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Gründerzeit 2.0

Die Architekten Ekkehard Voss und Alf Michael Prasch von nps tchoban voss sprechen über Backstein, Bildung und Baudirektoren.

Alf M. Prasch (links) und Ekkehard Voss (rechts) in ihrem Büro, einem umgebauten Pferdestall am Stadtpark

Alf M. Prasch (links) und Ekkehard Voss (rechts) in ihrem Büro, einem umgebauten Pferdestall am Stadtpark

Das Hamburger Büro nps tchoban voss hat das Gesicht der wachsenden HafenCity vielfältig geprägt, vom Masterplan für das Überseequartier über den Bau von Wohn- und Bürogebäuden am Kaiserkai und an der Kaffeelagerei bis zu Tätigkeiten als Juror wie im Wettbewerb für das Ökumenische Forum.

Was war die HafenCity, als Sie das erste Mal mit ihr in Berührung kamen?
Alf Michael Prasch: Das Areal ist geprägt von der Speicherstadt. Deshalb dachte man anfangs auch, es müsse alles ein bisschen rötlich sein. Das kann man am Sandtorkai sehen. Gleich am Auftakt an der Ecke zum Sandtorhafen steht ein roter Sichtbeton-Kubus, daneben ein, zwei Backstein-Bauten. Danach wurde immer freier gestaltet, so dass die Architekten stärker gefordert wurden.
Ekkehard Voss: Als wir das Bürogebäude am Kaiserkai 1 bauten, gab es noch Diskussionen wegen der weißen Fassade. Im Grunde hat sich später der Dalmannkai mit helltonigen Fassaden entwickelt, im Gegensatz zum rötlich geprägten Sandtorkai. Heute dominieren auch auf der anderen Seite am Kaffeelager wieder rote und irdene Farben.
Prasch: Irgendwann gab es auch öffentlich geäußerte Architekturkritik, nicht nur an der HafenCity. Die Leute haben geschrien: „Was ist das denn? Diese Glasarchitektur ist ja fürchterlich! Zurück zum Backstein!“ Das Ergebnis sehen wir heute im Überseequartier.

Backstein war ein Kriterium bei den Wettbewerben?
Prasch: So ist es. Letztlich gewinnt die Hamburger HafenCity ihre Qualität dadurch, dass fast überall Wettbewerbe durchgeführt wurden. Viele unserer Bauherren sind Investoren; da entwirft man manchmal ganz anders, es wird auf jeden Euro geachtet. Das ist eben der Vorteil, wenn Sie im Wettbewerb sind: Da wagen Sie etwas.
Voss: Insgesamt ist es aber auch gut, wenn das Ganze städtebaulich ein bisschen ruhig gehalten wird. Bei Wettbewerben in der HafenCity scheint es, als wenn jeder Architekt bemüht ist, aufzufallen, damit er den Wettbewerb gewinnt. Städtischer Kontext, der auch Hintergrund schafft? Das kannst du dir im Wettbewerb kaum leisten. Im Grunde ist es ja auch wichtig, dass nicht an jeder Ecke etwas schreit. Allein durch die Geländestruktur mit den alten Fingerpiers gibt es genügend Orte, an denen etwas passiert.
Prasch: Städtebaulich ist wichtig, dass es ein paar Hingucker gibt. Aber im Wesentlichen herrscht in der HafenCity eine ruhige Grundhaltung.

Auch im Überseequartier?
Prasch: Hier entsteht das Herzstück der HafenCity. Bei dem städtebaulichen Wettbewerb zur Erstellung des Masterplans wurden zunächst Investoren ausgewählt, die dann ihre Architekten frei wählen konnten. ING Real Estate, für die wir damals gerade arbeiteten, hat uns gewählt, weil sie mit den Büros von Erick van Egeraat und Rem Koolhaas aus den Niederlanden und Building Design Partnership (BDP) aus Großbritannien international gut aufgestellt waren und noch ein Hamburger Büro dazu nehmen wollten. Auf der anderen Seite stand ein Investorenteam aus DIFA-Fonds, heute Union Invest, Tishman Speyer und ECE, die in Hamburg bereits Großes realisiert haben. Ich habe deshalb gedacht, ganz klar, die kriegen den Zuschlag.
Voss: Aber am Ende hat das Konzept gewonnen.
Prasch: Dabei war die entscheidende Idee, sich von den bisherigen Konzepten zu lösen, die sich alle am Magdeburger Hafen orientiert hatten. Dadurch wären A- und B-Lagen geschaffen worden. Auf der einen Seite Wasser, auch für den Einzelhandel schön, auf der anderen aber nicht. Das ging nicht. Die Investoren sind deshalb auf die Idee gekommen, dass man eine Struktur schaffen müsse, die sich mitten hindurch schlängelt, einen Boulevard, an dem links und rechts Geschäfte sind. Den Auftakt zu diesem Boulevard bildet am St.-Annen-Platz das Haus Arabica, in Rot, als Signal, um anzuzeigen: Hier sind wir!

Ein Signal mit 16 Stockwerken…
Prasch: Es ist ein bisschen kräftiger geworden. Es wurde lange gerungen, ob man an dieser Stelle hoch betont oder lieber nicht so hoch bauen soll.

Was hat den Ausschlag gegeben?
Prasch: Das entscheidende Leitmotiv war, traditionelle Stadt weiter zu bauen. Bei der Masterplanung wurden nicht nur viele Sichtachsen und Überschneidungen festgeschrieben, sondern auch Überlegungen zur Silhouettenbildung angestellt, die sehr ausgeprägt ist. Dazu gehört auch der Wohnturm neben dem Alten Hafenamt, der später in die Planung aufgenommen wurde. Bolles + Wilson
haben sich damals gesagt: „So ein Mist, wir haben hier mit dem Hafenamt das niedrigste Gebäude, und das ist auch noch eingesackt.“ Und dann haben sie diesen Turm entworfen. Das war eine geniale Idee. Da ist auch noch sehr stark am Detail gearbeitet worden, an Fußwegen, an Blickbeziehungen.
Voss: Im Prinzip schlängelt sich der Boulevard wie ein Canyon da durch. Man schlägt dabei nicht wie Haussmann in Paris eine lineare Achse in die Stadt, sondern orientiert sich eher an einer Altstadt mit ihren Unregelmäßigkeiten. Die Maßstäblichkeit und auch die Einteilung in Blöcke schafft dann ein bisschen Orientierung. Deshalb entsteht auch trotz der unglaublich vielen Quadratmeter, die für das Überseequartier geplant sind, keine Megastadt. Aber es gibt eine ziemlich urbane Dichte.
Prasch: Das ist Stadt.
Voss: Dadurch, dass die Grundstrukturen im Masterplan vorgegeben sind und anschließend kreativ gefüllt werden, entsteht ein Geflecht, das man wirklich als europäische Stadt wahrnehmen kann. Ich war neulich im Medienhafen von Düsseldorf, eine Art HafenCity am Rhein. Da herrscht zum Beispiel ein ziemliches Fassadensammelsurium. Das wird in Hamburg anders gesteuert. Generell besteht natürlich trotzdem die Gefahr, dass der Laie sagt: Das sieht doch alles ähnlich aus.
Prasch: Alles Stein und Glas.
Voss: Besonders im Überseequartier, wo bis auf die Egeraat-Gebäude das meiste in Backstein gebaut wird.

Geschmacksfragen sind ja in der Architektur ein bisschen verpönt. Ist es vielleicht trotzdem nötig, sich öffentlich stärker mit den ästhetischen Ergebnissen einzelner Bauvorhaben zu befassen?
Prasch: Das Dilemma in Deutschland ist, dass Architektur in der Bildung wenig stattfindet. Architektur ist auch in den Medien unterrepräsentiert. Ich glaube, es gibt in Deutschland nur eine Zeitung, die Süddeutsche, die im Feuilleton-Teil jeden Tag Architektur bespricht. In Dänemark hingegen kennt fast jedes Kind den Architekten, der die Wohnzimmermöbel oder die Esszimmerlampe entworfen hat. Das findet schon in der Schulbildung statt.
Voss: In Hamburg haben wir eine Stadtdiskussion. Wir haben einen Oberbau­direktor, das haben nicht alle Städte. Deshalb findet hier ein gelenkter Prozess statt, wenn wir überlegen: Wie antworten wir auf den jeweiligen Ort in der Stadt? In Berlin antworten wir anders als in Hamburg, an anderen Orten vielleicht noch freier. Deswegen ist es vielleicht nicht immer gut, wenn zu viele auswärtige Entwürfe gesucht werden und sich als Handschrift-Architektur niederlassen, weil sie nicht immer mit dem Ort sprechen.
Prasch: Wir haben noch ein Büro in Dresden. Da ist im Hinblick auf die öffentliche Diskussion wesentlich mehr los. Dort gab es zum Beispiel einen preisgekrönten Entwurf für ein tolles modernes Gebäude, eine Kunsthalle oder so etwas. Zuerst wurde ein Entwurf auf ein Baugerüst gebaut und lange studiert und dann verrissen, so dass es schließlich nicht mehr gebaut wurde. So weit kann es gehen. Ich dachte immer, Hamburg sei schon schwierig: HafenCity, Isebek, die Bebauung bei St. Katharinen oder die Pläne für den Domplatz.
Voss: Die Mitbestimmung hat viel Gewicht. Leider hat sie auch negative Seiten, weil das klare architektonische Statement dadurch eventuell verwässert wird. Wir müssen die Menschen demokratisch mitnehmen. Das ist ein Zeichen unserer Zeit. Man muss aber sehr aufpassen, dass dabei kein Durchschnitt entsteht. Die Diskussion zur Bebauung des Domplatzes fand ich zum Beispiel abenteuerlich. Sie war tendenziös. Ohne damit zu sagen, ob der Auer-Weber-Entwurf besonders richtig oder besonders falsch war, aber er wurde sehr schnell auf Glas und Beton polarisiert. Dabei ging es doch eigentlich eher um die Masse, die dort geplant war. Deswegen ist es so wichtig, das Thema in der Ausbildung zu verwurzeln. Das Hauptproblem der Menschen ist, dass sie Angst vor allem Neuen haben, egal ob das Neue modern oder nicht modern entworfen ist. Sehr oft sagen sie zuerst: „Warum kann das nicht so bleiben wie es war?“ Anstatt zu sehen, dass wie im Fall des Wohnturms von Bolles + Wilson auf alte Strukturen Rücksicht genommen wird. Es wird ja nicht überall Tabula rasa gemacht. Brüche sind willkommen.
Prasch: Hinzu kommt die Erfahrung mit der zum Teil brutalen Architektur der siebziger Jahre. Ich glaube, das haben viele noch im Kopf. In Dresden etwa ist die ganze Stadt zerstört worden. Dieses Trauma trägt man dort immer noch mit sich. Deshalb wollen auch alle zurück zum Sandstein, auch bei Neubauten. Dabei wird ziemlich kontrovers diskutiert.

Hat Dresden keinen Oberbaudirektor?
Prasch: Nein, aber unser Oberbaudirektor Jörn Walter war fast zehn Jahre Leiter des Stadtplanungsamtes in Dresden, bevor er 1999 nach Hamburg kam.
Voss: Die Frage ist: Welchen ästhetischen Maßstab legt man an? Auf breiter Ebene wird Architektur eigentlich immer erst dann diskutiert, wenn das Thema an der Protestfront angelangt ist. Insofern ist der Ansatz mitunter sehr polemisch. Und wenn er sich in Ausschüsse überträgt, auch politisch geprägt. Trotzdem stößt Kritik regelmäßig auf Widerhall in der Öffentlichkeit. Ist die heutige Architektursprache zu einseitig?
Voss: Menschen messen Architektur häufig an den alten Gegebenheiten, die sie im Hinterkopf haben und die das kollektive Gedächtnis beherrschen. Ich will nicht sagen, dass an einigen Stellen ein bisschen Retro nicht auch vertretbar wäre, aber eigentlich geht es doch primär darum, dass unsere Zeit ihren Ausdruck findet, und das tut sie ganz klar in der HafenCity. Gesamtstädtisch betrachtet haben wir es hier mit einer relativ kurzen Entwicklungsperiode zu tun, und man wird später genau wissen, aus welcher Zeit das stammt. Es ist ein bisschen wie eine Gründerzeit in anderer Form. Die hatte auch nur eine relativ kurze
Zeit. Natürlich sahen alle Gründerzeithäuser ein bisschen anders aus mit ihren Erkern und ihrem unterschiedlichen Ausformungen…
Prasch: … aber sie waren im Grunde genommen noch gleicher als wir heute.

Interview: Nikolai Antoniadis, Foto: Thomas Hampel
Quartier 10, Juni–August 2010 , Rubrik:    
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