Hafencitys der Welt
Von Hamburg bis Hongkong, von Melbourne bis Toronto suchen sich Häfen, Werften und Docks neue Standorte, die mehr Platz und tieferes Wasser haben. Zurück bleiben große Flächen nahe der Innenstädte, die eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Stadtentwicklung bieten.
In seinen späteren Tagen erzählte Malcolm McLean gerne, wie er eines Tages Baumwolle an den Hafen von New Jersey lieferte und dann tagelang warten musste, bis der letzte Ballen verladen war. Seine Idee, ganze Lkws ohne Fahrgestell zu verladen, hatte weitreichende Folgen. Als er 1956 in New Jersey einen umgebauten Tanker auslaufen ließ, waren 58 „Container“ an Bord. Mit diesem ersten Containerschiff leitete McLean nicht nur eine Revolution des Transportwesens ein, sondern auch dramatische Veränderungen in den Seehäfen rund um den Globus. Traditionelle Häfen mit Lagerhäusern am Wasser und schmalen fingerartigen Piers sind für die Containerwirtschaft denkbar ungeeignet. Weil Containerschiffe immer größer werden – das größte hat heute Platz für fast 14.000 Container (TEU) –, müssen Häfen auch entsprechend tief sein, damit sie überhaupt angelaufen werden können. Zusätzlich beschleunigt durch die allgemeine Krise im Schiffbau, wanderten weltweit Häfen an neue Standorte. In der Regel dauerte es einige Zeit, bis man das große, ja einzigartige Potenzial der hinterlassenen Flächen erkannte, aber die Absicht, ehemalige Hafengebiete zu revitalisieren, machte schließlich weltweit Schule. Große Seehafenstädte wie Yokohama, Sydney oder Vancouver beschäftigen sich heute damit genauso wie Binnenhäfen in Frankfurt oder Bilbao.
Die Hand von König Midas
Die Idee nahm erstmals in den USA Gestalt an. In Baltimore war der Niedergang der Industrie mit dem Verlust zahlreicher Arbeitsplätze, mit Bevölkerungsschwund und der Verödung der Innenstadt Hand in Hand gegangen. Ende der Fünfziger Jahre war die Schiffsindustrie vollständig aus dem Inner Harbor verschwunden. Private und öffentliche Initiativen zerbrachen sich darüber den Kopf, wie diese Entwicklung aufzuhalten wäre, bis man 1964 Wallace McHarg Associates beauftragte, einen Masterplan zu entwerfen. Die Architekten schlugen darin eine Mischung aus Büros am Wasser, Mehrfamilienhäusern und öffentlichen Plätzen vor, ergänzt durch Restaurants, Einzelhandel und verschiedene Freizeitangebote. Auf dieser Grundlage entstanden bis 1981 rund um den Inner Harbor das Maryland Science Center, das heute ein IMAX-Kino und das Davis Planetarium enthält; das Baltimore Maritime Museum; das National Aquarium; das Fünf-Sterne-Hotel Hyatt Regency, ein Kongresszentrum, ein Konzertpavillon sowie der Harborplace, eine Art „Festival Market“ als Gravitationspunkt des gesamten Projekts. Im Jahr nach dessen Fertigstellung besuchten etwa 20 Millionen Menschen den Inner Harbor. Ein Drittel davon waren auswärtige Touristen, für Baltimore ein völlig unbekanntes Phänomen.
„Festival Markets“ sind untrennbar mit dem Namen James Rouse verbunden. Nachdem er mit dem Bau von Einkaufszentren zu einigem Wohlstand gelangt war, entwickelte er sein Konzept für Waterfronts, dessen Grundbausteine Einzelhandel und Fast Food sind, aufgelockert durch Freizeitangebote. In seinem Nachruf attestierte ihm Newsweek den „kalten Blick eines Buchhalters, die Hand von König Midas und das Herz eines Sonntagsschullehrers“. Obwohl er Großartiges für die Wiederbelebung amerikanischer Innenstädte geleistet habe, sehe seine Traumstadt aus wie Disneyland. Vielen gilt deshalb die Rousifizierung nicht als Defibrillator der Stadtplanung, sondern als das endgültige Aus für geschichtsträchtige Orte. „Ich habe ihn geliebt und bewundert“, soll Frank Gehry einmal über ihn gesagt haben, „trotz der schlechten Architektur, die er produziert hat.“
Havarie an der Hundeinsel
Als der Siegeszug des Containers auch in Europa immer stärker spürbar wird, engagieren sich auch hier mehr Städte in der Revitalisierung ihrer alten Häfen. Zu den spektakulärsten Fällen gehören sicherlich die Londoner Docklands, die je nach Standpunkt entweder als leuchtendes oder als abschreckendes Beispiel dienen. Die älteren Docks wurden bereits Mitte der Sechziger Jahre geschlossen. Als 1982 das Themse-Sperrwerk fertig gestellt wurde, gab es westlich davon keinen Hafenbetrieb mehr. Der neue Containerhafen war an die Themse-Mündung nach Tilbury gewandert und hatte im East End ein riesiges Areal hinterlassen: ungenutzte Werften, überalterte Hafenindustrien und Wohnungen der Hafenarbeiter, die zu Tausenden ihre Arbeit verloren. Als 1981 die letzten Docks dicht gemacht wurden, war hier jeder Vierte ohne Arbeit.
Nachdem jahrelang überlegt wurde, wie man die Abwärtsspirale im East End bremsen könnte, brachte die Wahl der Konservativen neuen Schwung in die Diskussion. Margaret Thatcher, die Großbritannien wieder zu alter wirtschaftlicher Größe führen wollte, sah in den Docklands den idealen Ort, um die Wirtschaftspolitik der Tories in die Tat umzusetzen. Canary Wharf auf der Isle of Dogs sollte zum „flagship“ einer neuen, nicht regulierten Unternehmenskultur werden. Die alteingesessene Bevölkerung und die betroffenen Bezirke wurden aus den Entscheidungen ausgeschlossen, Planungen den Investoren überlassen. Canary Wharf wurde zur größten Baustelle Europas und schließlich zu einem gewaltigen Verlustgeschäft, als zu Beginn der Neunziger Jahre die Immobilienpreise abstürzten. In Teilen der Docklands standen fast zwei Drittel der neuen Büros leer. Als dann im April 1992 bekannt wurde, dass der größte Investor, der kanadische Immobilienriese Olympia & York, zahlungsunfähig war, schien das Flaggschiff der Eisernen Lady endgültig auf Grund zu laufen. Es dauerte dann zwar ein paar Jahre, bis sich Canary Wharf erholte, aber heute kann man sehen, dass es doch noch zu dem Luxus- und Finanzquartier geworden ist, das seine Initiatoren sich gewünscht hatten. Die Entwicklung der Docklands ist inzwischen weiter gewandert, nach Greenwich, wo 1999 der Millenium Dome von Richard Rogers entstand, zu dem historischen Lagerhauskomplex auf Butlers Wharf, zu Hay’s Galleria und dem Langzeitprojekt Thames Gateway, das sich über 80 Kilometer bis zum Ärmelkanal erstreckt.
El Guggi
Wie in Baltimore und London sind Bestrebungen, brach gefallene Hafengebiete neu zu nutzen, häufig Teil einer größeren Vision. Zuweilen dienen sie wenn auch nicht als Flaggschiff, so doch wenigstens als Leuchtturm, dessen Strahlkraft durch namhafte Architekten unterstrichen wird. Das Pilotprojekt für den Ausbau des Inner Harbor in Baltimore, das Charles-Kongresszentrum, wurde 1959 von Mies van der Rohe entworfen. Das New England Aquarium spielte zehn Jahre später für Boston eine ähnliche Rolle; heute verzeichnet es jährlich 1,3 Millionen Besucher, und sein Architekt Peter Chermayeff wird von Akron in Ohio bis Osaka, Lissabon und Bremerhaven gebucht. Was für Sydney die Oper von Jørn Utzon war, ist in London der Canary Wharf Tower von Cesar Pelli, in Barcelona das Forum von Herzog & De Meuron, in Bilbao das Guggenheim-Museum.
Besonders Bilbao war vom Strukturwandel schwer getroffen worden. Die großen Werften mussten geschlossen, viele Industriestandorte aufgegeben werden, und bald suchte man händeringend nach Wegen, nicht nur den verlassenen Binnenhafen zu reanimieren, sondern mit ihm die ganze Stadt. Um für diesen Kraftakt ein weithin sichtbares Symbol zu finden, vereinbarte die baskische Regierung 1992 mit der Guggenheim-Stiftung den Bau eines Museums für moderne Kunst. Am Ende wurde das Gebäude von Frank Gehry selbst zum Kunstwerk und avancierte zum Wahrzeichen für das neue Bilbao. In den beiden Jahren nach seiner Eröffnung 1997 verzeichnete es fast zwei Millionen Besucher und machte Bilbao zum ersten Mal in seiner Geschichte zu einem beliebten Ziel für Städtereisen. Der Erfolg von „El Guggi“, wie das Museum zuweilen zärtlich genannt wird, machte Mut für weitere Projekte, darunter die Hafen- und Werftanlagen von Abandoibarra, die zwischen dem Museum und dem kombinierten Kongresszentrum und Konzerthaus Palacios Euskalduna liegen. Zwischen diesen beiden kulturellen Schwergewichten soll die neue Innenstadt entstehen, mit einem Luxushotel, hochwertigen Wohnungen, dem Einkaufszentrum Ria 21, Büros für Banken und Versicherungen. Die gläsernen Eingänge der neuen Metro, nach ihrem Erfinder „fosteritos“ genannt, werden zusammen mit dem Guggenheim zum Symbol eines erstaunlichen Imagewandels von einer schmutzigen Industrieregion zur Kultur- und Dienstleistungsmetropole, die auch für ihre Einwohner lebenswert ist.
Blue is Green
Wie wichtig gerade dieser letzte Punkt ist, zeigt die verbreitete Tendenz, der Stadt den Rücken zu kehren und in die Peripherie zu fliehen, wo es entweder bezahlbare oder aber attraktivere Wohnungen gibt. Dadurch werden Städte nicht nur demografisch kleiner, sondern verlieren auch Steuerzahler an die Gemeinden des Umlands. Die Wasserlagen der alten Industriehäfen bieten nun häufig die einmalige Gelegenheit, neue Wohnviertel in der Innenstadt zu schaffen. Dass die Nähe zum Wasser ein bedeutendes Qualitätsmerkmal ist, zeigt sich deutlich in Amsterdam, wo die Stadterneuerung im Oosterdok und anderen Hafengebieten unter dem Motto „Blue is Green“ betrieben wird: Es gibt zwar keine Parks, dafür aber viel Wasser. Auch Amsterdams ewige Rivalin Rotterdam will ihre Wasserlage ausnutzen, um die Stadt als Wohnort zu stärken, und dabei massiv ungenutzte Hafenflächen einbeziehen. Die historische Wasserstadt am Nordufer der Maas ist vom arbeitenden Hafen längst verlassen, ebenso ein Großteil des Südufers wie etwa der Kop van Zuid gegenüber dem Stadtzentrum. Die Stadtteile, die den Kop van Zuid umgeben, sind geprägt von schlecht erhaltenem sozialen Wohnungsbau und hoher Arbeitslosigkeit. In diesen Vierteln entscheiden die Menschen üblicherweise, die Stadt zu verlassen, sobald sie mehr Geld verdienen. Eine umfangreiche Befragung der Bevölkerung, der Große Wohntest 2004, zeigte allerdings, dass viele lieber in ein Einfamilienhaus im Zentrum ziehen würden als in eine Wohnung in der Vorstadt. Mit einer Revitalisierung des Südufers der Maas verfolgt Rotterdam deshalb das Ziel, attraktive Wohnungen zu schaffen und gleichzeitig die angrenzenden Stadtteile zu stärken.
Die Rückkehr der Stadt an den Fluss stellt Rotterdam aber auch vor eine andere Herausforderung. Der am tiefsten gelegene bewohnte Ort in den Niederlanden liegt in Rotterdam – sechs Meter unter Normalnull. Solange sich die Vorhersagen zum Klimawandel bewahrheiten und der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert nicht mehr als einen Meter steigt, muss sich niemand Sorgen machen. Steigt er stärker, bekommt die Stadt nasse Füße. Rotterdam hat deshalb seine dringlichsten Entwicklungsfragen in einer städtebaulichen Gesamtvision gebündelt und der Öffentlichkeit 2005 auf der stadteigenen Architektur-Biennale präsentiert: Watercity 2035. Die Stadt dehnt sich auf den Fluss aus. Viele Bereiche des alten Hafens werden von amphibischen Wohnformen kolonisiert, von schwimmenden Plattformen, Hausbooten, kleinen Quartieren auf Landungsstegen, Häuserinseln und künstlichen Lagunen. Die Sozialwohnungen im Süden werden vollständig verschwinden und durch kleine Einfamilienhäuser ersetzt, von denen jedes einen eigenen Kanal hinterm Haus haben wird. Eine Vorstadt mitten in der Stadt.
Unterdessen ist man auf dem Wilhelminapier am Kop van Zuid bereits zur Tat geschritten. In diesem Vorzeigeobjekt will sich Rotterdam allerdings weniger als dörfliche Gartenstadt, sondern als mondäne Weltstadt präsentieren. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Ansammlung von Hochhäusern. Die Gebäude heißen Baltimore, Boston, Philadelphia oder Havana, die Architekten Renzo Piano, Norman Foster, Rem Koolhaas oder Erick van Egeraat. Teure Wohnungen, erlesene Restaurants, Kreuzfahrtterminal, das Ganze seit 1996 mit dem Nordufer verbunden durch die Erasmus-Brücke, Ikone in Rotterdams internationaler Stadtmarketing-Kampagne und Inbegriff für den „Sprung über die Maas“.
Während Stadtflucht viele europäische und amerikanische Großstädte vor große Herausforderungen stellt, ist in Asien häufig das Gegenteil der Fall. China zum Beispiel wird 2030 etwa 300 Millionen Einwohner haben, von denen fast zwei Drittel in Städten leben werden. Hier sollen Wohnungen nicht in die Innenstadt geholt werden, sondern aus ihr verschwinden. Beim Abriss alter Wohngebiete sind die Behörden nicht zimperlich. Historismus behindert den Fortschritt. Häuser im lilong-Stil in Schanghai fallen ebenso dem Abriss zum Opfer wie 400 Jahre alte Innenhof-Häuser aus der Ming-Dynastie. In Schanghai wurde eine halbe Million Menschen umgesiedelt, um die Halbinsel Pudong zum führenden Handels- und Finanzplatz in Asien auszubauen, zu einer ultra-kapitalistischen Enklave inmitten der kommunistischen Planwirtschaft. Nachdem bereits 1984 ein gutes Dutzend chinesischer Küstenstädte für ausländisches Geld geöffnet worden war, hatte Schanghais Bürgermeister, der spätere Ministerpräsident Zhu Rongji, international renommierte Architekten hinzugezogen und sich schließlich für einen Masterplan-Entwurf von Richard Rogers entschieden. Das Plangebiet umfasste ursprünglich 570 Quadratkilometer, wurde aber im Mai 2009 durch den Bezirk Nanhui vergrößert, weil es inzwischen an Bodenknappheit litt, und ist jetzt ungefähr so groß wie New York City.
Shanghai Nextage
Zahlreiche gigantomane Bauwerke sollen Schanghais neues Selbstverständnis als Tor Chinas zur internationalen Hochfinanz unterstreichen, darunter der Oriental Pearl TV Tower, mit 462 Metern das höchste Bauwerk Asiens; das Jin Mao Building mit 88 Geschossen; das Shanghai Ocean Aquarium; Shanghai Nextage, das zweitgrößte Kaufhaus der Welt; und nicht zuletzt die Wertpapierbörse, gestaltet wie ein riesiges Tor, doppelt so groß wie die größte Börse der Welt in Tokio. Das Projekt ist zwar auf 40 Jahre angelegt, aber der Umbau von Schanghai zu Chinas führendem Wirtschaftszentrum soll bis zur Expo 2010 zu großen Teilen abgeschlossen sein.
Viele Seehafenstädte haben große Events als Katalysator für ihre Planungen im ehemaligen Hafen genutzt. Lissabon nahm 1998 die Expo zum Anlass, für Thessaloniki war es 1997 die Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt, für Barcelona 1992 die Olympischen Spiele. Nach dem Vorbild von Barcelona und anschließend von Bilbao hat man dann auch in anderen Ländern versucht, spektakuläre Architektur als Ausdruck eines tief greifenden Wandels zu nutzen. Besonders das Beispiel Bilbao hat dazu geführt, dass sich heute Hunderte von Städten um ein eigenes Guggenheim bewerben. Da Thomas Krens, langjähriger Direktor der Guggenheim Foundation, das ehrgeizige Ziel verfolgte, aus Guggenheim eine globale Marke zu machen, war das Warten auch nicht vergeblich. So unterzeichnete er 2003 einen Vertrag mit César Maia, dem Bürgermeister von Rio de Janeiro. Der Architekt Jean Nouvel sollte am Hafen ein neues Museum errichten, aber statt Glückwünschen hagelte es Proteste. Künstler, Architekten und lokale Politiker sahen das Projekt als Geldgrab. Die Zeitung O Globo verbreitete, Guggenheim werde ein Vierteljahrhundert allein über das Programm entscheiden und auch die Einnahmen behalten. Außerdem, so das Blatt, fielen neben den Baukosten (133 Mio. US-Dollar) noch weitere, nicht unerhebliche Beträge an: für das Nutzungsrecht an der Marke Guggenheim 28,6 Millionen US-Dollar, für eine technische Begleitkommission 4,1 Millionen US-Dollar, für den Architekten 12 Millionen US-Dollar. Nachdem ein Gericht den Vertrag für ungültig erklärte, wurde das Museum 2005 abgesagt.
Mehr Erfolg hatte indessen ein anderes Projekt in Südamerika: Malecón 2000 in Guayaquil. Die Wiederbelebung des alten Stadthafens wurde in nur drei Jahren umgesetzt und half der größten Stadt in Ecuador, sich wie Bilbao vom Bild der tristen Industriestadt zu verabschieden. Man hatte sogar überlegt, an den Uferzonen kein Haus höher zu bauen als den Baumbestand. Das wurde zwar nicht konsequent verfolgt, zeigt aber einen interessanten Ansatz in einer alten Diskussion. Als zehn Jahre früher der Architekt Cesar Pelli mit Prinz Charles den 236 Meter hohen Canary Wharf Tower diskutierte, fragte ihn der Prince of Wales, warum er so hoch sein müsse. Pelli entgegnete etwas indigniert, es gäbe „einen gewissen Wunsch, einfach hoch zu sein“. Auch am Kop van Zuid wird angenommen, eine gewaltige Skyline sei besonders weltstädtisch. Sogar in Tokio gab es Kritik an den Wohnhochhäusern in den Plänen zur neuen Waterfront City.
Japan steht vor ähnlichen Problemen wie China. Es gibt zu viele Menschen und zu wenig Raum. Man ist deshalb zu dem Schluss gekommen, dass Wasser die einzige Möglichkeit sei, um Land zu gewinnen. Frühe Entwürfe für künstliche Inseln, Aqualopolis von Kisho Kurokawa, Computer Aided City von Arata Isozaki oder A Plan for Tokyo von Kenzo Tange, stammen aus den Fünfziger Jahren. Auch Tokios aktuelle Waterfront-Projekte spielen sich auf künstlich aufgeschütteten Landmassen ab, etwa die Vision von Teleport Town, mit der sich die Stadt in die Zukunft katapultieren will. Ähnlich einem Hafen soll der Teleport als Umschlagsplatz dienen, allerdings für virtuelle Waren und Informationen. Die Idee nahm in den Achtziger Jahren schnell Fahrt auf. Neben dem Teleport wurden Wohnungen für 60.000 und Arbeitsplätze für 100.000 Menschen geplant, daneben Einzelhandel, Dienstleistungen und ein internationales Messezentrum, das Tokyo Big Sight. Fehlende Abstimmung führte dazu, dass auf ehemaligen Hafenflächen in der Bucht von Tokio gleichzeitig drei Kongresszentren entstanden: in Teleport Town in Tokio, im „Hafen der Zukunft“ Minato Mirai 21 in Yokohama und in Makuhari in Chiba. Als dann die Bubble Economy mit einem lauten Knall zerplatzte, gerieten wie in London viele Großprojekte ins Schlingern. Das gesamte Vorhaben musste neu überdacht werden. Sozialen Belangen wurde größeres Gewicht gegeben. 1997 erhielt Teleport Town den neuen Namen Rainbow City, und die Bürger Tokios wurden aufgefordert, für ein kleines Areal eigene Vorschläge auszuarbeiten. Heute erinnert der Ort stark an amerikanische Vorbilder: ein Maritimes Museum, Entertainment von Sega, Sony und Toyota, der Themenpark Palette Town mit einem der größten Riesenräder der Welt, ein Einkaufszentrum namens Venus Fort, das von einem künstlichen Himmel überdacht ist, der alle Tageszeiten vom Morgenrot bis zur Abendsonne durchläuft. Am Ufer von Waterfront City, wie es heute heißt, steht eine Kopie der Freiheitsstatue.
Während Tokio seinen neuen „Festival Market“ genießt, beschäftigt sich in Baltimore das Büro Cooper, Robertson & Partners mit dem Entwurf eines neuen Masterplans für den Inner Harbor. Vieles von der Logik von 1964, so die Architekten, sei verloren gegangen. 40 Jahre lang war der Inner Harbor der Maßstab dafür, wie man innerstädtische Hafenareale in die Stadt zurück holen kann. Heute kann Baltimore von anderen Hafenstädten, von neuen Revitalisierungs-Generationen lernen: von den New Yorker Piers, den Promenaden in Sydney, von Veranstaltungen in Venedig – oder von der Hamburger HafenCity.