisten?
Nikolaus Hansen: Auf das Wiedersehen mit einigen Autorenfreunden, die um die ganze Welt fahren, um hierher zu kommen.
Peter Lohmann: Ich freue mich auf ein schönes, kühles Bier mit einem netten Autor auf der Cap San Diego.

Interview: Nikolai Antoniadis, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 07, September–November 2009 , Rubrik:    
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