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Faszination des Grauens

In den düsteren Gängen des Hamburg Dungeons ist noch niemand verloren gegangen. Zumindest bis jetzt…

Faszination des Grauens – das Hamburg Dungeon

So richtig wohl fühlt sich der Lübecker Gymnasiast Lukas (13) nicht auf dem harten Holzstuhl in diesem düsteren Gewölbe. Gerade eben ist er von einer widerlich aussehenden Frau mit durchdringend-aggressiver Stimme durch eiserne Schellen an den Armlehnen fixiert und mit Folterinstrumenten bedroht worden. Tröstlich nur die Erkenntnis, dass es seiner Klassenkameradin Merit (13) nicht besser ergeht. Sie ist kurzerhand von der furchteinflößenden Person hinter Gitter bugsiert worden und soll nun ein großes persönliches Geheimnis preisgeben, um ihn, Lukas, zu retten. Vor dem Verlies harren die übrigen Klassenkameraden der Ereignisse in einer Mischung aus Vergnügen und leichtem Schauder: Wird die Frau Lukas und Merit etwas antun oder beide wieder freigeben?
Natürlich geht die Geschichte glimpflich aus, denn wir befinden uns im Hamburg Dungeon, in dem, so Pressesprecherin Sonja Bredtmann, „niemand verloren geht oder zu Schaden kommt“. Ihr Wort in Gottes Ohr, denn gruselig geht es schon zu an diesem geheimnisvollen Ort in der Speicherstadt. Das Grauen öffnet sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Miniatur-Wunderlandes in Form von mittelalterlichen Kerkern und grausamen Folterinstrumenten. Auf dem schmuddeligen Seziertisch eines Quacksalbers liegt eine mit ekelerregenden Wucherungen übersäte Pestleiche. Bis ins Mark fahren dem Besucher die Schreie von Ertrinkenden. Und dann steht man vor dem gnadenlosen Richter der Heiligen Inquisition und wird auf eine erbarmungslose Hexenprobe vorbereitet. Zu den Höhepunkten der Schau gehört das Leben des legendären Seeräubers Klaus Störtebeker und sein überliefertes Ende vor dem Scharfrichter.

Vorsicht, Schock-Effekt: Quacksalber hantiert mit toter Ratte und Pestleiche.

Vorsicht, Schock-Effekt: Quacksalber hantiert mit toter Ratte und Pestleiche.

Auf dem Seziertisch liegt eine mit ekelerregenden Wucherungen übersäte Pestleiche.

Was also ist das Dungeon? Ein Horrorhaus? Eine Geisterbahn? Ein Gruselkabinett? Sicherlich von allem etwas. Das Wort „Dungeon“ kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie Kerker oder Verlies, findet aber auch häufig Verwendung in Rollenspielen. Und tatsächlich hat das Eventspektakel seinen Ursprung in England. Das erste der inzwischen fünf der zum Unterhaltungskonzern Merlin Entertainments Group gehörenden Dungeons steht in London, weitere eröffneten in York, Edinburgh, Amsterdam und eben Hamburg. Allen gemeinsam ist, dass in ihnen geschichtliche Ereignisse auf gewissermaßen populär-schockierende Art aufbereitet werden. „Unsere Stichworte lauten: Geschichte, Spannung, Spaß. Geister gibt es bei uns nicht. Alles hat seinen historischen Hintergrund“, erklärt Bredtmann. So bei der Sturmflut von 1717, so die Pest als schlimmste aller vorstellbaren Epidemien, so der Hamburger Brand von 1842 und so natürlich auch Klaus Störtebeker und seine Piratentruppe. Gereicht werden dazu mittelalterliche Folter- und Tötungsmethoden sowie – kaum weniger blutrünstig – medizinische Behandlungsmethoden, aufbereitet mit Hilfe eindrucksvoller Kulissen und Ausstattungen sowie raffinierten Ton- und Lichteffekten. Der wichtigste Part der Gruselshow kommt allerdings dem Rollenspiel zu: Bis zu 40 Schauspieler hat das Dungeon dafür in der Hochsaison unter Vertrag. Sie stellen den lebendigen Gruselfaktor dar. Da gibt es hexenartige Wesen, geheimnisvolle Kuttenmänner, Piraten, Scharfrichter und grausame Quacksalber, um nur einige zu nennen.

Vor dem gnadenlosen Inquisitor sind die Besucher vor allem eines: schuldig!

Vor dem gnadenlosen Inquisitor sind die Besucher vor allem eines: schuldig!

Besonders scharf auf gruselige Unterhaltung scheinen Menschen zwischen 15 und 35 Jahren zu sein. Zu den Dauergästen gehören vor allem Klassen aus Oberschulen. „Meistens sind es die Schüler, die ihre Lehrer zu einem Ausflug ins Dungeon überreden“, weiß die Pressesprecherin, „das ist dann Geschichtsunterricht einmal ganz anders.“ Wie es sich für ein modernes Unterhaltungsunternehmen gehört, wird der „Gruselfaktor“ bei den Besuchern täglich mit elektronischer Unterstützung gemessen. Was nicht genügend Schauder erzeugt, fliegt raus. „Der Gruselfaktor muss stimmen. Da wir aber unsere Fläche nicht erweitern können, muss eben gelegentlich Altes weichen“, berichtet Sonja Bredtmann. Auf diese Weise erlebt der Besucher immer wieder neue Attraktionen. Nach dem Fallturm auf dem Henkersplatz erwartet die Besucher 2010 das Thema „Moorleichen“ als weiteren Nervenkitzel. Geplant sind auch schockierende Lesungen und spezielle Grusel-Events wie Piraten-, Hexen- oder Halloweenpartys. Der Angstschweiß bleibt also frisch in der Speicherstadt.

Text: Michael Hertel, Fotos: Heinz-Joachim Hettchen
Quartier 09, März–Mai 2010 , Rubrik:    
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