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Spitzenlage

Um die Kehrwiederspitze am westlichsten Zipfel der Speicherstadt ranken sich zwar allerlei Geschichten von Seefahrt, Abschied und Heimkehr, doch hat sie ihren Namen einem viel alltäglicheren Umstand zu verdanken.

Das Bild zeigt die Kehrwieder-Insel um das Jahr 1882, gesehen von der anderen Seite des Binnenhafens, kurz bevor die Häuser für den Bau der Speicherstadt vollständig abgerissen wurden. (1)

Das Bild zeigt die Kehrwieder-Insel um das Jahr 1882, gesehen von der anderen Seite des Binnenhafens, kurz bevor die Häuser für den Bau der Speicherstadt vollständig abgerissen wurden. (1)

Die Kehrwieder-Insel heute: Im Vordergrund der Binnenhafen mit der Flussschifferkirche, dahinter Speicherblock D, in dem sich heute das Miniatur Wunderland und das Hamburg Dungeon befinden, und rechts davon das Hanseatic Trade Center. (2)

Die Kehrwieder-Insel heute: Im Vordergrund der Binnenhafen mit der Flussschifferkirche, dahinter Speicherblock D, in dem sich heute das Miniatur Wunderland und das Hamburg Dungeon befinden, und rechts davon das Hanseatic Trade Center. (2)

Die Straße Kehrwieder war ursprünglich eine Sackgasse, weil es an ihrem westlichen Ende keine Möglichkeit gab, den Binnenhafen zu überqueren. Die Niederbaumbrücke entstand erst im Rahmen des Ausbaus der Hafenanlagen auf dem Großen Grasbrook ab den 1860er Jahren. Wer auf dem Kehrwieder in Richtung Kehrwiederspitze ging, musste also zurückkehren – wiederkehren. Die Kehrwiederspitze wird übrigens häufig mit dem Sandtorhöft oder sogar mit dem Kaiserhöft verwechselt, auf dem zur Zeit die Elbphilharmonie errichtet wird. Tatsächlich wird aber nur die kleine Halbinsel an der Einfahrt in das Kehrwiederfleet so bezeichnet, auf der die alte Hafenpolizeiwache steht.
Der Kehrwieder war eine besonders malerische Straße des alten Hamburg. Nach einem verheerenden Großbrand, dem das Viertel vollständig zum Opfer fiel, wurde er 1684 nahezu durchgängig mit stattlichen Doppelhäusern in Fachwerkbauweise bebaut. Jedes dieser Häuserpaare teilte sich einen zentral angeordneten Torbogen, der in eine schmale Gasse führte, die ebenfalls auf beiden Seiten eine geschlossene Bebauung aufwies. Diese „Gänge“ waren typisch für die Wohnviertel der Unterschicht und des Kleinbürgertums. Allerdings bot das Gängeviertel am Kehrwieder den Vorteil, dass sich die Wohnhöfe zum Sandtorkai und somit nach Süden zur Sonne öffneten.
Aufwendiges schmiedeeisernes Straßenschild um die Jahrhundertwende (links), die beiden Kopfbauten der Speicherblöcke A und J, die 1943 zerstört wurden (oben rechts) und die  Kehrwiederspitze wie sie sich heute präsentiert (unten rechts). (3,4,5)

Aufwendiges schmiedeeisernes Straßenschild um die Jahrhundertwende (links), die beiden Kopfbauten der Speicherblöcke A und J, die 1943 zerstört wurden (oben rechts) und die Kehrwiederspitze wie sie sich heute präsentiert (unten rechts). (3,4,5)


Der Kehrwieder wurde 1884 komplett für den Bau der Speicherstadt abgebrochen und das Gelände neu geordnet. Die heutige Situation entspricht deshalb kaum noch dem historischen Viertel. Der ursprünglich geschwungene Straßenverlauf am Binnenhafen wurde stark begradigt; außerdem wurde das Kehrwiederfleet angelegt, das den Baugrund der ehemaligen Wohnhöfe durchschneidet. Statt der Fachwerkhäuser entstanden 1887/88 am Kehrwieder der Speicherblock A, B, C, der sich aus drei selbständigen Einheiten zusammensetzte, sowie Block D, der mit dem Staatsspeicher eine Einheit bildete. Letzterer enthielt neben einem Postamt auch die Zollabfertigung für den Verkehr über die Brooksbrücke. Heute sind dort u. a. das Miniatur Wunderland und das Hamburg Dungeon untergebracht.
Bei den Luftangriffen 1943/44 wurde die Speicherstadt stark zerstört. Die Speicher A, B und C waren Totalverluste und wurden nicht wiederhergestellt. Auch der Staatsspeicher wurde schwer getroffen, konnte aber 1960 von Werner Kallmorgen im Originalstil rekonstruiert werden. Da außerdem auf den Wiederaufbau von Block J am Sandtorkai verzichtet wurde, blieb der westliche Teil der Speicherstadt bis Anfang der 1990er Jahre weitgehend unbebaut, sieht man von den unscheinbaren Pavillons für die Arbeitsvermittlung des Gesamthafenbetriebs und die Zollabfertigung an den Niederbaumbrücken ab. Heute steht an dieser Stelle der Bürokomplex Hanseatic Trade Center – ein mehr als schwacher Ersatz für die Blöcke A und J, die mit ihren Giebeln und Türmen früher die Schauseite der Speicherstadt zur Elbe hin bildeten. 

 

Text: Ralf Lange, Fotos: Thomas Hampel (2, 5), Gustav Werbeck / HHLA (3), ELBE&FLUT Edition / Strumper & Co. (1, 4)
Quartier 08, Dezember 2009–Februar 2010 , Rubrik:    
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