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Architektur salonfähig

AIT vernetzt nicht nur Architekten, Designer und Unternehmer, sondern bietet der Architektur selbst im ArchitekturSalon ein bedeutendes Forum.

Mit „Raumlicht“ holte der ArchitekturSalon eine bedeutende Ausstellung der Architekturbiennale Venedig nach Hamburg. (1)

Mit „Raumlicht“ holte der ArchitekturSalon eine bedeutende Ausstellung der Architekturbiennale Venedig nach Hamburg.

Architektur aus Leinfelden-Echterdingen? Hm. Vielleicht dieses Messe-Parkhaus über der A8? Die Robert Bosch GmbH hat sich wegen des darauf angebrachten Bosch-Logos Hoffnungen auf einen Eintrag ins Guiness-Buch gemacht. Der Schriftzug soll der zweitgrößte der Welt sein – übertroffen allein vom Hollywood-Sign. Aber Architektur? Und doch hat die Auseinandersetzung mit Architektur in dem kleinen Städtchen hinter Stuttgart eine lange Geschichte. Hier sitzt mit AIT nicht nur eine der ältesten Architekturzeitschriften Deutschlands, sondern diese preisgekrönte Zeitschrift hat seit kurzem auch einen kleinen architektonischen Exportschlager entwickelt: den ArchitekturSalon. Der erste hat im vergangenen Sommer in Hamburg seine Türen geöffnet, gegenüber der Speicherstadt. Ein zweiter wurde im Februar in München eingerichtet, und weitere in Stuttgart und Köln werden bald folgen.

Eine Art begehbare, interaktive Fachzeitschrift

Der AIT ArchitekturSalon ist sozusagen die Fortsetzung der AIT-Zeitschrift mit anderen Mitteln: Er ist eine Galerie, ein Show Room für die Branche, ein Forum für die Auseinandersetzung mit Architektur, vor allem aber ein Vermittler zwischen Architekten, Innenarchitekten, Designern und Industrie. Schon das Büro, das AIT im Mai 2004 in Hamburg eingerichtet hat, war ein gefragter Ansprechpartner für Hersteller, die nach geeigneten Wegen suchten, ihre Produkte auf die Bedürfnisse und Interessenlagen von Architekten abzustimmen. Die Idee, dieser Arbeit auch einen dauerhaft genutzten Ort, einen physischen Raum zu geben, kam AIT-Chefredakteur Dr. Dietmar Danner und der Kuratorin Kristina Bacht im Gespräch mit mehreren Hamburger Architekten. Bereits während ihres Architekturstudiums in den Niederlanden hatte Bacht feststellen können, dass dort die Bildung von Netzwerken unter Architekten und Unternehmen wesentlich weiter verbreitet ist und über viele kleine Galerien ein reger Austausch geführt wird. Der AIT ArchitekturSalon wendet sich zwar hauptsächlich an ein relativ überschaubares Fachpublikum, ist aber Bestandteil eines umfangreichen Gesamtkonzepts, das sich an einen wesentlich größeren Kreis richtet und auf diese Weise in Hamburg auch der Entwicklung der vergangenen Jahre Rechnung trägt. Die Hansestadt hat sich zur heimlichen Baumetropole Deutschlands entwickelt. Die großen und spektakulären Projekte von der Perlenkette über die HafenCity bis zum Harburger Binnenhafen, der geplante Autobahndeckel oder die IBA in Wilhelmsburg zeugen von den umfassenden Plänen der Stadt. Nicht zuletzt hat auch die große Anzahl von Veranstaltungen und Besuchern beim Hamburger ArchitekturSommer 2009 gezeigt, wie groß das Interesse einer breiten Öffentlichkeit geworden ist, sich mit der Architektur ihrer Stadt zu befassen. Dieser Geschäftigkeit zum Trotz hat man aber in Hamburg bislang vergeblich nach einem Ort gesucht, an dem Fragen zur Gestaltung in Städtebau, Architektur und Innenarchitektur dauerhaft behandelt werden. AIT will diese Lücke schließen. Der ArchitekturSalon wird zu einer Art begehbarer interaktiver Fachzeitschrift mit News, Kontaktbörse,  Hintergrundinformationen und Werbung. Es gibt sogar einen Kochteil, die „Suppen-Oma“, die Kochkurse für Architekten und Innenarchitekten gibt.

Der AIT ArchitekturSalon hat keine Scheu, auch unbequeme Fragen aufzugreifen.

Mit der Eröffnung des ArchitekturSalons hat AIT zwar Neuland betreten, aber das AIT-Büro in Hamburg kann auf langjährige Erfahrung zurückgreifen, wenn es darum geht, Vorträge, Ausstellungen oder Architektenreisen zu organisieren und die verschiedenen Beteiligten der Branche zusammenzuführen. Der Ansatz ist dabei keineswegs elitär oder verkopft, sondern handfest und praktisch.

Wild Wild East: Über 20 Architektenbüros aus Osteuropa stellten 2009 ihre Arbeiten vor.  (2)

Wild Wild East: Über 20 Architektenbüros aus Osteuropa stellten 2009 ihre Arbeiten vor.

So kürt AIT seit Jahren Entwickler von besonders innovativen Lösungen mit einem Innovationspreis, sei es im Bereich Böden, Textil oder Tapeten oder auch für Neuerungen bei Fenstern und Fassaden. Workshops beschäftigen sich mit herkömmlichen Vorstellungen von Bädern und versuchen, neue Wege in der Gestaltung der Badezimmerkultur zu beschreiten. Im vergangenen Jahr hat der ArchitekturSalon ein Symposium zum Thema Queer Spaces veranstaltet, in dessen Rahmen Architekten, Historiker und Kulturwissenschaftler über verschwiegene Biografien schwuler und lesbischer Architekten und Architektinnen sprachen, über das hartnäckige Vorurteil, Homosexuelle seien besonders talentierte Designer, und darüber, ob es so etwas gibt wie „schwulen“ Raum: in moderner Wohnarchitektur, in Wohngemeinschaften, in öffentlichen Begegnungsbereichen. Sicherlich kein leichtes Thema, aber es zeigt, dass AIT keine Scheu hat, unbequeme Fragen aufzugreifen. Weniger unbequem, aber nicht weniger notwendig ist eine andere Frage, die AIT in den Mittelpunkt vieler Veranstaltungen gestellt hat: Warum hört man so wenig von jungen Architekten? Wobei jung im Falle von Architekten bedeutet: unter 40. So wurden zum Beispiel 2002 junge Architekten eingeladen, um sich mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart auseinanderzusetzen. Diese inzwischen denkmalgeschützte Wohnsiedlung entstand unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe und unter Mitwirkung von Architekten wie Bruno Taut, Walter Gropius, Le Corbusier, Hans Scharoun, Mart Stam, Peter Behrens, Josef Frank und J. J. P. Oud und gilt noch heute als herausragendes Beispiel für das Neue Bauen. Viele der beteiligten Architekten waren seinerzeit unter 40. Auch zur Eröffnung des Hamburger ArchitekturSalons hat AIT das Thema „junge Architekten“ wieder aufgegriffen und renommierte Architekten überredet, die Modelle zu präsentieren, die sie als Studenten für ihr Diplom anfertigen mussten.

Der ArchitekturSalon hat sich nach einem Jahr in Hamburg fest etabliert und geht mit vollem Programm ins Jahr 2010: Vertreter der HafenCity Universität und der TU Berlin werden sich mit Plänen zum Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof sowie des stillgelegten Bahngeländes in Altona befassen. Die Zwillingsbrüder Dominik und Benjamin Reding, die durch ihren kontrovers diskutierten Film „Oi! Warning“ bekannt geworden sind, werden über Film und Architektur diskutieren. Und während „junge Wilde“ der New Yorker Architekturszene ihre Arbeiten vorstellen, der Literarische Hafenclub Lesungen veranstaltet und Vertreter von St. Katharinen über den Innenausbau ihrer Kirche sprechen, feiert AIT aus Leinfelden-Echterdingen seinen 120. Geburtstag. Das ist auch für einen Architekten nicht mehr jung. Allerdings bleibt das Hauptanliegen von AIT, seine Mittlerrolle in der Branche wahrzunehmen. Und dabei zählt nicht Jugend, sondern Erfahrung.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: SPLITTERWERK
Quartier 09, März–Mai 2010 , Rubrik:    
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