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Weiche Faktoren in harten Zeiten

Hamburg setzt große Hoffnungen auf die Kreativwirtschaft. Diese Entwicklung wird bald auch in der HafenCity zu sehen sein.

Im Camp Palomar 5 haben sich im vergangenen Jahr 28 junge Kreative aus aller Welt getroffen, um über das Arbeiten der Zukunft nachzudenken.

Im Camp Palomar 5 haben sich im vergangenen Jahr 28 junge Kreative aus aller Welt getroffen, um über das Arbeiten der Zukunft nachzudenken. (1)

Nicht erst seit der Vorstellung des überarbeiteten Masterplans im vergangenen Mai ist klar, dass das Elbtorquartier in den kommenden zwei Jahren zu einer der größten Baustellen der HafenCity wird. Hier wird mit der HafenCity Universität, dem Designzentrum designxport, der Greenpeace-Zentrale und einem Haus, das eigens von Musikern für Musiker gebaut wird, ein neues Kreativ- und Wissens-Quartier entstehen. Auch das neue Leitbild des Senats misst der Kreativwirtschaft und dem Wissensstandort Hamburg eine zentrale Bedeutung für die Zukunft der Hansestadt bei.

Nadelstreifen und Baskenmützen

Schön und gut. Aber was ist eigentlich Kreativwirtschaft? Diese Frage stand im Raum, als im vergangenen Januar in der Freien Akademie der Künste eine von der Stadtentwicklungsbehörde beauftragte Studie mit dem vielsagenden Namen „Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg“ vorgestellt wurde. Allein der Anblick der versammelten Besucher ließ den interessierten Laien die Augenbrauen heben, denn hier saßen dicht gedrängt Vertreter von Bürgerinitiativen neben Regionalökonomen, Stadtentwicklern und Designern, private Investoren neben bildenden Künstlern. Nadelstreifen neben Baskenmützen.
Die Sprecherin der Künstlerinitiative „Komm in die Gänge“ wollte sich nicht so richtig als Angehörige eines „kreativen Milieus“ fühlen. Ein anderer Kulturschaffender konnte nicht verstehen, was Bernhard Fischer-Appelt von der renommierten FischerAppelt Kommunikation GmbH eigentlich auf dem Podium verloren hatte. Ein Dritter zeigte sich leicht indigniert, weil die Entwicklung von Computerspielen als Teil der Kreativwirtschaft verstanden wurde. Warum also führt dieses Thema so überaus unterschiedliche Leute zusammen?

Ein dramatischer Zeitenwechsel

Die Antwort ist auf den ersten Blick ähnlich grandios wie die Zusammensetzung des Publikums. Ein tief greifender und dramatischer Wandel hat Gesellschaft und Wirtschaft nicht nur in Hamburg, sondern in Städten rund um den Globus erfasst: Städte haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre Bedeutung als Industriestandorte verloren. Während Hamburg 800 Jahre lang auf traditionelle Stärken wie seinen Hafen gesetzt hat, zählt gerade dieser Bereich zumindest aus der Perspektive der dort Beschäftigten zu den großen Verlierern der Globalisierung. Nach Berechnungen der TU Harburg sind im Zeitraum 1980 bis 2002 fast 40.000 Arbeitsplätze im Hafen, in der Logistik und den Seehafenindustrien verloren gegangen. Während immer weniger Menschen in klassischen Industrieberufen benötigt werden, wird gleichzeitig die Produktion technologisch zusehends anspruchsvoller und, wenn man das Wort an dieser Stelle verwenden darf, wissensintensiver. Auf dem Weg zu einer Wirtschaft, die in großem Maße auf Wissen basiert, gewinnt eine neue Fähigkeit immer stärker an Bedeutung und wird zu einer zentralen Ressource. Die Fähigkeit, mit erlerntem Wissen neue Probleme zu lösen, also neues Wissen zu generieren, kurz: Kreativität. Sie wird der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.

Street Art am Lohsepark

Street Art am Lohsepark (2)

„Ihr könnt euer Geld behalten“

Dieser Gedankengang wird seit einigen Jahren verstärkt verfolgt, vorangetrieben vor allem durch Untersuchungen prominenter Ökonomen und Städteforscher wie Charles Landry oder Richard Florida. Letzterer behauptet, dass Städte mit einem hohen Anteil an kreativen Talenten einen deutlichen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber anderen Städten haben. Das hat bei vielen Stadtplanern Hoffnungen geweckt. Auch wenn er inzwischen kritischer bewertet wird, haben seine Thesen unzweifelhaft eine revolutionäre Diskussion ausgelöst, die ganz explizit in die Kreativwirtschaftsberichte und Strategien zahlreicher Städte und Länder einfloss. Die Sprengkraft seiner Ideen liegt vor allem in der Annahme, dass nicht die besten Bedingungen für Unternehmen, sondern die besten Bedingungen für Menschen über den wirtschaftlichen Erfolg einer Stadt entschieden. Das ist im Grunde genommen nicht neu. Schon Ende der achtziger Jahre wurde in Deutschland der Einfluss „weicher“ Standortfaktoren ausführlich erörtert, allerdings mit dem Ergebnis, dass sie zwar wichtig, aber den harten wirtschaftlichen Realitäten untergeordnet seien. Nicht für Florida: Er kommt zu dem Schluss, dass ökonomische Erfolge von nicht-ökonomischen Einflüssen abhängen.
Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Stadtplanung, sondern auch auf den Stellenwert einer attraktiven Stadt als Standort für Unternehmen. Die Wirtschaft in der Wissensgesellschaft ist so abhängig von talentierten, kreativen und qualifizierten Menschen, dass sie dorthin wandert, wo diese Menschen leben. Das ruft das viel zitierte Bonmot von Carly Fiorina, CEO von Hewlett-Packard, in Erinnerung, das sie 2002 vor der National Governors Association den versammelten Gouverneuren der USA zurief: „Behaltet eure Steuervergünstigungen und Autobahnkreuze. Wir gehen dorthin, wo hoch qualifizierte Menschen leben.“ Oder in den Worten des Zukunftsforschers Matthias Horx: „Wohlstand bildet oder erhält sich dort, wo die qualifiziertesten Menschen leben oder gerne leben würden.“

Wer ist kreativ?

Es gibt eine Wechselwirkung zwischen einer attraktiven Stadt, in der Menschen gerne leben, weil sie kulturell viel zu bieten hat, weil sie eine Toleranzkultur pflegt und alles in allem ein hohes Maß an Lebensqualität verspricht, und dem harten Faktor Kreativwirtschaft. Denn die Branche ist keineswegs nur Zier und Dekoration, sondern selbst von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Sie ist jene Branche, die in allen deutschen Städten in Umsatz und Beschäftigtenzahl beständig wächst. 2008 erwirtschaftete sie in Deutschland 132 Milliarden Euro und beschäftigte eine Million Menschen. In Hamburg werden ihr ungefähr 16 Prozent aller Unternehmen zugerechnet, 65.000 Menschen arbeiten hier. Und dabei werden nur jene erfasst, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, was natürlich kreative Freelancer ausschließt. Aber allein gemessen an diesen Zahlen ist Hamburg nach Berlin der zweitgrößte Standort der Kreativwirtschaft in Deutschland.

Design zählt zu den bedeutendsten Treibern der Kreativwirtschaft,
ganz besonders in Hamburg.

Für die Frage, die im vergangenen Januar in der Freien Akademie der Künste für einigen Unwillen sorgte, wurde vor zwei Jahren in Regensburg ein Kompromiss gefunden. Dort haben die versammelten Wirtschaftsminister eine Begriffsbestimmung vorgenommen, die auch von Hamburg übernommen wurde und die den Musik-, Buch- und Kunstmarkt, die Film- und Rundfunkwirtschaft, Darstellende Kunst, Design, Architektur, Presse und Werbung sowie die Software- und Games-Industrie einschließt. Was auch immer man von diesem ausgedehnten Branchenmix hält, in dem keine Unterscheidung mehr zwischen Kulturschaffenden und technisch Kreativen getroffen wird: Er ist ein Kompromiss, nachdem jahrelang keine einheitliche Definition vorlag und deshalb in den Analysen der Städte und Länder die unterschiedlichsten Einschätzungen zur Bedeutung der Kreativwirtschaft kursierten.

Made in Hamburg

Lange bevor man sich in Regensburg einigen konnte, ob Medien, Architektur oder Stadtentwicklung Teilbereiche derselben Branche sind, setzten sich in Hamburg zur Jahrtausendwende Vertreter dieser Professionen zusammen und planten, den Kaispeicher A in einen MediaCityPort, ein spektakuläres Medienzentrum, zu verwandeln. Dabei wurde auch überlegt, ein Designzentrum unterzubringen, denn anders als etwa in Berlin oder Stuttgart gab es in Hamburg keine öffentliche Plattform für Designer, obwohl die Hansestadt als Designmetropole gilt, seit in den siebziger Jahren prominente Designer wie Peter Schmidt, Lothar Böhm oder Windi Winderlich an der Elbe ihre Arbeit aufnahmen. Auch Jill Sander, Wolfgang Joop und Karl Lagerfeld sind in Hamburg zu Hause gewesen. Heute reicht das Spektrum prominenter Designer von Architekten wie Hadi Teherani über die Lichtplanerin Ulrike Brandi bis zu Bettina Schoenbach, die für das Outfit von Bundeskanzlerin Angela Merkel verantwortlich war.
Design ist allgegenwärtig. Die Bushaltestelle, die Creme­dose, die Türklinke, das Abendkleid. Design ist Kultur, nicht erst seit dem Bauhaus und der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Design ist Teil von Made in Germany. Und Design ist ein Wirtschaftsfaktor. Erst kürzlich kam die Studie „Die Schönheit des Mehrwerts“, durchgeführt vom Markenverband, Scholz & Friends und dem Rat für Formgebung, zu dem Ergebnis: Design ist ein zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen. Das Umsatzvolumen der deutschen Designwirtschaft betrug 2008 rund 14 Milliarden Euro. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Branche ist von 2007 auf 2008 um fünf Prozent gestiegen. Sie zählt zu den wichtigsten Treibern in der Kultur- und Kreativwirtschaft, ganz besonders in Hamburg, wo es eine große Nähe zu ansässigen Verlagen und Werbeagenturen, aber auch zu Konzernen wie Unilever, Beiersdorf, Blohm + Voss oder Airbus gibt.

Der designxport wird in das Gebäudeensemble am Magdeburger Hafen einziehen, in dessen  nördlichem Teil Wohnungen, im südlichen Teil die Zentrale von Greenpeace sein werden.

Der designxport wird in das Gebäudeensemble am Magdeburger Hafen einziehen, in dessen nördlichem Teil Wohnungen, im südlichen Teil die Zentrale von Greenpeace sein werden. (3)

Umso wichtiger war die Gründung eines Designzentrums. Als Plattform für Designer jeder Couleur, als öffentliches Forum für Labels, Projekte und Agenturen aus Hamburg und als Ausstellungsfläche. Auch als Signal für Hamburgs Designer, dass sie gesehen werden, gewollt sind, wichtig sind und wertgeschätzt werden. Deshalb wurde das Vorhaben auch weiterverfolgt, nachdem die Idee des MediaCityPorts zugunsten der Elbphilharmonie aufgegeben wurde. Für das Designzentrum, das jetzt unter dem Namen designxport an den Magdeburger Hafen ziehen wird, blieb die HafenCity als Standort erste Wahl.

Dr. Babette Peters, Direktorin des designxport, macht sich seit Jahren für ein Designzentrum in Hamburg stark.

Dr. Babette Peters, Direktorin des designxport, macht sich seit Jahren für ein Designzentrum in Hamburg stark. (4)

„Zukunft“, erklärt Dr. Babette Peters, Direktorin von hamburgunddesign° und Mitinitiatorin von designxport, „ist ein inhärentes Thema der HafenCity. Deshalb wurde sie auch von Anfang an als Standort diskutiert. Außerdem ist sie ein öffentlicher Ort, sehr präsent, weithin sichtbar und gut erreichbar.“ Bei der Wahl des zukünftigen Standorts wurde bewusst entschieden, nicht in eines der Szeneviertel St. Pauli, Ottensen oder Schanze zu ziehen, in denen die meisten kleineren Designunternehmen ansässig sind; auch nicht wie viele der größeren Büros an repräsentative Adressen an Elbe oder Alster. „Wir haben einen Standort gesucht“, so Peters, „der noch keine eigene Prägung hat, sondern vielmehr von uns mitgeprägt werden kann.“
Eine Prägung des neuen Elbtorquartiers und der im Osten anschließenden Quartiere am Lohsepark und am Oberhafen werden auch andere Kreative vornehmen. So stellt die Bürgerstadt AG, die schon für ein Wohnhaus am Kaiserkai verantwortlich ist, erneut eine Baugemeinschaft auf die Beine, um in unmittelbarer Nähe zum Ökumenischen Forum ein Musikerhaus zu realisieren, in dem Musiker wohnen und arbeiten, also auch üben können, ohne sich um vorgeschriebene Ruhezeiten oder Beschwerden der Nachbarn kümmern zu müssen. 20 bis 30 Wohnungen sind für das Gebäude geplant, in dessen untere Geschosse Tonstudios, Werkstätten für In­strumentenbauer, Instrumentenhandlungen und Musikerverlage einziehen sollen.
Am Oberhafen sind bereits heute kreative Unternehmen wie die Foto- und Filmagentur Living Art ansässig. Die Planungen zu diesem Areal sind zwar noch nicht abgeschlossen, aber es bietet aufgrund seiner Lage und der erhaltenen alten Hallen vielfältige Möglichkeiten für die Kreativwirtschaft. Die Untersuchung der „Kreativen Milieus“, die die Stadtentwicklungsbehörde anstellen ließ, sieht an dieser Stelle die Gelegenheit, stärker an die umliegenden Viertel anzuknüpfen und sich mit ihnen zu verzahnen, zum Beispiel durch eine Fortsetzung der Kunstmeile von den Deichtorhallen in die HafenCity hinein. Ähnliche Überlegungen hat in den vergangenen Jahren bereits Professor Paolo Fusi von der HafenCity Universität mit seinen Studenten angestellt. Der Oberhafen trennt zwar die HafenCity noch physisch von seiner Nachbarschaft im Norden und Nordosten, aber langfristig finden sich vielleicht Wege, so die Untersuchung, unter Einbeziehung des Großmarktgeländes beide Ufer des Oberhafens zusammen zu planen. Der Senat hat im vergangenen Jahr schon laut überlegt, ob und wie man den Großmarktkeller mit seinen 40.000 Quadratmetern Fläche für die Kreativbranche nutzbar machen und in die Ausbaupläne der HafenCity einbinden könnte. Nicht zuletzt wird in unmittelbarer Nachbarschaft im Norden auch die neue SPIEGEL-Zentrale sowie im Süden die HafenCity Universität entstehen, für die im Sommer der erste Spatenstich getan wird.

Die Basis der Wissensgesellschaft

Eine Wissensgesellschaft wäre keine Wissensgesellschaft, wenn nicht Erziehung und Ausbildung vom Kindergarten bis zur Universität im Mittelpunkt stünden. Hamburg hat sich vorgenommen, eine „Metropole des Wissens“ in Europa zu werden. Dafür will die Stadt ihre Hochschulen und Forschungseinrichtungen stärker fördern, darunter natürlich auch die 2006 gegründete HafenCity Universität, an der zahlreiche Professoren von internationalem Ruf unterrichten. Neben dem kreativen Potenzial an Studenten, die hier zu Architekten, Stadtplanern und Bauingenieuren ausgebildet werden und zwischen ihren Seminaren mit Sicherheit die umliegenden Quartiere füllen, verbindet sich mit attraktiven Hochschulen auch immer die Hoffnung auf Investitionen und die Ansiedlung sogenannter „zukunftsfähiger“ Unternehmen. Eine Studie der Zeppelin Universität in Friedrichshafen führt bedeutende regionalwirtschaftliche Umsatzeffekte auf, die die Ansiedlung von Universitäten zur Folge haben können, zum Beispiel in Mainz (508 Mio. Euro) oder in Trier (218 Mio. Euro).
Außerdem ziehen gerade Hochschulen qualifizierte Arbeitskräfte an, eben jene, für die Carly Fiorina die beste Infrastruktur und jede Steuervergünstigung ausschlagen würde. Dabei herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass Menschen aus kreativen Berufen besonders mobil sind, weil ihre Arbeit nicht zwingend an spezifische Standorte gebunden ist. Deshalb ist man zu dem Schluss gekommen, Talente an die Stadt zu binden, solange sie jung sind, weil die Jobs-follow-people-Theorie nicht ohne Einschränkung gilt: Es wurde nämlich festgestellt, dass die Bereitschaft von Menschen, ihren Wohn- und Arbeitsort zu wechseln, kurz nach dem Einstieg ins Berufsleben stark nachlässt. Während viele Studenten ihren Lebensmittelpunkt von der Qualität des Ortes abhängig machen, ist für Berufstätige die Nähe zu Familie und Freunden, also zu ihrem aktuellen Wohnort, das wichtigste Kriterium bei der Wahl des Wohn- und Arbeitsorts. Junge Kreative gehen also dorthin, wo sie vielversprechende Orte finden. So wie die HafenCity. Zum Wohnen, zum Studieren oder zum Arbeiten. Oder einfach nur auf einen Milchkaffee mit Elbblick.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1) Norbert Ittermann, (2) Katja Hansen, (4) Reto Klar, Visualisierung: (3) raumgleiter gmbh, Zürich
designport: Architekt: Bob Gysin + Partner BGP Architekten ETH SIA BSA Zürich; Bauherr: primus developments und DS-Bauconcept, Hamburg
Quartier 10, Juni–August 2010 , Rubrik:    
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