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Lichttherapie für Städte

Obwohl eine junge Disziplin, können viele Bauherren, Architekten und Stadtplaner heute kaum noch auf Lichtplanung verzichten. Eine international gefragte Expertin hat ihren Sitz in Sichtweite der HafenCity: Ulrike Brandi.

Nachtansicht des Mercedes-Museums in Stuttgart (1)

Nachtansicht des Mercedes-Museums in Stuttgart (1)

Man sieht ihre Arbeit am besten, wenn es dunkel wird. Ihr Fachjargon klingt wie ein Feuerzauber von Harry Potter: Candela Lux Lumen. Tageslicht hat für sie einen Quotienten, besitzt Autonomie und ist nach DIN 5034 genormt. Sie befassen sich mit Leuchtdichten, Beleuchtungsstärken und Blendungsbegrenzungen. Eine von ihnen, deren Arbeit an vielen Stellen das heutige Bild der Hamburger Innenstadt prägt, ist Ulrike Brandi. Als Lichtplanerin ist sie nicht nur an der Elbe aktiv, sondern wird weltweit angefragt, von Riad bis Schanghai, von Paris bis Kuala Lumpur. Ihre Arbeit führt sie von der Hamburger HafenCity zum Flughafen im chinesischen Pudong und zum White City-Einkaufszentrum in London. Seit sie 2001 ihr „Lichtbuch“ veröffentlicht hat, gilt sie in Fachkreisen als eine Art Lichtguru. Aber was genau tut eine Lichtplanerin? Warum muss man Licht planen?

Bringt seit vielen Jahren auf der ganzen Welt Licht ins Dunkel: Ulrike Brandi. (2)

Bringt seit vielen Jahren auf der ganzen Welt Licht ins Dunkel: Ulrike Brandi. (2)

Lichtplanung bedeutet, lernen zu sehen. Die meisten Menschen nehmen Licht und seine Wirkung nur sehr unbewusst wahr. Vielleicht fällt ihnen auf, dass sie im Büro schnell müde werden. Oder dass sie sich im Wartezimmer ihres Hausarztes krank fühlen, obwohl sie eigentlich nur zur Prophylaxe gekommen sind. Aber die wenigsten würden die Ursachen in den Lichtverhältnissen suchen. Dabei ist der gezielte Einsatz von Licht in vielen Bereichen seit langem üblich, etwa am Theater oder im Museum. Eine antike Statue, die für eine Tageslichtsituation in Ägypten hergestellt wurde, muss in einem geschlossenen Raum in London anders ausgeleuchtet werden als ein Gemälde. Falsches Licht kann Elfenbein bleichen und Papier vergilben lassen. Deshalb werden Lichtplaner hinzu gezogen, um genau festzulegen, was für Licht und wie viel Licht die Ausstellungsstücke vertragen. In Kuala Lumpur wurde das Büro von Ulrike Brandi deshalb für das Financial Museum and Arts Center beauftragt, in Stuttgart für das Mercedes-Museum, in der HafenCity für das Internationale Maritime Museum. Aber Lichtplanung geht weit darüber hinaus, einzelne Räume in Gebäuden ins rechte Licht zu setzen.

Die 24-Stunden-Gesellschaft

Die Erfindung der Glühbirne hat das Bild der Städte weltweit radikal verändert. Städte sind durch sie zu gespaltenen Persönlichkeiten geworden, mit einem Gesicht für den Tag und einem für die Nacht. Wo Häuser, Straßen und Plätze früher nach Sonnenuntergang im Dunkel versanken, leuchten heute alle Arten von Lichtern: Straßenlaternen, Leuchtreklame, illuminierte Schaufenster, Licht aus Wohnhäusern. Das künstliche Licht hat es dem Menschen möglich gemacht, sich über seinen natürlichen Biorhythmus hinweg zu setzen und nachtaktiv zu werden. Eine 24-Stunden-Gesellschaft hält es heute für selbstverständlich, dass die Stadt nie schläft. Das Nachtbild einer Stadt ist ebenso wichtig geworden wie ihr Gesicht bei Tag.

Lichtplan für Hamburg: Der „Schwarzplan“ für die HafenCity (3)

Lichtplan für Hamburg: Der „Schwarzplan“ für die HafenCity (3)

Deshalb entschied man in Hamburg, das Büro Ulrike Brandi Licht einzubeziehen, nachdem der Masterplan für die HafenCity vorlag. Bevor die ersten Kabel verlegt würden, wollte man Leitlinien entwickeln, nach denen das neue Stadtviertel beleuchtet werden sollte. Die Stadt der kurzen Wege, in der Wohnungen, Arbeitsplätze und Freizeiteinrichtungen in unmittelbarer Nähe zueinander liegen, verlangt nach einer angemessenen Idee zur Beleuchtung. Große Aufmerksamkeit galt auch den zahlreichen Wasserlagen. Wasser gehört nicht nur zu den herausragenden Qualitäten der Hansestadt, sondern ist auch ein Material mit besonderen lichtspezifischen Eigenschaften. Abhängig von Wind und Wetter wirft es die Lichter der Uferzonen anders zurück. Außerdem steigt und fällt es mehrmals am Tag um dreieinhalb Meter und verändert so die Lichtwirkung. So wird Wasser etwa an den Magellan-Terrassen zu einem Teil von Brandis Planung, ohne selbst angestrahlt zu werden. Gleichzeitig ermöglichen niedrige Leuchten, auch bei Nacht weit auf die Wasserfläche hinaus zu blicken.
Brandi ist auch federführend im Lichtkonzept der Elbphilharmonie. Nicht nur deren gläserne Welle wird einen gewaltigen Lichtabdruck in der Stadt hinterlassen; auch das Foyer im Erdgeschoss ist verglast und stellt so eine Beziehung her zwischen dem Inneren des Hauses und den umgebenden Straßen und Plätzen. Daran lässt sich bereits ablesen, wie sehr die Planung von Licht, auch wenn sie eigentlich nur den Innenraum eines Gebäudes betrifft, den Kontext berührt, in dem ein Gebäude steht. Leuchtturm-Projekte wie die Elbphilharmonie oder das SPIEGEL-Gebäude oder auch Restaurants und Geschäfte haben auf diese Weise bedeutenden Einfluss auf die Gestaltung ihrer unmittelbaren Umgebung. Das Licht, das sie durch ihre Fenster ins Dunkel hinauswerfen, holt die Außenwelt zu ihnen ins Gebäude.

Lichtsmog

Die moderne Großstadt verfügt über ein Überangebot an Licht. Deshalb spricht man häufig von Lichtverschmutzung, womit nicht die Verschmutzung des Lichts gemeint ist, sondern vielmehr die Verschmutzung durch das Licht. Kommerzielle Beleuchtung hat zum Beispiel die Tendenz, ihr Umfeld zu dominieren, weil andere Lichtquellen ihre Wirkung potenziell verringern. Aus lichtplanerischer Sicht ist Werbelicht auch kein ausgewogenes oder warmes Licht, sondern verursacht starke Kontraste, ist übermäßig hell und farbenfroh. Um den Lichtsmog in der Innenstadt unter Kontrolle zu bringen, wurde Ulrike Brandi nach Bremen gerufen. Anlass war der vorangegangene Versuch, einer belebten Einkaufsstraße ein attraktiveres Gesicht zu geben, unter anderem durch sehr helle Fassadenanstrahlung. Um dieser Beleuchtungskonkurrenz zu begegnen, hatten anschließend Einzelhändler ihre Geschäfte mit noch hellerem Licht beworben. Im Zuge dieses Wettrüstens waren die eigentlichen städtebaulichen Bezugspunkte wie das Rathaus oder der Dom im Schatten verschwunden. Mit einem ausgewogenen Konzept hat Brandi hier das Lichtniveau insgesamt abgesenkt, um wieder Hierarchien in der Wahrnehmung bilden zu können: Orientierung, Akzente in der Architektur, eine nachvollziehbare Abfolge von Plätzen.
In vielen Städten ist aber die Verwaltung selbst zum Urheber einer Lichterflut geworden. Eindrucksvolle Illuminationen sind ein wichtiges Werkzeug im Wettkampf der Städte um Unternehmen, Touristen und neue Steuerzahler geworden. Das Schlagwort lautet Stadt-Identität, womit vor allem Einmaligkeit gemeint ist. Ein attraktives Nachtbild gilt heute als weicher Standortfaktor. Es wird Teil der Marke Stadt. Auch Unternehmen setzen auf ausgefallene Beleuchtung, und Architekten arbeiten immer häufiger mit berühmten Lichtkünstlern wie James Turrell oder Dan Flavin. Die Ergebnisse stehen nicht immer im Einklang mit dem zurückhaltenden und diskreten Licht-Management, für das sich etwa Ulrike Brandi stark macht: Bunt bespielte Fassaden bestimmen das Nachtbild vieler Städte.

Kunstlicht hat Menschen immer fasziniert. Seitdem 1881 die erste Glühbirne auf der Elektrizitätsausstellung in Paris präsentiert wurde, hat man künstliches Licht auf Industriemessen als Fortschritts-Spektakel gefeiert. Weltausstellungen in Paris (1889), Chicago (1893) und Buffalo (1903) wurden als ausschweifende Lichtfeste in Szene gesetzt. Das nächtliche Lichtermeer wurde weltweit zum Inbegriff von Großstadt. Als sich 1928 im Rahmen einer Ausstellung „Berlin im Licht“ zeigte, tat sie das als Lichtstadt der Zukunft. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich dieser überschwängliche Umgang mit elektrischem Licht. Beleuchtung wurde zumindest in Deutschland von Überlegungen zu Verkehrssicherheit und Betriebskosten bestimmt, manchmal eine historische Fassade angestrahlt. Jahrzehntelang blieb es dabei. Das Stadtbild wurde ausschließlich für den Tag geplant.

Licht soll Informationen geben und Orientierung schaffen: Das gilt für eine Küche genauso wie für einen Flughafen wie etwa den in München, dessen Licht Brandi geplant hat. (5)

Licht soll Informationen geben und Orientierung schaffen: Das gilt für eine Küche genauso wie für einen Flughafen wie etwa den in München, dessen Licht Brandi geplant hat. (4)

Als Ulrike Brandi ihr Büro in Hamburg eröffnete, gab es im gesamten deutschsprachigen Raum lediglich drei namhafte Lichtplaner. Zu dieser Zeit, Mitte der Achtziger Jahre, war man allerdings gerade im Begriff, die übliche Praxis zu überdenken. Man dachte darüber nach, öffentlichen Raum auch nachts durch Licht zu gestalten. Zu den Ersten, die das Licht für den Städtebau wieder entdeckten, gehörte der Finne Antero Markelin, der ein Lichtkonzept für Helsinki entwarf. Im französischen Lyon wurde 1989 ein Stadterneuerungsprogramm initiiert, dessen Herzstück die Aufwertung der Stadt durch Illumination bildete. Inzwischen setzt sich wieder die Ansicht durch, dass Licht mehr als nur funktionale Aufgaben erfüllt. In einigen Fällen hat dieser Trend aber dazu geführt, dass die Überflutung durch Licht ein kritisches Maß erreicht hat. Nicht nur, weil verschiedene Lichtsignale miteinander konkurrieren, sondern weil Stadträume zu Ausstellungsflächen degradiert werden. Auch Diskussionen zur Nachhaltigkeit tragen dazu bei, den gegenwärtigen Wildwuchs zu überdenken: Beleuchtung soll gleichzeitig günstiger, umweltverträglicher und besser werden.

Licht nach Plan

Nach dem Erfolg, mit dem Lyon seinen Plan Lumière umgesetzt hat, beginnen auch andere Städte wie Zürich, Berlin oder auch Hamburg, Lichtpläne nicht nur punktuell, sondern auf gesamtstädtischer Ebene auszuarbeiten. Inzwischen werden Lichtpläne sogar für ganze Regionen wie das Dresdner Elbtal entwickelt. Seitdem Ulrike Brandi im Jahr 2000 ein Beleuchtungskonzept für das Expo-Gelände in Hannover festlegte, wird im deutschsprachigen Raum der Begriff Masterplan auch für großmaßstäbliche Lichtplanung verwendet. Der Arbeitsschwerpunkt ihres Büros hat sich seitdem verlagert. Während sie vor der Expo überwiegend für die Innenbeleuchtung von Gebäuden beauftragt wurde, werden heute häufig Außenräume angefragt: Innenstadtbereiche, Plätze, Straßenzüge, Fassaden. Brandi wurde 2008 in den Lichtbeirat von Berlin gerufen, wo trotz großer Hürden ein umfassender Beleuchtungsplan auf den Weg gebracht wurde, der zahlreiche Kriterien von Umweltverträglichkeit bis Wirtschaftlichkeit, Stadtidentität und Lebensqualität aufgreift. Brandi hat auch ein Projekt im Lichtplan von Zürich umgesetzt, der unter Planern heute als internationales Vorzeigeprojekt gilt. Aktuell ist sie unter anderem mit der Erstellung eines Masterplans für Rotterdam sowie für die Internationale Gartenschau 2013 in Hamburg befasst.

Tante Idan

Seit 2005 sitzt Ulrike Brandi auch im Lichtbeirat der Stadt Hamburg. Wichtige Wege wie die aus der Innenstadt in die HafenCity sollen durch Licht vorgezeichnet werden; die Stadtsilhouette aus den Türmen der Hauptkirchen und dem Rathausturm in ihrer Fernansicht gestärkt werden; Hamburgs Plätze aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt werden. Zu den ersten Projekten dieses Lichtplans gehörte die Neugestaltung von Jungfernstieg und Rathausmarkt. „Das Rathaus als erstes Gebäude der Hamburger Stadtdemokratie und wichtiger Orientierungspunkt“, heißt es im Lichtplan, „sollte nicht überstrahlt werden.“ Es soll einen Maßstab liefern, während die Kaufmannshäuser auf der gegenüber liegenden Seite bewusst untergeordnet werden. Mit einer Kombination aus Strahlern und Lichtschablonen hat Brandi der Fassade wieder ihre Form zurückgegeben, die in der vorherigen Anstrahlung im gleißenden Scheinwerferlicht untergegangen war. Obwohl nun zusätzlich auch die seitlichen Fassaden angestrahlt werden, kann Brandis Entwurf den Energieverbrauch um die Hälfte von 16.000 Watt auf 8.000 Watt senken. „Hamburg hat verstanden“, sagt Ulrike Brandi, „dass es nicht darum geht, die Stadt immer mehr, immer heller, immer bunter zu zeigen, sondern stattdessen ein feines, abgestimmtes Lichtniveau zu definieren. Wenn ich das Beleuchtungsniveau einer Stadt insgesamt senke, wird sich das menschliche Auge daran gewöhnen, und sie wird nicht dunkler wahrgenommen als eine andere Stadt, die sich auf einem höheren Lichtniveau bewegt.“

Die neue Außenbeleuchtung  des Rathauses (4)

Die neue Außenbeleuchtung des Rathauses (5)

Weil Lichtplanung natürlich viel mit Sehgewohnheiten zu tun hat, gehört Brandi auch zu einer kleinen Gruppe, die sich nach dem japanischen Wort für Detektiv „tanteidan“ nennt: Lichtdetektive. Sie geht auf der ganzen Welt der Frage nach, ob in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedlich mit Licht umgegangen wird. In Deutschland und Skandinavien herrscht in der öffentlichen Beleuchtung zum Beispiel warmes Licht vor, dabei insgesamt weniger Licht und niedrig installierte Leuchten. Je mehr man sich aber dem Äquator nähert, desto stärker leben Menschen mit sehr breitem, fast kaltem Licht, mit höheren Lichtpunkten und auch mit größeren Lichtmengen sowie teilweise sehr starken Kontrasten von sehr hell bis sehr dunkel. Eine gängige Theorie besagt, im Norden wolle man warmes Licht, weil es dort kalt sei, im Süden hingegen ist es warm, weshalb man dort kühles Licht bevorzuge. „Viel wichtiger ist aber“, sagt Brandi, „dass in den unterschiedlichen Hemisphären eine andere Tageslichterfahrung vorherrscht. Ich erlebe in Hamburg eine lange Dämmerungsphase mit allen Nuancen von eher kühlerem Himmelslicht bis zu warmen, orange-goldenen Lichtfarben und Lichttönen. Am Äquator hingegen ist es wie mit einem Lichtschalter: An-Aus. Menschen leben dort mit sehr hellem Tageslicht, dem plötzlich absolute Dunkelheit folgt. Sie schalten dann natürlich sofort das sehr helle Licht wieder ein. Es gibt hier keine Phase, in der die Augen sich auf weniger Licht umgewöhnen.“
Einsatz und Planung von Kunstlicht sind vom Tageslicht nicht zu trennen. Sonnenlicht ist zwar dynamischer und deshalb weniger kontrollierbar als elektrisches Licht, aber die meisten Gebäude und öffentlichen Räume sind für das Leben am Tage gebaut. Lichtplanung kann das nicht ignorieren. Dabei ist das Hamburger Tageslicht nicht gerade ein einfaches Material, um damit zu planen. Es macht niemanden rosig, der blass ist; niemanden jünger als er ist. Manchmal zeigt es sich gar nicht. Aber es ist demokratisch: Es zeigt alles gleichermaßen wie es ist. In dieser Hinsicht besitzt es dieselbe Eigenschaft wie der Großteil des öffentlichen Kunstlichts. Die Peitschenlampen sind zwar wegen ihres Nachkriegs-Designs nicht überall gleich beliebt, haben aber als Leuchtstofflampen eine ausgezeichnete Farbwiedergabe. „Hamburg“, sagt Ulrike Brandi, „hat ein schönes, weißes Licht, das einen grünen Baum grün zeigt.“ Kunstlicht und Tageslicht stehen also in Hamburg in derselben demokratischen Tradition. Wie das Rathaus.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Daimler Chrysler AG (1), Thomas Hampel (2), Ulrike Brandi Licht (3-5)
Quartier 09, März–Mai 2010 , Rubrik:    
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